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© dpa

ORTSTERMIN: Ganz grundsätzlich

Franz Müntefering tritt in einer Chemnitzer Maschinenfabrik auf – und will den Arbeitern Mut machen.

Von Hans Monath

Das gelbe Kranportal hoch oben an der Hallendecke trägt bis zu 40 Tonnen Last, der Redner am Pult schwer an der Verantwortung für eine gebeutelte Volkspartei und ein großes Land in der Krise. Anmerken lässt sich Franz Müntefering das nicht. Stattdessen: Zähne zusammenbeißen, Pokerface aufsetzen, Arbeit machen, reden. Der SPD-Vorsitzende sucht in der Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik Union die Begegnung mit dem wirklichen Leben. Rechts vom Pult ragt eine meterhohe Präzisionsbohrmaschine mit der Typenbezeichnung „PCR 150iTNC 530“ in die Höhe, auf die ein Kunde aus Cincinnati in Ohio wartet. Noch hat das 1852 gegründete Unternehmen genügend Aufträge. Für das nächste Jahr aber sehe es schon düsterer aus, meinen Arbeiter.

Die SPD ist an diesem Abend im Industriegebiet von Chemnitz nicht das Thema von Müntefering. Wenigstens nicht vordergründig. Kein Wort über den ausbleibenden Aufschwung und eine Umfrage, die seine Partei mit 22 Prozent nur noch vier Punkte vor der FDP sieht. Kein Wort über die Chancen von Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, der vielen Genossen nicht präsent genug erscheint. Keines über seine Gegenspielerin im Kanzleramt. Müntefering ist überzeugt, dass Polemik nicht gut ankommt in diesen Tagen. Stattdessen soll es um Grundsätzliches gehen, um die Zukunft der Demokratie und die Zukunft des Sozialen. Das, glaubt der Parteichef, erwarten die Menschen in diesen Tagen. „Das neue Jahrzehnt“ heißt die Reihe, in der bis Mitte April die wichtigsten Sozialdemokraten fast 40 Veranstaltungen in der ganzen Republik bestreiten. Auftakt war vor zehn Tagen mit Steinmeier in Hamburg.

In Chemnitz macht der SPD-Chef erst mal klar, dass er nah bei denen ist, die ihm zuhören: Der Ölgeruch in der Halle sei ihm als gelerntem Industriekaufmann in der Metallbranche vertraut. Ob das hilft, die Kluft zwischen dem Mann am Pult und dem Publikum zu schließen, ist nicht zu erkennen. Politikern, das haben vor dem Auftritt etliche Unions-Arbeiter deutlich gemacht, trauen sie wenig zu. Daran ändert auch nichts, dass dieser für die Arbeiterpartei SPD steht. „Hartz IV“, sagt einer der Metaller: „Immer zahlen die Kleinen die Zeche.“

Es ist keine Wahlkampfrede, die Müntefering in der Fabrikhalle hält, eher eine Art Volkshochschulkurs darüber, was die Gesellschaft noch zusammenhält und was passieren muss, damit ihr Zerfall nicht rasend schnell weitergeht. Die Palette reicht von Regeln für die ungezügelten Finanzmärkte bis zu neuen Jobs im sozialen Sektor und altengerechte Wohnungen. Aber wahrscheinlich sollen nicht die Einzelvorschläge überzeugen, sondern die Ernsthaftigkeit, mit der sich der SPD-Spitzenpolitiker den Problemen stellt.

Ob das reicht „in einem Jahr, in dem wir große Sorgen haben“, weiß auch der Redner nicht. „Die Nachrichten, die in den kommenden Monaten noch kommen werden, sind dramatisch, um nicht zusagen katastrophal an manchen Stellen“, sagt er voraus. Und einmal gestattet sich der SPD- Chef sogar Zweifel: „Wenn mich jemand fragt, kriegt ihr das in den Griff? Soll ich das behaupten? Wer kann das überhaupt?“ Müntefering ohne Maske. Nur ganz zum Schluss fällt er in die Pose des Parteipolitikers, der genau weiß, wie es weitergeht. Die Zukunft der Maschinenfabrik Union werde gut, sagt er voraus: „Daran gibt es keinen Zweifel.“ Die Zukunft der Union aus CDU und CSU allerdings weniger gut: „Auch daran gibt es keinen Zweifel.“ Manche lachen.

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