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Politik: Parlament gegen Armee

Ankara nimmt den Generälen die politische Macht

Die Türkei hat am Mittwoch einen wichtigen Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft vollzogen: Das Parlament in Ankara stimmte mehrheitlich einer Reformvorlage zu, nach der die Armee ihre Vormachtstellung in der türkischen Politik einbüßen soll. Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer muss dem Paket noch zustimmen. Das Parlamentsvotum machte aber deutlich, dass die Politiker in der Türkei zum ersten Mal seit dem Staatsstreich von 1980 bereit sind, die Macht der Generäle zu beschneiden.

Kern des siebten „Harmonisierungs-Pakets“ zur Stärkung der türkischen EU-Bewerbung ist eine Reform des Nationalen Sicherheitsrates. Bei den bisher monatlichen Ratssitzungen, an denen die Regierung, der Staatspräsident und die Armeeführung teilnahmen, legten die Militärs die Leitlinien der Innen- und Außenpolitik fest. Der Rat spielte 1997 eine wichtige Rolle bei der Entmachtung des ersten islamistischen Ministerpräsidenten, Necmettin Erbakan, durch die Generäle.

In Zukunft soll der Sicherheitsrat nur noch alle zwei Monate tagen. Die Regierung erhält das Recht, den Generalsekretär des Sicherheitsrates zu bestimmen, der bisher von den Militärs gestellt wurde. Zum ersten Mal kann es damit auch einen zivilen Generalsekretär geben. Außerdem werden die Befugnisse des Gremiums beschnitten; unter anderem hat der Sicherheitsrat in Zukunft nicht mehr die Aufgabe, die Umsetzung sicherheitspolitisch relevanter Entscheidungen zu überwachen. Der bisherigen politischen Rolle der Generäle wird so die rechtliche Grundlage entzogen. Das Reformpaket enthält zudem noch Bestimmungen zur Liberalisierung des Demonstrationsrechts und der Meinungsfreiheit sowie zur strengeren Ahndung von Folter-Delikten.

Die türkische Armee hatte 1960, 1971 und 1980 vorübergehend die Macht an sich gerissen, weil sie die Politiker für inkompetent hielt. Deshalb zählte die Neuordnung des Sicherheitsrates zu den heikelsten Reformvorhaben der Regierung. In den Tagen vor der Parlamentsentscheidung hatte die Armee heftige Kritik daran geübt und argumentiert, die nationale Sicherheit werde gefährdet. In den Ausschuss-Beratungen vor der Plenumsentscheidung wurde aber deutlich, dass Regierung und Opposition entschlossen waren, die Reform zu verabschieden. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte am Mittwoch, falls nötig werde noch ein weiteres EU-Reformpaket auf den Weg gebracht. In den vergangenen elf Monaten hatte die Türkei mit mehreren solcher Pakete die Todesstrafe abgeschafft und die Rechte der Kurden verbessert. Menschenrechtsgruppen kritisieren jedoch, die Reformgesetze würden vor allem in der türkischen Provinz nach wie vor nicht umgesetzt. Der Stand der Umsetzung von Reformen wird ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Bewertung der türkischen EU-Bewerbung im kommenden Jahr.

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