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ORTSTERMIN: Realismus und moralisches Gebot

Dürfen die Deutschen mit ihrer NS-Geschichte andere Länder zur Einhaltung der Menschenrechte mahnen? Mit diesem Argument ist der Berliner Historiker Heinrich August Winkler Anfang der Woche vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) scharf ins Gericht gegangen.

Von Hans Monath

Dürfen die Deutschen mit ihrer NS-Geschichte andere Länder zur Einhaltung der Menschenrechte mahnen? Mit diesem Argument ist der Berliner Historiker Heinrich August Winkler Anfang der Woche vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) scharf ins Gericht gegangen. In der Konsequenz führe dieser Gedanke dazu, Deutschland wegen seiner Vergangenheit ein „Recht auf Wegsehen zu bescheinigen“, meinte der Autor der „Geschichte des Westens“. Der Holocaust würde dann die „widerspruchslose Hinnahme von ethnischen Säuberungen und Völkermorden zur Folge haben“, und dies sei „abwegig“.

In der seit Monaten geführten Debatte über Menschenrechte in der Außenpolitik hielt Winkler ein „Plädoyer für einen normativ aufgeklärten Realismus“, wie er das selbst nannte. Die sogenannte Realpolitik laufe in Wirklichkeit Gefahr, die Wirksamkeit von Ideen zu unter- und den Faktor Macht zu überschätzen. In ihrer Blindheit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungskräften wie etwa in der zweiten Phase der Ostpolitik sei sie dann alles andere als realistisch.

Auch an den Grundsatz der „Responsibility to Protect“, die Verpflichtung zur Wahrung elementarer Menschenrechte durch militärische Interventionen, erinnerte er. Diese könnten ein „moralisches Gebot im Sinne der Menschheitsverantwortung sein“, meinte er, mahnte aber, alle Schritte auf ihre Folgen zu prüfen.

Deutschlands Enthaltung bei der Libyen-Abstimmung des UN-Sicherheitsrates hatte Winkler scharf kritisiert. Im syrischen Bürgerkrieg lehnt Berlin nun anders als manche Partner Waffenlieferungen an die Rebellen ab. Parallelen zur Fehlentscheidung von 2011 sieht der Historiker nicht. Er schließe aus der Erfahrung nicht, „wir müssten nun Waffen an die Aufständischen liefern“, denn dieser Schritt könne noch schlimmere Folgen nach sich ziehen, sagte er. Der Fall Syrien sei „ganz anders gelagert“ als der Fall Libyen: „Es ist keine Bündnisfrage bisher.“

Ohne den deutschen Außenminister beim Namen zu nennen, kritisierte der Redner auch die mantraartige Beschwörung der „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ durch FDP-Politiker in verschiedensten Konflikten der jüngsten Zeit. Das Motto laute: „Die anderen mögen sich die Hände schmutzig machen, wir tun das nicht“, meinte er und warnte, wer nach diesem Maßstab Außenpolitik betreibe, werde Deutschland isolieren.

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