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Parlamentsabgeordnete Barakzai: "Eine Stichwahl ändert nichts"

Die afghanische Parlamentsabgeordnete Shukria Barakzai über gefälschte Stimmen und Erwartungen an den Westen.

Die Wahl in Afghanistan war weder frei noch fair. Wie soll es nun weitergehen?

Die Manipulationen haben lange vor den Wahlen begonnen, mit Absprachen und Einschüchterungen. Letztlich hatten die Afghanen dann die Wahl zwischen einem schlechten und einem noch schlechteren Angebot. Nun sollten wir das Ergebnis akzeptieren wie es ist. Schließlich haben die Wähler hohe persönliche Risiken auf sich genommen, um von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen.

Wäre es nicht besser, wenigstens eine Stichwahl zwischen Präsident Karsai und seinem stärksten Konkurrenten Abdullah zu organisieren?

Das ändert nichts. Schon jetzt war die Wahlbeteiligung gering, bei einem zweiten Wahlgang würde sie noch niedriger ausfallen. Der Sieger könnte sich also keinesfalls auf eine höhere Legitimität berufen. Trotz aller Betrugsvorwürfe sollte man zudem sehen, dass Präsident Karsai nach den vorläufigen Ergebnissen etwa den gleichen Stimmenanteil erhalten hat, wie bei der letzten Wahl vor fünf Jahren. Und auch damals war sein Herausforderer aus dem Lager der ehemaligen Mudschaheddin abgeschlagen. So sind nun einmal die realen Kräfteverhältnisse. Die Manipulationen auf beiden Seiten konnten diese Tatsache nicht außer Kraft setzen.

Der Westen ist angetreten, den Afghanen Demokratie zu bringen. Sollen die ausländischen Partner einfach stillhalten?

Der Westen hat ohnehin schon zu viel Einfluss genommen. Er sollte sich künftig darauf konzentrieren, die afghanischen Institutionen zu stärken und nicht nur auf Personen schauen. Entscheidend ist doch nicht, wer ein Ministerium führt, sondern wie das Ministerium arbeitet. Erst wenn wir eine effiziente Bürokratie haben, kann sich im Land etwas verändern.

War es nicht ein Fehler, Afghanistan ein System überzustülpen, dass dem Präsidenten viel, dem Parlament dagegen wenig Befugnisse einräumt?

Die Verfassung hat dem Parlament durchaus Gewicht verliehen. In der Realität sitzen dort nur leider lauter Einzelkämpfer, ehemalige Kriegsherren und andere, die nicht wirklich an einer Demokratie interessiert sind.

Sollte der Westen auch seine Militärpräsenz zurückfahren?

Natürlich brauchen wir noch Hilfe, bis unsere eigenen Sicherheitskräfte stark genug sind, uns zu schützen. Klar ist aber auch: Durch einen Krieg lassen sich die Probleme unseres Landes nicht lösen. Zwei Dinge sind entscheidend: Es muss Verhandlungen mit den Aufständischen geben, auch mit den Afghanen unter den Taliban, um sie in den politischen Prozess einzubeziehen. Wenn sie eine Partei gründen wollen, dann haben sie das Recht dazu. Zweitens muss mehr getan werden, damit sich die Lebensbedingungen der Afghanen endlich bessern. Die meisten, die sich dem Aufstand anschließen, tun dies schlicht aus blanker Existenznot. Wenn die ausländischen Truppensteller die Hälfte ihrer Budgets für Entwicklungsvorhaben ausgeben würden, könnten sie viel mehr erreichen als mit immer mehr Soldaten.

Die Bundeswehr hatte bisher einen guten Ruf. Hat sich dies nach dem folgenschweren Luftangriff bei Kundus mit vielen zivilen Opfern verändert?

Es ist immer schlimm, wenn Unbeteiligte sterben. Deshalb begrüße ich die neue Strategie der USA – auch wenn man erst einmal abwarten muss, ob sie in der Praxis auch wirklich umgesetzt wird. Was die Deutschen betrifft, so glaube ich, dass sie weiter hohes Ansehen genießen. Die Menschen glauben ihnen, dass ihnen der Vorfall nicht gleichgültig ist. Sie sollten sich nun aber auch um die Familien der Opfer kümmern.

Shukria Barakzai (37) ist Abgeordnete

im Kabuler Parlament und Vorsitzende

der demokratischen Reformpartei

„The Third Line“.

Das Gespräch führte Ulrike Scheffer.

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