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Ismail Hanija 2000

© dpa

Palästinensergebiete: Ein Volk, zwei Regierungschefs

Palästinenserpräsident Abbas hat seinen Finanzminister Fajad zum Premier ernannt - doch der Hamas-Politiker Hanija tritt nicht ab.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat am Freitag den angesehenen bisherigen Finanzminister Salam Fajad zum neuen Ministerpräsidenten ernannt und ihn beauftragt, eine Notstandsregierung zu bilden. Doch der von Abbas am Vortag abgesetzte Regierungschef Ismail Hanija von der radikalislamischen Hamas hat seine Entlassung zurückgewiesen und will weiter von Gaza aus amtieren.

Die Truppen der Hamas übernahmen am Freitagmorgen mit der Eroberung des Präsidial-Komplexes in Gaza-Stadt die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen. Die Einnahme dieser letzten Bastion der Fatah-Bewegung erfolgte kampflos, da deren Kämpfer sie zuvor verlassen hatten. Mit den Gebäuden fielen der Hamas viele gepanzerte Fahrzeuge, leichte und mittelschwere Waffen und Munition sowie wichtige Akten in die Hände.

Bewaffneten und Hamas-Sympathisanten plünderten den Amtssitz des Präsidenten und dessen Residenz. Ismail Hanija rief sie auf, die Plünderungen sofort einzustellen. Auf dem Präsidentensessel sitzend führte ein Bewaffneter vor laufender Kamera ein fiktives Telefonat mit US-Außenministerin Condoleezza Rice. Er tat so, als teile er ihr mit, dass das Ende „des prowestlichen Regimes in Gaza gekommen“ sei und es keinen Abu Mahsen (Mahmud Abbas) mehr gebe. Hanija wies noch in der Nacht den Rücktritt der von ihm geführten „Regierung der nationalen Einheit“ durch Abbas zurück. Er und die Hamas-Minister, die alle in Gaza- Stadt amtieren, würden ihre Arbeit trotz des Dekrets aus Ramallah im Westjordanland weiterführen. Hanija sprach sich gegen die Bildung eines eigenen Staates im Gazastreifen, aber für einen Dialog mit Abbas über eine nationale Versöhnung aus.

Fajads Ernennung zum Premier war erwartet worden. Die neue Regierung mit Sitz in Ramallah wird keine Hamas-Minister aufweisen, aber auch keine Aktivitäten im Gazastreifen ausüben können. Die Hamas-Milizen haben in den vergangenen Tagen die Hauptquartiere der Fatah-loyalen offiziellen Sicherheitskräfte, sowie die von Fatah-Politikern geleiteten Ministerien im Gazastreifen gestürmt. Bei Schusswechseln sowie durch gezielte Tötungen von Fatah-Kommandanten starben nach vorläufigen Angaben 98 Menschen, Hunderte wurden verwundet – fast ausschließlich Fatah-Anhänger.

Am Freitagmorgen herrschte in den Städten des Gazastreifens plötzlich Ruhe, die ersten Zivilisten trauten sich aus ihren Häusern. Es wurden Süßigkeiten verteilt als Zeichen des Sieges, ähnlich wie vor fast zwei Jahren nach dem Abzug israelischer Siedler und Soldaten. Spannung kam noch einmal auf als Hamas die Festnahme fast aller im Gazastreifen zurückgebliebenen hohen Offiziere der Fatah-loyalen Truppen und führender Parteifunktionäre bekanntgab. Später aber verkündete Hamas deren Begnadigung. Die meisten Führungskräfte der Fatah-loyalen Truppen sind bereits in den vergangenen Tagen nach Ramallah geflohen. Donnerstag und Freitag erreichten 99 weitere hohe Offiziere auf dem Landweg Ägypten, zusätzliche 100 erreichten im Boot oder schwimmend ägyptisches Territorium. Sie sind in einem Auffanglager in der Hauptstadt des nördlichen Sinai, in Al Arish, untergebracht. Aus Furcht vor einer Massenflucht soll Ägypten massiv Truppen verstärkt und gepanzerte Fahrzeuge und Wasserwerfer in Stellung gebracht haben.

Offizielle Stellen in Israel verlauteten, dass die Strom- und Trinkwasserlieferungen in den Gazastreifen uneingeschränkt weitergingen. Die Grenzübergänge aber bleiben geschlossen. Premier Ehud Olmert will bei seiner US-Reise zwei Vorschläge zum Gazastreifen einbringen: Ein internationaler Hilfsplan für humanitäre Unterstützung sowie die Stationierung einer internationalen Truppe auf dem Grenzstreifen zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, wo bisher der Waffenschmuggel blühte. Olmert ernannte am Freitagnachmittag den neugewählten Arbeitsparteichef Ehud Barak zum neuen Verteidigungsminister.

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