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Politik: Ordentlich was los

Die Auftraggeber waren stets deutsche Staaten, die ihre Diener mit Orden dekorieren wollten. Der Gigant unter ihnen war die DDR. Als die einging, wurde der VEB Prägewerke verkauft, machte aber weiter. Mit einem gravierenden Unterschied.

Sie sind hier drinnen oft der Zeit voraus gewesen, sie raste dann schneller als draußen in der Welt. In diesem Moment aber springt sie 599 Jahre zurück, denn Gabriele Federlin hat jetzt das Telefon am Ohr und spricht mit Andi. „Guten Tag, Andi“, sagt Federlin, „ich hab hier gerade die ersten Probestücke in der Hand. Hübsch-hübsch-hübsch-hübsch- hübsch.“ Fünf Mal hübsch, in einem Wort, Federlin freut sich sehr und lacht nach dem Ende dieser Durchsage ein heiseres Lachen, das zu gleichen Teilen vom Pall-Mall-Rauchen und ihrer Erleichterung herrühren mag. Andi freut sich auch.

Bei den Probestücken in Federlins Hand handelt es sich um altes Geld, um sogenannte Hohlpfennige. Kreisrundes Kupferblech, ein Wappen in der Mitte eingeprägt. Nach allem, was man weiß, zu Zeiten des Konstanzer Konzils gebräuchlich, welches ein wichtiges kirchengeschichtliches Ereignis war und im nächsten Jahr sein 600. Jubiläum feiert, was Federlin und Andi wiederum zum Anlass nehmen wollen, die Geldimitate dort an Souvenirjäger zu verkaufen. Andi, Geschäftsführer einer Konstanzer Werbeartikelfirma, hatte die Idee dazu. Gabriele Federlin hat die Maschinen und die Fachleute. Sie ist die Chefin einer Fabrik, die 1871 als „Münzpräge- und Gravieranstalt“ hier in der sächsischen Stadt Markneukirchen gegründet wurde.

Ein Schatten ihrer selbst, die Firma jetzt. Vor nicht allzu langer Zeit war sie noch bevölkert von mehr als 500 Arbeitern und Angestellten, heute prägen und gravieren 15 Menschen hier. Andererseits ist es aber auch sehr erstaunlich, dass es den Betrieb überhaupt noch gibt. Denn ihm ist im Lauf seiner Geschichte mehrmals die Kundschaft in einem Ausmaß abhanden gekommen wie wohl kaum einem anderen; zum letzten Mal geschah dies mit dem Ende der DDR. Die Markneukirchner Präger und Graveure stellten nämlich gar nicht allzu viel Münzen her. Sie machten im Auftrag von regelmäßig untergehenden Parteien, Armeen und Massenorganisationen Orden.

Federlin hat aufgelegt. Sie sitzt in ihrem kargen Büro und raucht. Sie sagt: „Tja, Präwema.“ Präwema, abgeleitet von Prägewerke Markneukirchen, dem Firmennamen seit dem Zweiten-Weltkriegs-Ende. Seitdem 44 Jahre lang der Zukunft zugewandt, und nun also zum ersten Mal dem Mittelalter. Dazwischen vor allem: der jeweiligen Gegenwart.

Der Hohlpfennig sei eine schöne Sache, sagt Federlin. Weil sie so etwas hier noch nie gemacht haben. Und man müsse sich nur einmal den historischen Hintergrund dazu vorstellen. Das Konzil von Konstanz, immerhin eine Kirchenspaltung – drei Päpste! – sei damals ja aufgehoben worden, sie sagt: „Jungejunge“.

Immerhin wurde damals aber auch der Reformator Jan Hus verbrannt. Und schon ist man drin in der Präwema-Welt. Denn so wie der Gedenk-Hohlpfennig eben auch auf eine dunkle Stelle in der deutschen Geschichte verweist, tun dies andere Produkte der Prägeanstalt ebenfalls.

Es liegt in der Natur der Sache. Auftraggeber der Firma waren diverse deutsche Staaten, ihnen zu dienen war stets opportun, nur gut war es nicht immer. Vor allem aus der Sicht der jeweiligen Nachfolger. Die Markneukirchner stellten zum Beispiel Eiserne Kreuze her und NSDAP-Parteiabzeichen. Sie prägten Anstecker anlässlich von Reichsparteitagen, SA-Brigadeappellen und -aufmärschen, für NSDAP-Ortsgruppen und den Nationalsozialistischen Lehrerbund.

Danach kamen dann die Abzeichen der SED und Orden, mit denen sich die Partei- und Staatsführung der DDR selbst bedachte. Und das Ganze tonnenweise und mit einem großen Willen zur Pflichterfüllung.

Sie stanzten hier zum Beispiel und maximal vorausschauend einen Marschallstern für die Nationale Volksarmee, obwohl es bei dieser Armee nie auch nur einen Marschall gegeben hat, der Dienstgrad aber immerhin einmal vorgesehen war. Sie stanzten, einer Weisung des Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht folgend, den Blücher-Orden für dieselbe Armee, „Für Tapferkeit“ stand hinten drauf. Eine Kriegsauszeichnung, nie vergeben worden. An einem Krieg hat sich die DDR – abgesehen vom Drängen desselben Ulbricht bei seinen Moskauer Klassen- und Waffenbrüdern im Jahr 1968, doch bitte schön den tschechoslowakischen Volksaufstand namens Prager Frühling niederzuschießen – nie beteiligt.

Präwema produzierte immer gern für später nie eingetretene Ereignisse, und dass zu den Artikeln der Firma mittlerweile auch Beschläge für Angestelltenuniformen gehören, auf denen „BER Berlin Brandenburg Airport“ steht, verheißt für diesen Flughafen nichts Gutes. Bezahlt immerhin wurde pünktlich.

Präwema, die Zeitmaschine. Vorwärts immer, rückwärts gelegentlich. Und da die Zukunft die Gegenwart von morgen und die Vergangenheit von übermorgen ist, sitzt Gabriele Federlin in einem Büro, das in Wirklichkeit ein Museum ist, für das sie Eintritt verlangen könnte. An der Wand hinter ihr hängen hunderte Orden und Ehrenabzeichen. Der „Reservist der Nationalen Volksarmee“ ist dabei, der „Beste Lehrling des Lernaktivs“, der „30. Jahrestag der Befreiung“, „30 Jahre Kampfgruppen der Arbeiterklasse“, „Fackelzug der FDJ – DDR 40“, „800 Jahre Leipziger Messe“, „Vorbildliches Lehrlingskollektiv“, „Soldatentat – jederzeit gefechtsbereit für Frieden und Sozialismus!“. Abzeichen „Für den Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht“, „Für gute Arbeit in der Schule“, „Für Dienst am Volke“, „Für ausgezeichnete Leistungen im Wettbewerb – der Sozialismus siegt“, „Für vorbildliche Leistungen zu Ehren der DDR“, „Für große Fahrt“. Eine kleine aber dennoch unüberschaubare Auswahl einstiger Präwema-Artikel, die eigentlich alles sagt über das Auszeichnungswesen in der DDR.

Federlin wirkt fremd hier. Sie trägt königsblaue Pumps, königsblaue Jeans, eine königsblaue Brille und eine schwarze Lederjacke. Sie ist gerade 61 Jahre alt geworden, zugezogen aus Westdeutschland, geschmackssicher und vor allem Unternehmerin, und nun sagt sie auch den dazu passenden Satz: „Die Firma war einmal irre gut im Geschäft.“

Wer grob überschlägig rechnet, kommt auf 100 000 hergestellte Parteiabzeichen pro Jahr, auf 400 000 „Aktivisten“-Orden und 450 000 für „Kollektive der sozialistischen Arbeit“. Auf eineinhalb Millionen Abzeichen „Für gutes Wissen“ und ungefähr genauso viele Sportabzeichen. Präwema war dermaßen irre gut im Geschäft, dass es Aufträge aus dem nichtsozialistischen Ausland, die immerhin mit rarem Westgeld vergütet wurden, gelegentlich etwas nachlässig abarbeitete. In den Firmenunterlagen finden sich immer wieder diesbezügliche Mahnungen der dafür zuständigen DDR-Exportorganisation.

Die schrieb am 14. Juli 1976: „Mit unserem Schreiben vom 14.5. übergaben wir Ihnen einige Schlüssel-Anhänger, wofür wir um Gegenmuster für ENGLAND baten. Da wir uns ... bemühen müssen, bitten wir Sie, uns recht bald wissen zu lassen, ob und wann wir mit Ihren Mustern rechnen können. Mit freundlichen Grüßen“.

Zwei Tage später ging ein Fernschreiben – eine Art E-Mail auf Papier – ein. „Benötigen dringend Muster für Fa. Universum, Skiweltmeisterschaften betreffend (unser Schreiben 9.6.). Zu welchem Termin werden diese bei uns vorliegen?“ Wieder ein paar Tage später: „Wenden uns mit dringender Bitte um Erledigung an Sie, da bis heute keine Antwort von Ihnen vorliegt, der Kunde Universum, BRD, jedoch bereits erneut gemahnt hat.“

Drei Tage darauf kam endlich Antwort. „Muster für Universum werden bis 20.8. an Sie geliefert. Vorheriger Termin unmöglich. Alles andere nächste Woche telefonisch.“

Mit der Wende wurde so etwas existenzbedrohend. Als Federlin Präwema übernahm, fand sie zum Beispiel 20 000 zurückgeschickte Porsche-Wappen vor. Sie waren für die Motorhauben der Autos gedacht, doch Porsche befand sie für nicht gut genug. Die Oberflächenwölbung der Wappen sei zu beanstanden, und eine der verwendeten Farben auch. Porsche bestand auf Porsche-Rot und akzeptierte nicht im Geringsten jenen Rot-Ton, der bei Präwema gerade zur Hand gewesen war.

Federlin sagt: „Man glaubte, man spricht die gleiche Sprache und weiß alles voneinander. Wusste man aber nicht.“ Man musste lernen. Dass Luxuskunden andere Ansprüche haben als die Gesellschaft für Sport und Technik zum Beispiel. Dass aus sozialistischer Mangelwirtschaft erwachsenes Improvisationstalent eine große Gabe ist, es beim Erfüllen von Lieferverträgen aber eben gerade nicht aufs Improvisieren ankommt, sondern aufs komplett fantasielose Einhalten dessen, was diese Verträge vorgeben. Dass nach Kaiserreich, Nazizeit und DDR nun tatsächlich nicht mehr nur „der Staat“, sondern auch „die Wirtschaft“ maßgeblich und weisungsgebend ist. Heute klingt das alles nach Binsenweisheiten. Damals sprach man von Revolution.

Es sind bittere Jahre gewesen, geprägt vom großen und plötzlichen Verschwinden der Kunden und deren unbezahlten Rechnungen, von zwei Entlassungswellen und den Ansprüchen der neuen Zeit. Am Ende stand eine Klageschrift der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, weil Federlin die beim Kauf von Präwema abgegebenen Arbeitsplatzgarantien nicht erfüllen konnte. Dazu kam der Vorwurf, den Ausverkauf der DDR zu betreiben.

Im Sommer 2004 hatte Federlin einen der Präwema-Lagerräume ausgeräumt, tausende Orden und Abzeichen in einen Kleinlaster laden und in Nürnberg versteigern lassen. Der Auktionskatalog war 46 Seiten dick. Unter anderem 891 SED-Parteiabzeichen fluteten den Sammlermarkt. 390 Euro brachten sie ein, obwohl ihr Katalogwert ungefähr das Zehnfache betrug. Der Kampforden „Für Verdienste um Volk und Vaterland“ ging für die Hälfte seines eigentlichen Marktwerts weg, 50 Jahre alte „Aktivisten“-Orden für fünf Euro. Der Ausverkauf der DDR versetzte Federlin in die Lage, ihren Mitarbeitern zwei ausstehende Monatslöhne zu zahlen.

Wenn eine ganze Epoche auf das Gewicht von zwei Monatslöhnen taxiert wird, erzeugt das selbstverständlich Bitterkeit. Nur, was wäre damals die Alternative gewesen? Die ganze schöne Epoche im Lager liegen zu lassen und Präwema dichtzumachen? Im Grunde hatte Federlin damals nur die Wahl zwischen zwei Fragwürdigkeiten.

Und dann kam Jil Sander. Und dann kam Wolfgang Joop. Montblanc. Wernesgrüner. Die freiwilligen Feuerwehren kamen, Sachsens Rassegeflügelzüchterverband, Flohmarkthändler und die Veranstalter der Deutschen Meisterschaft im Seesport, Sparte Kutterrudern und Kuttersegeln. Es kamen Gürtelbesatz, Zapfhahnschilder, Wettbewerbs- und Jahrestags-Medaillen, 150 000 Fluthelferorden, Repliken US-amerikanischer Polizeiabzeichen, und auch der nie vergebene NVA-Marschallstern wurde wieder produziert. Wer am Berliner Checkpoint Charlie einen angedreht bekommt, kann davon ausgehen, dass er aus Markneukirchen stammt. Ein paar Türen weiter von Federlins Museumsbüro werden gerade Anstecker für den „TSV Oelsnitz“ und für Landrover poliert.

Eine Etage tiefer presst eine der Hydraulikpressen vor sich hin, ein original sowjetisches Präzisionsgerät. Spindeln aus den 30er, 40er Jahren tun ihre Arbeit, Schlagscheren und uralte Fallhämmer. Ein Graveur graviert, und Federlin schreitet durch diese ganze auch schon wieder museal wirkende Geschäftigkeit, schaut mal hier und mal dort.

Bis zu 180 Arbeitsschritte sind zu tun, bevor ein Präwema-Anstecker fertig ist. Viele davon sind mit der Hand und allereinfachsten Werkzeugen zu erledigen. Eine automatisierte Produktion kennt dieses Gewerbe nicht. Es gibt einfach keine Maschinen, die können, was die Menschen hier können, und deshalb sieht es in dieser Werkhalle aus wie auf Bildern vom Höhepunkt der industriellen Revolution. So wird es wohl auch bleiben.

Nur die Welt draußen wird sich weiterdrehen. Sie wird von Präwema mit den Waren beliefert werden, die sie von der Firma verlangt.

Ginge es nach Gabriele Federlin, könnte die Welt aber ruhig auch mal eine Weile stillstehen. So wie es ist, sei es doch ganz gut, sagt sie. Die Firma steht auf sicheren Füßen.

Vor allem aber: Wenn der Gedanke tatsächlich richtig ist, dass Präwema stets den Herrschenden gedient und sie dekoriert hat, dann ist eine Welt, in der freiwillige Feuerwehren, Entenzuchtexperten und Sportvereine zur Obrigkeit gehören, ganz sicher nicht die schlechteste.

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