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Lohnt sich spenden?

© dpa

Update

Organhandel: „Nicht alles auf der Welt ist käuflich“

Ein Mann bot seine Niere im Internet zum Kauf an, wurde zunächst verurteilt und jetzt doch freigesprochen. Warum sollte man seine Organe nicht verkaufen dürfen? Wir sprachen mit dem Medizinethiker Urban Wiesing über das deutsche Organspendesystem und menschliche Würde.

Das Urteil gegen einen 41-jährigen Mann, der zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, weil er eine seiner Nieren und seine Leber in einem Internetauktionshaus angeboten hatte, ist im Revisionsverfahren aufgehoben worden. Johannes P. hatte im März 2008 zwei Anzeigen geschaltet, in denen er nach seinem Tod Empfänger für eine seiner beiden Nieren und seine Leber suchte. Die Anzeigen wurden allerdings noch am selben Tag vom Auktionshaus gelöscht. Die 9. Strafkammer des Amtsgerichts Leipzig befand nun, dass ein „klassischer Fall von entgeltlichem Organhandel dem Angeklagten nicht unterstellt werden kann“.

Sollte es erlaubt sein, die eigenen Organe zum Verkauf anzubieten? Wir haben zu diesem Thema mit Medizinethiker Urban Wiesing gesprochen:

Herr Wiesing, sollte man seine Organe zum Verkauf anbieten dürfen?

Ich glaube, dass viele rechtspragmatische Überlegungen dagegen sprechen. Zum einen würde es bedeuten, dass Organe für diejenigen bereitstehen, die in der Lage sind, zu bezahlen. Darüber hinaus gäbe es einen massiven Anreiz, vor allem für arme Leute, die Unversehrtheit ihres Körpers für Geld in Frage zu stellen und letztlich auch zu zerstören. Wir wissen, dass so etwas faktisch in der Welt geschieht, beispielsweise in Indien. Und diese Ergebnisse sind in keiner Weise ermutigend. Außerdem weiß man, dass diese Menschen nicht einmal von ihrem Geschäft profitieren. Das Geld, das sie für ihr Organ erhalten, tilgt ihre Armut nicht, zumindest nicht nachhaltig. Im Grunde sind sie danach genauso arm wie zuvor.

Gibt es dennoch gute Gründe, die für den Organhandel sprechen?

Zunächst einmal ist in einem liberalen Rechtsstaat jedes Verbot begründungsbedürftig. Natürlich können wir uns die Frage stellen, warum ein Staat, der den Suizid erlaubt, nicht auch den Verkauf von Organen bewilligen sollte. Zudem sind die geringe Zahl der vorhandenen Organe, die langen Wartelisten und die  Menschen, die auf  diesen Wartelisten sterben, Anlass genug, nach Lösungen zu suchen. Aber ich glaube, all diese Argumente sind nicht hinreichend, um einen kommerziellen Organhandel zu begründen.

Aber auf dieser Welt ist nichts umsonst. Wer zur Blutspende geht, wird schließlich auch entlohnt. Außerdem ist das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper im Grundgesetz in Artikel 1 und 2 verankert – sie gehört zur Menschenwürde und zur Freiheit.

Nicht alles auf der Welt ist käuflich. Um mit Kant zu sprechen: Wir haben eine Würde und diese ist über jeden Preis erhaben. Deshalb gibt es Bereiche in unserer Gesellschaft, die wir aus guten Gründen zu keinem Preis erlauben, wie die Sklaverei. Man kauft sich ja auch keinen Ehepartner und keine Kinder – zumindest nicht offiziell. Wir setzen der Verzwecklichung eines Menschen durch andere Menschen deutliche Grenzen.

Sie haben angesprochen, dass viel mehr Menschen auf ein Organ warten, als es Spender gibt. Brauchen wir eine gesetzliche Spendepflicht?

Ich glaube, dass sich eine gesetzliche Pflicht zur Spende nicht begründen lässt, weil es eben jenes Selbstbestimmungsrecht auf den eigenen Körper gibt. Die Experten sind sich einig, dass der Grund für das geringe Organaufkommen in Deutschland in der Organisation liegt. Länder mit einem ähnlichen kulturellen Hintergrund wie z.B. Spanien sind hier viel besser organisiert. Es ist auch nicht die Frage nach der Widerspruchs- oder Zustimmungslösung, sondern danach, wie die Spende und Entnahme so organisiert wird, so dass das Potenzial an transplantierbaren Organen voll ausgenutzt werden kann.

Dürften wir unsere Organe verkaufen, ließe sich die Bereitschaft zur Spende durch den finanziellen Anreiz vielleicht erhöhen. Zurzeit herrscht kein Anreiz, sondern vielmehr ein sozialer Druck: Organspender sind die besseren Menschen. Ist das aus ethischer Sicht nicht auch bedenklich?

Es sollte überhaupt kein Druck herrschen. Eine Spende unter Druck ist keine Spende mehr. Sie muss freiwillig sein. Wir sollten den Menschen klar machen, was sie nach einer Organspende verlieren, nämlich gar nichts. Und was andere Menschen mit ihren Organen gewinnen: Sehr viel, nämlich Lebensqualität und Zeit mit ihren Lieben. Es gibt gute Gründe, Organspender zu sein, und wir sollten dafür werben. Die letzte Entscheidung darüber muss aber beim Bürger verbleiben.

In Deutschland muss niemand seine Organe verkaufen

Ist es egoistisch, keine Organe spenden zu wollen?

Ich würde das so nicht nennen. Es mag verschiedene religiöse oder sonstige Beweggründe geben, es nicht zu tun. Es ist eine Entscheidung, die wir letztlich nicht mehr qualifizieren, sondern respektieren müssen.

Mit dem Verkauf meines Organs könnte ich auch bestimmten, wer es bekommt. So müsste ich meine Niere beispielsweise keine Alkoholiker geben, wenn ich das nicht möchte. Sollte der Patient hier grundsätzlich ein Mitspracherecht erhalten?

Da hätte ich große Bedenken. Damit könnten wir persönliche Vorurteile dazu nützen, bestimmte Menschen zu bevorzugen oder auch nicht. Im Fall der Lebendspende – und das muss man deutlich unterscheiden – sieht der Gesetzgeber vor, dass eine persönliche Beziehung zwischen dem Spender und dem Empfänger besteht. Im Falle einer Spende nach dem Tod halte ich es für sinnvoll, dass diese Organe über ein Verfahren vergeben werden, das von Eurotransplant organisiert wird, nach Wartezeit, Dringlichkeit und Kompatibilität, also Erfolgsaussicht.

Obwohl sich dieses Verfahren gerade in den letzten Monaten als nicht immer sehr zuverlässig erwiesen hat?

Da muss man differenzieren. Auch Organe, die innerhalb eines Zentrums verteilt werden, weil sie aufgrund ihrer Qualität sehr schnell verteilt werden müssen, bedürfen der Zustimmung durch Eurotransplant. Wir brauchen auch hier völlige Transparenz. Aber, wenn ich das richtig sehe, ist man auf dem Weg dahin.

Was glauben Sie, läuft falsch in einer Gesellschaft, in der sich Menschen gezwungen fühlen, ihre Organe zu verkaufen?

Ich glaube nicht, dass es in der Bundesrepublik Deutschland eine Armut gibt, die die Menschen dazu zwingt, ihr Organ zu verkaufen. Zum Glück haben wir hier ein funktionierendes Sozialsystem. Das ist in anderen Ländern nicht so. Es ist aber auch nicht tragisch, wenn Menschen in einer offenen, pluralen Gesellschaft auf Ideen kommen, die andere für wenig plausibel halten. So was kommt vor.

Herr Wiesing, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah-Maria Deckert

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