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ORTSTERMIN: Tempelwächter der Realpolitik

Wie Peer Steinbrück im Willy-Brandt-Haus über den Kurs von Parteichef Kurt Beck schimpfte

Von Antje Sirleschtov

Seit 40 Jahren ist Klaus Staeck Sozialdemokrat. Zum 70. Geburtstag hat er sich von seiner Partei einen ordentlichen Streit gewünscht, besser ein Streitgespräch vor Publikum. Staeck, Polit-Grafiker, Akademiepräsident und bekennender Links-Sozi, bekam Bundesfinanzminister Peer Steinbrück geschenkt.

Am Montagabend betraten die beiden das Podium im Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, und bis nach hinten in die dreißigste Reihe blieb kein Platz leer. Denn so eine Bühnenshow unter dem Brandt-Denkmal bekommt man nicht alle Tage geliefert: mittags im Fernsehen ein angeschlagener SPD-Chef Kurt Beck, der um die Zukunft der ganzen Sozialdemokratie ringt, abends Steinbrück, seinen Widersacher im engsten SPD-Führungskreis. Einen, von dem man sagt, er habe die nächste Bundestagswahl schon verloren gegeben und dass er überdies an einer Komplottverabredung beteiligt sei, die seinen Parteichef die Kanzlerkandidatur kosten könnte. So werden aus Geburtstagspartys Reality-Shows.

Peer Steinbrück enttäuschte das Publikum nicht. Mit finsterer Mine fletzte sich der Finanzminister in seinem roten Ledersessel und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube: Wenn einer eine ganze Partei auf einen neuen Kurs bringe, moserte er, dann könne man doch eine Kommunikationsstrategie erwarten, zumindest Überzeugungsarbeit. Was überhaupt nicht gehe, sagte Steinbrück und jedermann im Publikum wusste sofort, dass er Kurt Beck meinte, „ist, so etwas abrupt zu tun“.

Nein, zumindest für den einen der beiden „SPD-Stones“, Steinbrück also, ist die Sache mit Kurt Beck und seiner neuen aufsehenerregenden Kehrtwende in Sachen Linkspartei noch lange nicht verdaut. Nicht, nachdem das hessische SPD-Links-Projekt nun doch gescheitert ist. Und auch nicht, nachdem Beck seine zweiwöchige Krankheit mit einem sonntagabendlichen Spitzengespräch beendet hat. Zu tief sitzt sein Groll, dass die Sozialdemokraten an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben. Nicht nur Beck selbst, auch die, die wie Steinbrück bis 2009 in der Regierung Realpolitik betreiben wollen. „Es reicht eben nicht, wenn wir nur Tempelwächter sozialdemokratischer Ideen sind“, sagt Steinbrück.

Wie es nun weitergeht nach dem Desaster der letzten Tage? Der Finanzminister ermahnt seine Genossen, sich aufs „Gestalten des Landes“ zu konzentrieren. Schuldenabbau und Bahnprivatisierung nennt er und warnt die SPD-Linken davor, den Verkauf der Bahn am Volksaktienmodell scheitern zu lassen und auf einem spektakulären Sonderparteitag zu beerdigen. „Fluchten aus der Realität“, sagt Steinbrück dazu.

Ist das der Preis, den Beck seinen Stellvertretern zahlen musste für das missglückte Links-Manöver? Es gab einige im Saal, die das vermuteten: Für Loyalität muss Beck nun zahlen – mindestens mit der Ruhigstellung des linken Parteiflügels. Und damit die Stones im nahenden Wahlkampf Ergebnisse für vier Jahre Regierungsbeteiligung vorzuweisen haben. Soll Beck doch mal zeigen, was er kann! „Es geht doch darum, etwas zu verändern“, sagt Steinbrück über seine Auffassung von Politik, „und nicht darum, 95 Prozent bei einer Delegiertenversammlung zu bekommen“. Viel Applaus gab es dafür nicht. Antje Sirleschtov

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