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Kurt Beck

© dpa

Parlament: Becks Karten

Die SPD fürchtete eine Blamage ihres Chefs Kurt Beck in der Europa-Debatte – doch der kann gegen Merkel bestehen.

Berlin - Vor Kurt Beck auf dem Rednerpult liegen Karteikarten. Das lässt nichts Gutes ahnen. Etliche solcher Karten waren im Spiel, als Beck auf dem Hamburger Parteitag im Herbst vergangenen Jahres eine Grundsatzrede halten wollte. Er reihte dann zwei Stunden lang Bandwurmsätze aneinander, deren Ende eher selten mit dem Anfang zu tun hatte, und wenn doch, dann hatte man den Anfang garantiert vergessen. In der SPD-Fraktion rechnen sie deshalb mit dem Schlimmsten an diesem Donnerstagmorgen im Bundestag. Auf der Tagesordnung steht der EU-Reformvertrag von Lissabon, der die Europäische Union vom 1. Januar 2008 an auf eine neue Rechtsgrundlage stellen soll und über den die Abgeordneten abstimmen. Vorher aber hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das Wort. Und nach ihr Beck.

Es ist das erste Mal, dass die CDU-Chefin und der SPD-Chef zum selben Thema im Parlament sprechen; in den Zeitungen ist von einem Duell die Rede. Der Kampf aber, den Beck auszutragen hat, ist eher ein Kampf mit sich selbst. Er muss an diesem Tag eine halbwegs passablen Auftritt abliefern. Denn die Zweifel in der SPD an seiner Person – nicht nur an der Eignung zum Kanzlerkandidaten, sondern auch als Parteichef – sind seit Montag noch einmal gewachsen. Da erschien im „Spiegel“ ein Beck-Interview, in dem der SPD-Chef gar keine gute Figur machte. „Da spricht die pure Angst“, urteilte einer vom rechten SPD-Flügel.

Angela Merkel hat keine Karteikarten vor sich, sondern ein Manuskript. Darin steht, was man von einer Kanzlerin erwarten darf an einem solchen Tag. Merkel preist den Vertrag als „fundamentales politisches Bekenntnis Europas zu sich selbst“, als „Gewinn für Deutschland“, „nicht hoch genug einzuschätzen in seiner Bedeutung“. Dann spricht sie von den kommenden Aufgaben dieses Europas, von der Pflicht, die Globalisierung stärker zu gestalten. Die Menschen würden von der Politik erwarten, dass sie den ökonomischen Entwicklungen nicht hinterherlaufe, sondern einen sozialen Rahmen schaffe. Und noch ein Ziel nennt Merkel: Das Subsidiaritätsprinzip, wonach staatliche Aufgaben im Zweifel auf der unteren Ebene erfüllt werden, soll in Europa mehr Geltung erhalten. Künftig gelte es die Frage zu stellen: „Wo kann etwas in Berlin, Schwerin oder Mainz erledigt werden.“ Da lachen sie in den Reihen der CDU und grinsen hinüber zu Beck, der als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz in Mainz regiert und, wenn es nach ihnen geht, auch dort bleiben soll. Wenig später sieht man Beck, wie er sich auf der Länderbank des Bundestages auf seinen Karteikarten Notizen macht. Er braucht jetzt eine angemessene Replik.

Der SPD-Chef beginnt seine erste Bundestagsrede mit einer vorsichtigen Würdigung des EU-Vertrages („ein vorläufiger Abschluss des Einigungsprozesses“). Er spricht in klaren Sätzen. Wie es sich für einen auf Souveränität bedachten potenziellen Herausforderer gehört, lobt er die Rolle der früheren EU-Ratspräsidentin Merkel. Die Kanzlerin habe auch Mainz und Rheinland-Pfalz völlig zu Recht angesprochen, fährt Beck fort. Schließlich sei beim Hambacher Fest in der Pfalz 1832 schon der Gedanke an ein freies Europa propagiert worden, als Bayern noch Truppen gegen solche Ideen habe aufmarschieren lassen. Gelächter im Plenum. Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) wird die Heiterkeit später noch durch den Hinweis steigern, die Pfalz sei früher eine Provinz des Königreichs Bayern gewesen. Vorher aber wartet Beck noch mit einer SPD-Botschaft auf: „Es fehlt an Europa ein ganz entscheidender Teil – nämlich, was wir soziales Europa nennen.“ Soziale Gerechtigkeit müsse zur Vision der EU werden. Notwendig seien der Ausbau der Arbeitnehmerrechte und der Mitbestimmung. In Deutschland müssten Mindestlöhne eingeführt werden, wie es in 22 EU-Mitgliedstaaten längst Standard sei. Nach der Rede trifft man auf entspannte SPD-Sprecher. Anders als sonst, müssen sie keine kritischen Fragen zu Becks Befähigung als Redner beantworten. Das Karteikarten-System ist noch nicht an sein Ende gekommen.

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