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Ayman Odeh, der Chef der gemeinsamen arabischen Liste.

© Reuters

Parlamentswahl in Israel: Gemeinsame arabische Liste steht vor großem Erfolg

Rund 20 Prozent der Israelis sind Araber. Bislang waren sie politisch zersplittert, nur wenige gingen zur Wahl. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Es gibt eine gemeinsame arabische Liste - und die Euphorie ist groß.

Wenn, wie erwartet, die erste „gemeinsame arabische Liste“ bei den Parlamentswahlen am kommenden Dienstag den größten Wahlerfolg der arabischen Parteien in Israel feiert, werden sich ihre Vertreter bei einem Menschen bedanken können: Außenminister Avigdor Lieberman. Vor einem Jahr setzte der Rechtsnationalist, der die 1,6 Millionen Araber als Sicherheitsgefahr und fünfte Kolonne bezeichnet, die Erhöhung der Sperrklausel von zwei auf 3,25 Prozent durch. Er wollte radikale Parteien, sicherlich die arabischen, hinausdrängen und Israel regierbarer machen. So zwang er die Kommunisten, Nationalisten, Islamisten und Feministinnen, ihre großen Differenzen zu überwinden und gemeinsam Wahlkampf zu machen. Die arabischen Wähler honorieren dies mit einem beispiellosen Anstieg der Wahlbeteiligung von 51 Prozent im Jahr 2013 auf aktuell 64 Prozent, so Wahlanalyst Camille Fuchs. Dies könnte einen Wahlsieg Netanjahus verhindern.

Die „Liste“ kann 13 Mandate erringen und die größte Oppositionsfraktion werden. Deren Vorsitzender ist Ayman Odeh, der Chef der jüdisch-arabischen kommunistischen Partei Hadash. Der 41-jährige Rechtsanwalt und Atheist könnte als Oppositionsführer einen arabischen Vorsitzenden eines Parlamentsausschusses nominieren. Er wird laut Gesetz vom Premierminister zumindest einmal im Monat informiert, im Plenarsaal gleich nach dem Premier reden dürfen und neben ihm an staatlichen Zeremonien teilnehmen. Die arabischen Israelis werden sichtbar, auch wenn sie, wie seit der Staatsgründung 1948, nicht Teil der Regierung werden.

Im Auditorium einer Jugendherberge in West-Jerusalem, nur einen Katzensprung von Netanjahus Residenz entfernt, wartet ein Tross von Journalisten auf den neuen Medienstar Odeh. Populär gemacht hat ihn sein höflicher, gelassener und eloquenter Auftritt in einer Talkrunde mehrerer Parteivorsitzender im israelischen Fernsehen, gerade angesichts der rüden Attacken von Israels Chefdiplomat Lieberman. „Warum bist Du überhaupt hier?“ fragte ihn Lieberman. „Du definierst dich als Palästinenser, dann geh zu Abu Masen (Mahmud Abbas) ins palästinensische Parlament!“

Odeh entgegnete: „Ich bin sehr willkommen in meiner Heimat“. Als Odeh betonte, er stehe für ein Zusammenleben und daran erinnerte, dass die Araber immerhin 20 Prozent der Israelis ausmachen, kommentierte dies Lieberman mit einem Wort: noch. Ob er eine Zwangsumsiedlung oder „nur“ die Ausbürgerung der arabischen Israelis meinte, ließ er offen.

Ein großes Plakat schmückt die Bühne

Trotz seiner Verspätung beantwortet Odeh, glattrasiert und in einem dunklen Anzug, die vielen Fragen der Presse. Er will sich für alle Schwachen in der Gesellschaft einsetzen. „Wir werden das demokratische Camp in einer Zeit stärken, in der sich die Rechten ‚das nationale Camp‘ nennen und die Arbeitspartei ‚das zionistische Camp‘“. Odehs Mitstreiter Dov Hanin, der einzige jüdische Kandidat auf einen realistischen Platz, ist vorsichtiger: "Es besteht die Gefahr, dass die neue Liste die arabische Bevölkerung isoliert. Ich hoffe aber, dass wir neue Gruppen in Israel gewinnen können."

Entsprechend schmückt ein großes Plakat die Bühne: Unter dem Graffito "Araber raus" liest man: "Meine Antwort auf Rassismus". Die Mehrheit der rund 100 Zuhörer ist offensichtlich jüdisch, zwei von ihnen tragen sogar die traditionelle Kopfbedeckung, die sie als religiös definiert. Aber dieses Bild täuscht. Laut Fuchs werden nur 0,4 Prozent der jüdischen Israelis die arabische Liste wählen.

Der wohl prominenteste Anhänger der Liste ist Avraham Burg, einst Hoffnungsträger der Arbeitspartei, Chef der Einwanderungsbehörde Jewish Agency  und Parlamentspräsident. Der gläubige Jude hat das in seinen Augen sinkende zionistische Schiff verlassen. Daher engagiert er sich bei Hadash. „Ich bemühe mich, den israelischen nationalen Diskurs zwischen zwei gegnerischen Nationen in einen zivilen Diskurs über gleiche Rechte für Juden und Nichtjuden zu verwandeln, die friedlich nebeneinander leben. Hadash ist die einzige Partei, die die jüdisch-arabische Gleichheit auf ihre Fahne schreibt.“ Er ist nur enttäuscht, dass die gemeinsame Liste sein Angebot ablehnte, an jedem zweiten Listenplatz einen Juden zu platzieren und die Hälfte der Plätze für Frauen zu reservieren.

„Burg ist der wichtigste Mensch, der sich uns in den letzten Jahren angeschlossen hat", sagt Odeh. „Der Sohn des langjährigen Ministers der nationalreligiösen Partei, Josef Burg, ist einen langen politischen Weg gegangen. 1997 demonstrierte ich noch vor seinem Haus gegen die Verstaatlichung arabischen Landes. Burg, damals Vorsitzender der Jewish Agency, lud mich zu Kaffee und Kuchen ein und versprach mir, dies zu verhindern. Als Parlamentspräsident fand ich in seinen Reden einen neuen demokratischen Ton. Später las ich seine Bücher und merkte, dass er das Gute für alle Menschen und nicht nur für Angehörige seiner Nation sucht, so wie wir.“

Der Lieblingsaraber der Israelis - und ihr Lieblingsfeind

Wenn Odeh der Lieblingsaraber der Israelis geworden ist, ist die Parlamentarierin Hanin Zoabi von der nationalistisch-arabischen Balad-Partei ihr Lieblingsfeind. Sie hatte an der Gaza-Hilfsflotte teilgenommen und war daraufhin im israelischen Parlament angegriffen worden. Für die Parlamentswahl hatte ihr die Wahlkommission das passive Wahlrecht verwehrt. Das Oberste Gericht Israels verwarf jedoch diese Entscheidung. Die 40-jährige unverheiratete Feministin vergleicht die israelische Armee mit der ISIS und lehnt den Zionismus als rassistisch ab. Zoabi kämpft für die Abschaffung aller Privilegien für Juden in Israel und die Auflösung der zionistischen Institutionen. Sie fordert eine kulturelle Autonomie für die arabischen Israelis, die Teil der arabischen Welt werden sollen. Und sie fordert einen Nationalstaat für die Palästinenser mit Hauptstadt in Ost-Jerusalem.

Der Name des alternativen Kulturzentrums, wo Zoabis „heimisches Treffen“ im Wohnzimmer einer Privatwohnung in Tel Aviv stattfindet, passt bestens zu dieser freundlichen Wahlkampfdiskussion: Das Raumschiff. Denn nur wenige Stunden vor dem Treffen wurde sie auf einer hitzigen Diskussionsrunde physisch angegriffen: Liebermans Anhänger übertönten ihre Rede ausgerechnet mit der israelischen Nationalhymne, ein jüdischer Rechtsnationalist warf ein Glas Wasser an ihren Kopf, ein anderer schlug ihre Pressefrau mit der Stange einer Israel-Fahne. Zionistische Symbole können wehtun. Daher zeigt die Polizei an diesem Abend Präsenz vor dem heruntergekommenen Wohnblock, wo sich das Raumschiff befindet.

Mit großer Verspätung trifft Zoabi ein. Die elegant gekleidete Frau mustert neugierig und entspannt die rund 50 überwiegend jüdischen Israelis, die ihren Schilderungen des „Pogroms“ vom Vormittag und ihren schrillen Positionen geduldig lauschen. Diese Begegnung im „Raumschiff“ wirkt surreal. Denn die einzige arabische Abgeordnete ist eine Provokateurin und fordert ständig die israelische Demokratie heraus. Man könnte wohl ihre jüdischen Anhänger in einem solchen Wohnzimmer unterbringen, ganz ohne großen Andrang.

Im Gegensatz zu Hadash lehnte Balad die Gründung einer Listenverbindung zwischen dem arabischen Wahlbündnis und der linken Meretz-Partei ab, damit ihre Stimmen gemeinsam für die Berechnung der Mandate gezählt werden. Die Begründung: Meretz sei eine zionistische Partei. Durch das Fehlen eines Partners für die Listenverbindung könnte das arabische Bündnis ein bis zwei Mandate verlieren und dadurch eventuell Netanjahu wieder gewählt werden! (Meretz hat eine Listenverbindung mit der Arbeitspartei und würde keinen Schaden davontragen).

Im „Raumschiff“ frage ich Zoabi, ob sie nach den Wahlen dem Staatspräsidenten empfehlen würde, den Chef der Arbeitspartei Yitzhak Herzog mit der Regierungsbildung zu beauftragen. „Wir möchten Netanjahu stürzen, müssen aber zugleich die Arbeitspartei bestrafen“, sagt sie. „Sie hat die ersten Siedlungen gebaut, arabische Grundstücke enteignet, bei der zweiten Intifada im Jahr 2000 arabisch-israelische Demonstranten getötet und sie wollte mich von der Teilnahme an den Wahlen ausschließen. Herzog hetzt gegen mich persönlich.“ Diese Antwort regt einige jüdische Teilnehmer auf, die dafür am Wahltag wohl Zoabi bestrafen würden.

"Viele von uns haben ein Problem mit Islamisten oder Nationalisten"

Nicht so der jüdische Journalist und Hadash-Anhänger Noam Sheizaf. „Manche jüdische Anhänger lehnen die arabische Liste ab, weil die jüdische Präsenz dort verschwindend gering ist und ihre Agenda sich an die arabischen Israelis richtet“, sagt er. „Viele von uns sind sehr liberal und haben ein Problem mit Islamisten oder Nationalisten wie Balad. Ich unterstütze die Liste vor allem aus Solidarität mit den Palästinensern in Israel, die zur Zeit durch Lieberman und die Rechtsextremisten heftig angegriffen werden“. Als jüdischer Anhänger lernt Sheizaf zudem Demut. „Ich erlebe das, was die arabischen Israelis mitmachen, um sich an die Mehrheit anzupassen. Ich kann zum Beispiel viele Informationen über die Liste nicht verstehen, weil es sie nur auf Arabisch gibt.“

Nur einmal stützte sich eine israelische Regierung auf die Stimmen der arabischen Parteien. Mit der Unterzeichnung der Oslo-Verträge im September 1993 verließ die orthodoxe Shas-Partei die Regierung Yitzhak Rabins, die nur dank der beiden arabischen Parteien mit der knappsten Mehrheit regieren konnte. Dafür versprach Rabin den Frieden mit den Palästinensern anzustreben und die Gleichheit der arabischen Israelis zu fördern.

Diese goldene Zeit in den jüdisch-arabischen Beziehungen, von israelischen Nationalisten als „eine Regierung ohne jüdische Mehrheit“ beschimpft, endete mit Rabins Ermordung im November 1995. Der Chef der Arbeitspartei Yitzhak Herzog beklagt eine ähnliche Hetzkampagne der Rechten und bräuchte zudem die Stimmen der beiden Zentrumsparteien oder der beiden orthodoxen Parteien, die eine „jüdische Mehrheit“ anstreben. Aber immerhin spricht Herzog Arabisch, so dass er mit Odeh auf Augenhöhe verhandeln kann.

Würde die gemeinsame arabische Liste auch dann zusammenhalten, wenn Liebermans von Korruptionsaffären geplagte Partei „Unser Haus Israel“ an der von ihm erhöhten Sperrklausel scheitert? Hanin Zoabi lächelt: „Ja, denn die neue Sperrklausel bleibt und sie erzwingt unsere politische Vereinigung.“

Igal Avidan

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