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Politik: Opferverbände empört über Angebot der deutschen Wirtschaft

Die Fronten zwischen Opferverbänden und Wirtschaft haben sich nach dem deutschen Sechs-Milliarden-Mark-Angebot zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern verhärtet. Empört wiesen Verbände von Nazi-Opfern in Deutschland und Osteuropa die Summe am Freitag als Basis für eine Einigung zurück.

Die Fronten zwischen Opferverbänden und Wirtschaft haben sich nach dem deutschen Sechs-Milliarden-Mark-Angebot zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern verhärtet. Empört wiesen Verbände von Nazi-Opfern in Deutschland und Osteuropa die Summe am Freitag als Basis für eine Einigung zurück. Als "beleidigend" und "unbefriedigend" kritisierten der Zentralrat der Juden und der Verband der NS-Verfolgten das deutsche Angebot. Es müssten sich mehr deutsche Unternehmen an dem Fonds beteiligen, forderte Michel Friedman vom Zentralrat der Juden.

Der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff (FDP), bezeichnete die Lage als "sehr ernst". Die Regierung sieht dagegen Anlass "für vorsichtigen Optimismus". Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verteidigte das Angebot und nannte es "würdig". Bundespräsident Johannes Rau appellierte an den Mittelstand, sich an der Entschädigung zu beteiligen.

Schröder riet dazu, das Angebot nicht pauschal abzulehnen. "Dass natürlich Anwälte, die ja auch ihre eigenen Interessen vertreten, das anders sehen, ist ein ganz normaler Vorgang. Ich denke, dass die deutsche Industrie mit ihrem Angebot auf einem vernünftigen Weg ist", sagte Schröder in Berlin.

Nach seiner Rückkehr aus Washington sagte Lambsdorff, es sei mit erheblichem wirtschaftlichen Druck auf die deutsche Industrie zu rechnen. "Es sind in Washington auch Boykott-Aufrufe angedeutet worden." Ein Scheitern der Gespräche könnte zudem zu politischen Konsequenzen zwischen der US-Regierung und der Bundesregierung führen. Er verurteilte die Anzeigenkampagne jüdischer und polnischer Organisationen in den USA gegen betroffene deutsche Firmen. Die Unternehmen könnten überlegen, wieder aus dem Entschädigungsfonds auszusteigen, warnte er. Lambsdorff betonte, die sechs Milliarden Mark seien derzeit "das letzte Wort".

Der Münchner Anwalt Michael Witti zeigte sich am Freitag im Sender "InfoRadio Berlin-Brandenburg" zuversichtlich, dass die Summe noch nachträglich erhöht werde. Die Bundesregierung hofft indes auf "eine möglichst rasche Einigung in der Sache". Die Verhandlungen würden am 16. und 17. November in Bonn fortgesetzt, sagte Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye in Berlin. Lambsdorff werde am Montag im Bundeskanzleramt über die Verhandlungen berichten. Dann könnten "denkbare Konsequenzen" erörtert werden.

Rau sagte: "Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass viele so genannte Fremdarbeiter in mittelständischen Unternehmen gearbeitet haben." Er halte es "für dringend nötig, dass die einzelnen klären, ob sie eine Mitverantwortung tragen". Das Staatsoberhaupt plädierte für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen. "Es ist eilig, weil das Durchschnittsalter der Betroffenen über 80 liegt", sagte er.

Der angebotene Betrag ist derzeit noch gar nicht gesichert. Der Sprecher der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, Wolfgang Gibowski, erklärte: "Wir brauchen mehr Firmen, um die von der Wirtschaft genannten vier Milliarden zusammenzubekommen." Die Bundesregierung will zwei Milliarden Mark beisteuern.

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