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Grünen-Wahlkampfzentrale "Triebwerk"

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Online-Wahlkampf: Schwarze Schafe und ein Zugpferd namens Angie

Die CDU als große Traditionspartei mit eher konservativem Image und Inhalten. Die Grünen als ehemals wilde Graswurzelbewegung, die zwar sehr viel ruhiger geworden sind, inhaltlich manchmal aber noch gerne provozieren. Wie sieht der Online-Wahlkampf bei zwei derart unterschiedlichen Parteien aus? Ein Besuch in den Wahlkampfzentralen.

Mehrere Wochen hat die Terminabsprache gedauert. Online-Wahlkampf ist en vogue und wirklich jeder will gerade einen Termin bei der Kanzlerin-Partei, so scheint es. Am Dienstag ist es geschafft: Rein ins moderne, gläserne Konrad-Adenauer-Haus in Berlins Mitte. Zur Begrüßung gibt es erstmal einen Kaffee aus einem schicken Hightech-Automaten. Die Tassen sind erstaunlicherweise schlicht weiß. Nichts zu sehen von einem CDU-Logo.

In der Grünen-Wahlkampfzentrale "Triebwerk" in Berlins Mitte sieht es eher aus wie einer WG-Küche. Von der Eingangstür aus fällt man direkt in den Großraum, die Fenster reichen bis zum Boden. Es gibt heißen Kaffee aus einer klassischen Kaffeemaschine in großen, bunt zusammen gewürfelten Kaffeepötten. Auch sonst ist es sehr bunt. Natürlich aber dominiert die Farbe Grün. Grüne Wandstreifen, grüne Wahlplakate. Und ziemlich viele Grünpflanzen. Leise schleichen die Wahlkämpfer durch den sich über zwei Ebenen erstreckenden luftigen Raum - ein Kamerateam von N24 filmt gerade den Wahlkampfalltag.

"Ich glaube, es gibt einfach keine Alternative zu Angela Merkel." Volle Stimme, fester Blick. Kein Zweifel, der junge Mann ist Überzeugungstäter. Daniel Frerichs, 27 Jahre alt, hält derart große Stücke auf die Kanzlerin, dass er sich sogar ein Urlaubssemester genommen hat, um Wahlkampf zu machen. Voller Einsatz für die CDU. Dabei ist er nicht einmal Parteimitglied. Aber: Er ist Mitglied im "teAM Deutschland", zusammen mit rund 27.000 anderen Menschen. Von ihnen unterscheidet er sich allerdings dadurch, dass er zusammen mit zwölf Kollegen in der Schaltzentrale des  Teams sitzt und die übrigen Mitglieder koordiniert und informiert. Das "teAM" – das AM im Namen steht für Angela Merkel – ist die Mitmachkampagne der Union.

Bei den Grünen heißt das Ganze "Meine Kampagne". Die Grundidee aber ist dieselbe. Allerdings haben die Grünen bislang vergleichsweise wenig Online-Unterstützer, etwa 6500. "Wir freuen uns über jeden einzelnen. Es geht ja nicht um Quantität, sondern Qualität. Und diese 6500 Mitglieder sind sehr aktiv, engagieren sich nicht nur online sondern auch sehr stark bei Aktionen vor Ort", sagt Robert Heinrich, verantwortlich für alle Online-Aktivitäten der Partei. Die vergleichsweise geringe Mitgliederzahl bereitet ihm keine schlaflosen Nächte. "Natürlich haben wir keine so großen Mitmacher-Zahlen wie beispielsweise die CDU. Wir haben etwa 46.000 Parteimitglieder, die Union weit über eine halbe Million. Das kann man nicht vergleichen."

CDU-Wahlplakat
Moderner Glasbau: Das Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. -

© dpa

Daniel Frerichs und seine Kollegen in der CDU-Zentrale arbeiten in zwei Gemeinschaftsbüros aus Glas, Flipcharts stehen herum, eine große grüne Tafel wie zu Schulzeiten nimmt eine Längswand ein. Auf ihr klebt ein großes Angela-Merkel-Plakat. Viele der emsig auf der Tastatur tippenden Wahlkämpfer tragen orangefarbene T-Shirt mit CDU-Logo. Andere arbeiten in zivil. Twittern, telefonieren, E-Mails versenden und die Website am Laufen halten – damit wollen die Wahlkämpfer  Menschen für die CDU gewinnen. Die Website ist auch Knotenpunkt für alle Aktionen, die bundesweit – offline - von CDU-Teams organisiert werden. Die Organisatoren im Konrad-Adenauer-Haus telefonieren mit den Verantwortlichen, schreiben Motivations-Mails, planen Stimmenfang-Aktionen. Das Wahlkampf-Netz ist dicht gewebt: In jedem Wahlkreis gibt es einen Teamleiter, der mit Parteimitgliedern und freiwilligen Unterstützern Wahlkampf machen kann.

Bei den Grünen wird ebenfalls auf Aktionen vor Ort gesetzt, die über die Kampagne koordiniert werden können. Allerdings sind die Ansprechpartner hier die Landesverbände. Einen eigenen Teamleiter für jeden Wahlkreis – dafür ist die Partei einfach zu klein. Der Geschäftigkeit in der Wahlkampfzentrale tut das aber keinen Abbruch: Der große, helle Raum ist erfüllt vom Geklapper der Tasten, kurzen Unterhaltungen und Telefonaten. Was Daniel Frerichs bei der CDU, ist Lea Belsner bei den Grünen. Die 26-jährige organisiert die Kampagne fast im Alleingang. Sie bewertet und entwickelt Aktionsvorschläge, die von freiwilligen Unterstützern, Landesverbänden oder den beteiligten Agenturen kommen. Sie organisiert die Offline-Aktionen, kümmert sich um das Layout der Seite. "Es ist der vierte Wahlkampf, den ich mitmache", sagt sie. "Wahlkampf ist meine Leidenschaft". Dann muss sie zurück an ihren Platz. Das Telefon klingelt schon die ganze Zeit.

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Angela Merkel ist das große Zugpferd des CDU-Wahlkampfes. Das zeigt nicht nur das Angie-Plakat an der Wand oder Daniel Frerichs Merkel-Begeisterung. Das zeigt auch die Einbindung der Kanzlerin in soziale Netzwerke wie StudiVZ oder Facebook. Mehr als 17.000 Menschen sind allein bei Facebook Angela-Merkel-Fans. Die Kanzlerin kommt an. 'Frag Angie' fordern die Wahlkämpfer die User auf, in Kontakt zur Kanzlerin zu treten. Später wird Merkel die meist gestellten Fragen beantworten. Potenzielle Wähler sehen diesen – quasi – direkten Draht gerne, so die Vermutung der Parteistrategen. Das persönliche 'Du' und das vertraute 'Angie' sollen ihren Teil dazu beitragen. Wer ein Fan der Kanzlerin ist, soll ihr helfen, die Wahl zu gewinnen. Das entspricht der Philosophie der Kampagne: Jeder soll sich engagieren können, auch wenn er kein Parteimitglied ist – und auch keins werden möchte.

Jeder kann selbst entscheiden, wie tief er in den Wahlkampf einsteigen will – das ist das Kernelement des grünen Onlinewahlkampfes. "Bei uns kann sich der User bei der Anmeldung schon entscheiden, wie er unterstützen möchte: Welche Themen interessieren ihn? Möchte er nur online oder auch offline aktiv werden?", erklärt Robert Heinrich. So könne sich jeder sein ganz spezielles Profil schaffen und über sein Engagement selbst entscheiden. "Aber keine Sorge. Wer angemeldet ist, kann jederzeit über die eigenen Daten entscheiden und selbständig alle Daten von sich löschen." Einen derart "sauberen" Umgang mit dem Datenschutz gebe es sonst bei keiner anderen Partei, sagt Heinrich. Die Dinge laufen lassen, Kontrolle abgeben – das ist Teil des Konzepts des selbst organisierten Nutzers. "Auf unsere Seite können die Menschen offen kommentieren. Da wird nichts im vornherein zensiert", sagt Heinrich. Von ein paar schwarzen Schafen, die dazwischen seien, gehe die Welt nicht unter.

Ein Abstecher in die CDU-TV-Redaktion. In einem kleinen Büro sitzt Markus Brauckmann vor seinem kleinen Rechner. Groß, breitschultrig, mit röhrender Stimme. "Unsere Philosophie lautet: alles sein, nur nicht beliebig", erklärt er und lehnt sich entspannt zurück. "Wir filmen nicht stumpf die Reden der CDU-Politiker ab, sondern wir machen redaktionelle Beiträge, zeigen die Arbeit hinter den Kulissen, sind exklusiv und haben richtige Formate." Eine halbe Millionen Videoabrufe verzeichnet CDU-TV. Darauf ist Brauckmann sichtlich stolz. "Um so viele Menschen zu erreichen, müsste man schon einige Marktplätze füllen." Nun ja. Eine halbe Million Zuschauer pro Beitrag wären sicherlich schöner.

Bei den Grünen läuft die Vorbereitung für eine groß angelegte Online-Aktion auf Hochtouren. "Drei Tage wach", heißt das Projekt, das es bereits vor der Europawahl schon einmal gegeben hat. Interessierte können Fragen zur Grünen-Politik stellen, die umgehend beantwortet werden. 3000 Fragen waren es bei der Europawahl. "Wir erwarten eine Verfünffachung der Fragemenge drei Tage vor der Bundestagswahl", sagt Heinrich. Zahlreiche Grünen-Wahlkämpfer halten für die Aktion drei Tage und zwei Nächte durch und beantworten Fragen am Fließband. Das Ganze wird live übertragen. Per Webcam. "Die Leute können sich bei uns bewerben. Wir wählen dann Menschen aus, die sich mit unserer Politik auskennen und einen guten Schreibstil haben. Sie beantworten dann die Fragen. Direkt. Die Antworten werden nicht erst von der Partei abgesegnet". Die Grünen geben ihren freiwilligen Wahlkämpfern einen großen Vertrauensvorschuss. Auch die Begleiter für die Wahlkampftouren der Grünen-Spitzen wurden fast schon basisdemokratisch festgelegt. "’Möchtest du zwei Wochen mit auf Tour?’ haben wir online gefragt und somit einen Fahrer für Cem Özdemir gefunden", sagt Heinrich.

Der Besuch beim "teAM Deutschland" ist beendet. Die Pressesprecherin kommt noch bis zum Ausgang mit. Ein letzter Blick an die Decke des gläsernen Treppenhauses im Konrad-Adenauer-Haus zeigt ein schwarzes, ein rotes und ein gelbes Tuch. Die Segel sind gehisst. Ob die CDU genügend Wind gemacht hat, weiß sie – wie zu Offline-Zeiten – erst am Wahlabend.

"Tschüss! Sie finden den Weg raus allein, oder?". Schon ist Robert Heinrich weg und klettert die Wendeltreppe hoch. Er hat noch andere Termine. Es muss weiter geplant werden. Zurück bleiben die bunten Kafffeetassen auf dem Tisch. Und ein Team, das weiter Dampf machen will. Nicht mit Fokus auf die Spitzenkandidaten Künast und Trittin. Sondern mit Fokus darauf, der Union den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und auf "schwarz-gelb – nein Danke".

Simone Bartsch

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