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Parlamentswahlen in Südafrika: Die Resignation von Mandelas Erben

Der ANC verkörpert die Arroganz der Macht und ist von Skandalen geschüttelt – und dennoch wird er die Parlamentswahl am Mittwoch gewinnen. Wo steht Südafrika heute?

Der Schriftsteller André Brink sprach von seiner südafrikanischen Heimat einst als einem Ort, an dem man beim Nachdenken über die Zukunft zunächst die eigenen Ängste überwinden müsse, so schwer dies auch sei. „Auf dem langen Weg, der vor uns liegt“, schrieb Brink noch zuzeiten der Apartheid, „geht es nicht um große Visionen, sondern vor allem um ein stilles Zutrauen in die Zukunft des Landes.“ Wer die Vielfalt und Lebensfreude, aber auch die rassische Zerrissenheit und Geschichte des Landes kennt, wird diese Worte besser verstehen.

Spätestens seit dem Tod seines Gründervaters Nelson Mandela im Dezember geht es am Kap nicht mehr darum, wie weit Südafrika seit den Tagen der Apartheid gekommen ist, sondern darum, was für ein Land der frühere Rassenstaat künftig sein wird. Neben der Trauer über den Tod Mandelas hat zuletzt vor allem die Ungewissheit über die Zukunft die nationale Debatte dominiert. Viele Südafrikaner scheinen erst jetzt zu begreifen, dass die Abschaffung der Apartheid vor 20 Jahren der leichtere Teil des Umbruchs war – und dass zur Belohnung für diese historische Leistung nicht automatisch eine funktionierende Demokratie auf sie wartet, wie viele in der ersten Euphorie gemeint hatten. Als weit schwieriger hat es sich erwiesen, eine erfolgreiche Wirtschaft und effiziente Institutionen zur Abstützung des gesellschaftlichen Wandels zu bauen.

Wenn Südafrika heute, fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der Vereidigung von Nelson Mandela zum ersten schwarzen Staatspräsidenten des Landes, zum fünften Mal an die Wahlurnen geht, werden die Schlangen wartender Menschen viel kleiner als damals sein. Ein Großteil der Schwarzen, vor allem die Generation der „born frees“, die keine Erinnerung mehr an die Apartheid haben, glaubt nicht mehr daran, dass ihre Stimme wirklich etwas bewirken kann. Dass dies so ist, liegt neben der zunehmenden Machtarroganz des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) daran, dass Südafrika mittlerweile in einer oft bedrückenden Normalität angelangt ist: Zwar ist die Bürgerkriegsgefahr von einst gebannt, doch hat das Land nun ganz andere Sorgen.

Wie andere Schwellenländer wird auch das Land am Kap von hoher Kriminalität, scharfen sozialen Gegensätzen und einer überbordenden Korruption geprägt. Hinzu kommen die Probleme, die das Land noch immer mit den Folgen von Aids hat. Von der Regenbogennation, wo Gut über Böse triumphiert und Schwarz und Weiß gemeinsam in die Zukunft schreiten, ist es weit entfernt.

Im Gegenteil: Statt an Mandelas Versöhnungspolitik festzuhalten, forciert der ANC nun mit rigiden Quoten einen oft umgekehrten Rassismus und diskriminiert offen die Weißen. Die dadurch bedingten Ängste verdecken jedoch genau wie die Verklärung der Zustände, dass Südafrika in den letzten Jahren gelernt hat, ohne seinen Gründervater zu leben. Dass es dem ANC bislang nicht gelungen ist, die Verfassung des Landes nachhaltig zu unterminieren, verdankt das Land vor allem seiner lebendigen Bürgergesellschaft, insbesondere den kritischen Medien und der (noch) unabhängigen Justiz, darunter einer (schwarzen) Ombudsfrau, die bei der Aufdeckung politischer Missstände Großes geleistet hat. Auch ist die Opposition, vor allem die liberale Demokratische Allianz, die die Provinz Westkap mit der Metropole Kapstadt regiert, lebendiger und dynamischer, als viele glauben.

Warum der ANC noch immer eine starke Marke ist

Ganz langsam zerspringen auch die alten Rassenschablonen: Nicht nur unter den Weißen, sondern auch unter schwarzen Südafrikanern wächst der Unmut über die ständig neuen Korruptionsvorwürfe gegen Präsident Jacob Zuma und dessen schlechte Führung des Landes. An einem klaren Wahlsieg der früheren Widerstandsbewegung besteht trotz seiner Unbeliebtheit und der immer neuen Skandale seiner Regierung dennoch kein Zweifel. Dazu ist Mandelas ANC auch 20 Jahre nach seinem Machtantritt noch immer eine viel zu starke Marke. Dass sie jedoch zunehmend an Attraktivität verliert, hat der Tod Mandelas gezeigt. Vielen Menschen am Kap ist durch die Trauer um den großen Freiheitskämpfer und sein Erbe schmerzlich bewusst geworden, wie tief das Land unter seinen Nachfolgern in nur einer Generation gefallen ist.

In Südafrika selbst herrscht zum 20. Jahrestag der ersten freien Wahl deshalb zwar ein gewisser Stolz auf die junge, fragile Demokratie. Festtagsstimmung, wie der ANC sie vorgaukelt, sucht man jedoch vergebens. Bezeichnend dafür ist, dass Südafrika auf dem Demokratie-Index des britischen „Economist“ zwar auf Platz 31 gleich hinter Frankreich rangiert – aber bei der Bewertung der Zufriedenheit mit dieser Demokratie, wie sie der Global-Happiness-Index der Vereinten Nationen misst, nur abgeschlagen auf Platz 96 landet. Im Fall von Singapur ist das Bild genau umgekehrt: Trotz der dort weit schwächeren Demokratie sind seine Bewohner insgesamt viel glücklicher. Die Autoren der Studie erklären dies damit, dass die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen wie im effizient regierten Singapur für viele Menschen weit wichtiger ist als das bloße Abhalten von Wahlen.

Die Skepsis speist sich auch daraus, dass die Wirtschaft zuletzt nur noch um zwei Prozent gewachsen ist. Für reiche Länder wie Deutschland oder die Schweiz mag dies mehr als anständig sein. Für ein Schwellenland mit mehr als sieben Millionen Arbeitslosen wie Südafrika sind die Zahlen deprimierend, zumal nur sechs der 48 Länder südlich der Sahara zuletzt noch langsamer als die frühere Wirtschaftslokomotive des Kontinents gewachsen sind. Statt kleine Unternehmen zu fördern, knebelt der mit den Gewerkschaften und Kommunisten verbündete ANC die Geschäftswelt seit Jahren mit immer neuen Auflagen und Quoten.

Noch dürften sich die vielen Versäumnisse des ANC auch diesmal nicht im Wahlergebnis auswirken. Zu stark ist noch immer die Aura der einstigen Befreiungsbewegung und zu nahe der Tod des Volkshelden Mandela. Gleichwohl sind die vielen Proteste gegen die zahllosen inkompetenten Stadtverwaltungen am Kap ein klares Indiz dafür, dass die große Geduld der schwarzen Südafrikaner mit ihren Befreiern allmählich zu Ende geht.

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