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ORTSTERMIN: „Werden Sie denn wählen gehen?“

„Dingdong“ macht die Klingel, der Hund hinter der Tür bellt wie verrückt, aber keiner macht auf. Gesche Joost und Fritz Felgentreu halten SPD-Prospekte und SPD-Kugelschreiber in der Hand.

Von Hans Monath

„Dingdong“ macht die Klingel, der Hund hinter der Tür bellt wie verrückt, aber keiner macht auf. Gesche Joost und Fritz Felgentreu halten SPD-Prospekte und SPD-Kugelschreiber in der Hand. Die Internet-Fachfrau aus dem Team von Peer Steinbrück und der Neuköllner Direktkandidat sehen sich an, dann schütteln beide den Kopf und wenden sich der nächsten Tür zu. Wieder klingeln, wieder warten.

Beim Haus-zu-Haus-Wahlkampf in der Neuköllner Weisestraße haben die blonde Professorin und der glatzköpfige Altphilologe an diesem Donnerstagabend einen schlechten Start erwischt. Im düsteren Treppenhaus der Mietskaserne arbeiten sie sich langsam nach oben, aber fast alle Bewohner sind ausgeflogen. Als im zweiten Stock eine blonde Frau im schwarzen Trainingsanzug auf die Schwelle tritt, sagt der freundliche Kandidat sein Sprüchlein auf und stellt sich vor: „Entschuldigen Sie die Störung, wir sind von der SPD.“ Die Frau findet Mindestlöhne gut und sagt, die Menschen sollten „mehr Verständnis für einander haben“. Aber sie kommt aus Ex-Jugoslawien und will nicht wählen gehen: „Da mische ich mich nicht ein.“

„Dürfen wir Ihnen drei Fragen stellen?“, probiert es Felgentreu beim nächsten Versuch. „Nein, Danke“, schallt es durch die Tür und Felgentreu flötet: „Entschuldigen Sie die Störung.“ Einen Stock höher scheint ein etwa 30-jähriger Mann in Unterhose und schwarzen Socken nur auf die beiden SPD-Vertreter gewartet zu haben. Kaum haben die sich vorgestellt, startet er eine verbale Kanonade auf die Bürgerversicherung und die Agenda 2010. Er ist Angestellter einer privaten Krankenversicherung, und die will Rot- Grün langfristig abschaffen. Außerdem verzeiht er der Partei der beiden Besucher Schröders Reformen nicht: „Sie haben den Grundstein dafür gelegt, dass Millionen von Kindern in Armut leben.“

Mit einem freundlichen „Wir müssen jetzt trotzdem weiter“ verabschiedet sich der Kandidat. Dann geht’s ins Hinterhaus, wo die Stimmung deutlich besser wird. Als die erste Tür aufgeht, läuft ein Mops heraus, dann erscheint ein Mann mit Baby auf dem Arm. Das SPD-Ziel Mietpreisbremse findet er richtig, dafür soll sich Felgentreu einsetzen. Auf die Schlussfrage, ob er wählen gehe, sagt er: „Auf jeden Fall.“ Joost und Felgentreu bedanken sich. „Das war der Normalfall“, versichert der Kandidat, der schon seit drei Wochen Klinken putzt.

Tatsächlich sind in den nächsten Häusern mehr Bewohner da und zeigen sich gegenüber den höflichen SPD-Leuten auch aufgeschlossen. Mindestlohn und Mietpreisbremse kommen bei fast allen gut an. „Ich hab’ nen Job, würde gerne nach Kreuzberg ziehen, kann es mir aber nicht leisten“, sagt eine rothaarige Frau mit Szenebrille. Fünf Millionen Hausbesuche hat sich die SPD vorgenommen – und das, obwohl Umfragen zufolge eine Mehrheit diese Direktansprache ablehnt.

Gezielt gehen die Campaigner in Viertel, in denen das soziale Milieu für die SPD stimmt und sie seit 1998 viele Stimmen verloren hat. Nach eineinhalb Stunden hat Gesche Joost nicht nur etliche neue Klingeltöne kennengelernt, sondern alle Besuche auch fein säuberlich in eine Statistik eingetragen: „21 Wähler haben wir angetroffen, bis auf einen waren alle für Mietpreisbremse und Mindestlohn, nur zwei wollten nicht wählen gehen“, referiert sie. Felgentreu findet das eine „insgesamt erfreuliche Bilanz“ und macht sich dann auf den Weg zurück zum SPD-Bürgerbüro in der Hermannstraße.

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