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Das Bild zeigt acht Mordopfer der Nazi-Gruppe: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü und Habil Kilic (oben, v.l.), sowie Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodorus Boulgarides und Mehmet Kubasik (unten, v.l).

© dpa

Türkische Reaktionen auf Nazi-Morde: Opferwitwe: "Sogar mich hatte die Polizei im Verdacht"

In der Türkei wächst die Verärgerung über Deutschland wegen der Nazi-Morde. Die Witwe eines der Opfer kritisiert die einseitigen Ermittlungen der Polizei. Manche spekulieren über eine Verschwörung.

Elif Kubasik kann es nicht fassen. Über Jahre konnte die deutsche Polizei die Mörder ihres Mannes Mehmet nicht finden, der 2006 erschossen wurde – er war eines der acht türkischen Opfer der so genannten Döner-Morde. Und nun stellt sich heraus, dass Mehmet Kubasik offenbar von rechtsextremen Terroristen getötet wurde.

Frau Kubasik erfuhr vor wenigen Tagen während eines Besuches am Grab ihres Mannes im osttürkischen Kahramanmaras von den Enthüllungen über die rechtsextreme Terrorzelle in der Bundesrepublik. In der türkischen Zeitung „Sabah“ beschwerte sie sich über die einseitigen Ermittlungen der deutschen Polizei, die einfach nicht an einen rassistischen Hintergrund der Morde hätte glauben wollen: „Sogar mich hatten sie im Verdacht.“ Die deutschen Beamten hätten unter anderem Staub-Proben von den Vorhängen ihres Hauses untersucht. Aber die Nazis seien von der Polizei in Ruhe gelassen worden.

Die Witwe des Mordopfers brachte verbittert zum Ausdruck, was viele türkische Beobachter derzeit über die Enthüllungen in Deutschland denken. Wenn in der Türkei über Jahre acht Bundesbürger getötet worden wären, ohne dass die Polizei die Täter gefunden hätte, „dann wären die Staaten Europas auf die Barrikaden gegangen und hätten die Türkei zu einem Land der Barbaren erklärt“, sagte die Witwe.

Das türkische Außenamt verlangt von Deutschland eine rückhaltlose Aufklärung, auch wenn dabei eine Mitwisserschaft der Behörden zutage treten sollte. „Was auch immer dahinter stecken mag“, müsse ans Tageslicht kommen, erklärte das Ministerium in Ankara. Im übrigen hätten die Entwicklungen der vergangenen Tage gezeigt, wie gerechtfertigt die türkischen Warnungen vor einem Erstarken des Fremdenhasses in Europa in den vergangenen Jahren gewesen seien.

Vermutungen über Verbindungen der Neonazi-Gruppe zum Verfassungsschutz lassen einige Beobachter in der Türkei über die Existenz einer Verschwörerbande in den Reihen der deutschen Sicherheitskräften spekulieren. In manchen Kommentaren fällt der Begriff „Ergenekon“. Das ist der Name einer rechtsgerichteten Organisation, die nach Erkenntnissen der türkischen Staatsanwaltschaft mit Gewalttaten die Voraussetzungen für einen Militärputsch gegen die Regierung Erdogan schaffen wollte. „Ergenekon“-Mitglieder sollen unter anderem den Mord an dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink im Jahr 2007 verübt und dabei Unterstützung aus den Reihen der Sicherheitskräfte erhalten haben.

Ähnlich wie bei „Ergenekon“ sei auch in Deutschland eine rechtsradikale Bande mit behördlicher Unterstützung am Werk gewesen, schrieb der Kolumnist Ibrahim Karagül in der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“ vom Dienstag: Die Döner-Morde seien zwar von Rechtsextremen verübt worde, doch die Nazis seien nur die Killer gewesen. Die Hintermänner säßen im deutschen Geheimdienst und im Staatsapparat.

In diesem Zusammenhang verweisen Karagül und andere auf den Wohnhausbrand von Ludwigshafen im Februar 2008, bei dem neun Türken starben, der nach Ermittlungen der deutschen Polizei aber kein Anschlag war. Nach Ludwigshafen habe es noch viele andere verdächtige Brände in von Türken bewohnten Häusern gegeben, doch die Deutschen hätten alle Ermittlungen eingestellt, schrieb Karagül.

Selbst Beobachter, die solchen Verschwörungstheorien nicht folgen mögen, sehen die bekannt gewordenen mutmaßlichen Nazi-Morde als Anzeichen einer bedenklichen Entwicklung. Trotz der Existenz einer gewaltbereiten Nazi-Szene seien die Europäer auf dem rechten Auge blind, zudem sei rechtsgerichtetes Gedankengut salonfähig geworden, schrieb Fatma Yilmaz-Elmas von der Ankaraner Denkfabrik Usak in einer Analyse.

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