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Oskar Lafontaine: "Unvollendet ist jedes politische Projekt"

Oskar Lafontaine wird künftig nur noch Franktionschef der Linken im Landtag von Saarbrücken sein. Mit dem Tagesspiegel sprach er über die Ohnmacht der Bürger und seine Bedingungen für ein Bündnis mit der SPD.

Herr Lafontaine, viele Menschen werden im Alter konservativer. Sind Sie radikaler geworden?

Das ist, wenn man näher hinsieht, kein Widerspruch. Radikal denken heißt, zu den Wurzeln zurückgehen. Wer in den heutigen Zeiten des Finanzkapitalismus mit seinen verheerenden Auswirkungen Politik macht, muss nach den Traditionen der Arbeiterbewegung fragen, die Bestand haben. Zum Beispiel: Nur eine gerechte Eigentumsordnung ermöglicht überhaupt Demokratie.

Sie gelten als einer der umstrittensten Politiker in Deutschland. Ärgert Sie das?

Das ist eher ein Kompliment. Wenn ein Politiker verändern will, muss er bestehende Denkstrukturen angehen. Die neoliberale Denke ist doch Ursache auch für die Euro-Krise. Seit Jahren verlangen wir, eine Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene zu bilden, um die Lohn- und die Finanzpolitik zu koordinieren, immer wieder wurde das von den Neoliberalen abgelehnt. Auch unsere Forderung, die Finanzmärkte zu regulieren, ist nicht erfüllt worden. Jetzt zeigt sich die griechische Schuldenkrise auch als eine Krise der weltweiten Finanzordnung. Es war also richtig, gegen den Strom zu schwimmen.

Geändert hat sich nichts.

Ich hatte nie die Illusion, dass sich nach der Finanzkrise schnell etwas tut. Der deregulierte Finanzkapitalismus ist ein Ergebnis neoliberalen Denkens. Und das hat sich über zwei, drei Jahrzehnte aufgebaut. Der Neoliberalismus ist an die Wand gelaufen, aber die Denk- und Machtstrukturen bleiben bestehen. Auch wenn es viele noch nicht gemerkt haben: Die großen Banken haben sich selbst verstaatlicht, sie zocken und spielen mit Milliardenbeträgen, und wenn es schiefgeht, ist Vater Staat der Anteilseigner.

Sie haben also recht, aber Sie können sich nicht durchsetzen?

Was ist das für ein Linsengericht, wenn man recht hat, aber die Zerstörung der Weltwirtschaft weitergeht? Letztlich zahlen doch bei uns, in Griechenland und in Europa wieder nur die kleinen Leute für die Folgen der verheerenden Krise.

Empfinden Sie Ohnmacht?

Da fällt mir der Mythos des Sisyphos ein. Man muss immer wieder versuchen, den Stein hochzurollen. Albert Camus schreibt: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Sie werden künftig nur noch Fraktionschef der Linken im Landtag von Saarbrücken sein. Hinterlassen Sie das Projekt Linkspartei, das Sie selbst groß gemacht haben, unvollendet?

Unvollendet ist wahrscheinlich jedes politische Projekt. Wenn ich erst gegangen wäre, wenn die Sache vollendet ist, dann wäre ich auf dem Stuhl des Parteivorsitzenden gestorben. Politik hat immer etwas Unfertiges und Unvollkommenes. Aber: Wir sind mit der Linken weiter, als ich gedacht habe, als es vor fünf Jahren losging. Im Osten ist die Verankerung der Partei historisch gewachsen. Aber am kommenden Sonntag haben wir in Nordrhein-Westfalen gute Chancen, in den siebten westdeutschen Landtag einzuziehen. Es gibt jetzt ein Fünf-Parteien-System in Deutschland, ob das den Konkurrenten schmeckt oder nicht.

Schwarz-Gelb ist im Bund dennoch an die Regierung gekommen.

Weil viele SPD-Wähler zu Hause blieben. Alle Parteien in Deutschland haben ein Glaubwürdigkeitsproblem. Bei der SPD hat sich das besonders ausgewirkt, aber auch wir sind in vollem Umfang betroffen. Selbst bei einer Bundestagswahl geht jeder Dritte nicht hin. Diese Leute sagen: Egal was wir machen, es ändert sich doch nichts, und den Parteien kann man nicht mehr glauben.

Beobachten Sie eine gesellschaftliche Stimmung hin zu einem Linksbündnis 2013?

Es tut sich etwas. Sonst hätte die Linke bei der Bundestagswahl nicht 11,9 Prozent erreicht. Ein Teil der Wähler hat also nicht völlig resigniert. Aber leider gibt es bisher keine wirklich starke Bewegung für gesellschaftliche Veränderungen, dafür aber Unsicherheit und Angst. Die Menschen erfahren die Politik in der Krise als ohnmächtig.

Können Sie uns den Zustand der westlichen Demokratien auf einen Begriff bringen?

Der Finanzkapitalismus und die Ballung wirtschaftlicher Macht unterhöhlen und gefährden die Demokratie. Unsere Antwort darauf: Wir müssen die großen Banken an die Kette legen und die Enteignung der Arbeitnehmer rückgängig machen, das heißt sie zu Anteilseignern ihrer Unternehmen machen.

11,9 Prozent sind noch keine Mehrheit.

Uns bleibt nichts, als immer wieder für unsere Positionen zu werben.

Was passiert im linken politischen Lager? Können Sie sich etwa der Schnittmengen mit den Grünen noch sicher sein?

Die Grünen sind mal als Antiparteienpartei angetreten. Heute kann man ihnen allenfalls das Eintreten für den Umweltschutz zubilligen. Aber sie haben den Sozialabbau mitgemacht, sie haben mit den Finanzhaien zusammen mit der SPD den roten Teppich ausgerollt und sie haben die Beteiligung Deutschlands an Kriegen mit zu verantworten. Und ich sehe auch nicht, dass die SPD in der Opposition ordentlich nach links rückt.

In dem Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei fordern die einen mächtig Bewegung von den anderen – und umgekehrt. Am Ende kommen beide nicht zusammen?

Die Wahrheit ist immer konkret. Solange die SPD meint, mit dem Krieg in Afghanistan das Land zu befrieden, ist eine Zusammenarbeit nicht möglich. Für die Sozialdemokratie darf es nur ein Zurück geben zur Maxime Willy Brandts: „Krieg ist nicht die Ultima Ratio, sondern die Ultima Irratio.“

Hätten Sie als ehemaliger SPD-Vorsitzender nicht die Versöhnung zwischen ihrer alten und ihrer neuen Partei organisieren müssen?

Es geht nicht um plumpe Kameraderie. Ich wollte dazu beitragen, dass sich die SPD von ihrem Irrweg verabschiedet. Teilweise kommt da etwas in Gang. Wir können uns nur versöhnen über gemeinsame politische Ziele. Alles andere hält nicht. Ohne die SPD bekommen wir im Land keine linke Mehrheit. Aber die SPD muss auch linke Politik wollen.

Wird es mit Ihrem Rückzug aus der Bundespolitik einfacher im Verhältnis der beiden Parteien?

Es ist doch kindisch, wenn Sozialdemokraten so denken. Es geht um die Interessen der Bevölkerung, nicht um das Abreagieren von Gefühlen.

Ist die Linkspartei unverzichtbar geworden in der politischen Landschaft? Oder denken Sie perspektivisch an eine mögliche Vereinigung mit der SPD?

Wenn beide Parteien irgendwann einmal dasselbe Programm haben, kann sich diese Frage stellen. Das sehe ich aber nicht. In der Ära des Neoliberalismus ist die Linke unverzichtbar.

In Nordrhein-Westfalen sieht es nicht nach einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis nach dem 9. Mai aus. Warum sind sich SPD und Linke dort so fremd?

Das kommt eher von der SPD. Aber es bleibt eine Außenseiterchance für Rot-Rot-Grün: Wenn die SPD nur in dieser Konstellation eine Ministerpräsidentin stellen kann, wird sie ihre unpolitischen Eiertänze bereuen und neu nachdenken.

Sind Ihre eigenen Genossen in NRW nicht selbst viel zu skeptisch gegenüber einer Regierungsbeteiligung?

Die Skepsis ist mehr als berechtigt. Viele unserer Mitglieder haben mit der SPD sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Im Falle des Falles müssen wir Überzeugungsarbeit leisten. Aber ich bin sicher, dass letztlich die Mehrheit unserer Mitglieder für eine Regierungsbeteiligung stimmen wird, wenn so der Sozialabbau im Bundesrat gestoppt werden kann.

Herr Lafontaine, Sie sind politisch ganz gut in Schwung.

Vielen Dank für das Kompliment.

Auch wieder bei guter Gesundheit?

Ich bin zufrieden.

Ein Ausstieg aus der Politik ist also nicht absehbar?

Was heißt Ausstieg? Ich werde auch künftig nicht nur den Garten bestellen und spazieren gehen. Wenn sich meine gesundheitliche Situation weiter stabilisiert, werde ich als eine politische Stimme auch auf der Bundesebene zu hören sein. Unser nächstes Etappenziel ist Nordrhein-Westfalen. Damit das klar ist: Einen Sitzplatz in der ersten Reihe strebe ich nicht mehr an.

Das Gespräch führte Matthias Meisner. Das Foto machte Mike Wolff.

BERUF

Oskar Lafontaine wurde am 16. September 1943 in Saarlouis geboren. Er studierte Physik – und machte die Politik zum Beruf. 1976 wurde der SPD-Politiker Oberbürgermeister von Saarbrücken, 1985 Ministerpräsident des Saarlandes, 1995 SPD-Chef und 1998 Bundesfinanzminister. Im Streit mit Gerhard Schröder zog er sich im 1999 zurück.

AUFRUF

2005 schweißte Lafontaine die WASG mit der PDS zusammen. Gemeinsam mit Gregor Gysi führte er die neue Fraktion, wurde später 2007 auch Parteichef der Linken.

ZWISCHENRUF

Nach einer Krebserkrankung entschied er sich zum Rückzug aus der Bundespolitik. Vor den Neuwahlen der Parteispitze Mitte Mai in Rostock verschärfte er den Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Linken. Und will künftig, wenn es ihm nötig scheint, als Fraktionschef im Saarland zwischenfunken.

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