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Katrin Jakobsdottir, Chefin der Links-Grünen von Island, gilt als beliebteste Politikerin im Land. Ob sie jetzt eine Regierung bilden kann, gilt als fraglich.

© Halldor Kolbeins/AFP

Parlamentswahlen: Island vor schwieriger Regierungsbildung

Die Bürger von Island wollten einen Neuanfang und setzten Neuwahlen durch. Aber jetzt fehlen den Reformkräften die nötigen Stimmen.

Als aufmüpfige kleine Nation machten die Isländer im April Schlagzeilen auf der ganzen Welt. Zehntausende zogen nach den Enthüllungen der „Panama Papers“ gegen die Machtelite in ihrem Land zu Felde. Veränderung war das Zauberwort der Stunde, die Bürger forderten Neuwahlen – und bekamen sie ein halbes Jahr später. Doch jetzt, nach den Wahlen, sieht alles schon wieder ganz anders aus. Die aufsässigen Isländer, so scheint es, trauen sich doch nur Veränderung „light“: Die rechtsliberale Partei ihres geschassten Ministerpräsidenten strafen sie zwar ab. Doch fast jeder Dritte wählt konservativ; die reformeifrigen Piraten können wohl keine Regierung bilden.

Finden die Isländer ihre Politiker doch ganz o.k.? Regierungschef Sigmundur David Gunnlaugsson jagten die Bürger im Frühjahr aus dem Amt, nachdem durch die Enthüllungen über Briefkastenfirmen in Steueroasen bekannt geworden war, dass seine Frau eine Firma auf den Britischen Jungferninseln besitzt. Auf dem Platz vor dem isländischen Parlament, einem quadratischen Fleck Rasen, um den sich Cafés reihen, protestierten sie den ganzen April: die Ärztin, der Taxifahrer, die Verkäuferin. Nie sind in Island mehr Menschen auf die Straße gegangen.

Die alte Regierung wurde mit Trommeln und Trillerpfeifen vertrieben

An einem Tag kamen mehr als 20.000 mit Trommeln und Trillerpfeifen, schmissen Bananen und Eier auf das Gebäude, das für alles Übel stand: eine korrupte Regierung, ein gebeuteltes Gesundheitssystem, Stillstand in Sachen neue Verfassung. 2012 hatten sie in einem Referendum für die von Bürgern erarbeiteten neuen Regeln gestimmt, die ein Zeichen des Neuanfangs nach der Finanzkrise sein sollten. Das Projekt wieder voranzutreiben, war das wichtigste Vorhaben der Piraten – das machte sie in Umfragen plötzlich zur stärksten Partei.

„Wir werden Island verändern!“ ruft die Internetaktivistin Birgitta Jonsdottir auch in der Nacht zum Sonntag noch ihren Anhängern in Reykjavik zu. Ihre Stimme geht im Jubel von Piraten aus 50 Ländern unter, die hier versammelt sind – in der Hoffnung, zum ersten Mal überhaupt Piraten in einem Land mitregieren zu können.

Am Morgen dämmert es den Mitgliedern der 2012 gegründeten Partei , dass das vorerst ein Traum bleiben könnte. Die Piraten erreichen fast dreimal so viele Stimmen wie bei der letzten Parlamentswahl. Ein Bündnis mit Links-Grünen, Sozialdemokraten und der „Bright Future“ hat aber keine Mehrheit: Es kommt auf 27 Sitze, die bisherige Mitte-Rechts-Koalition aus Fortschrittspartei und Unabhängigkeitspartei auf 29 Mandate. Zünglein an der Waage für die Regierungsmehrheit von 32 Sitzen dürfte die Erneuerungspartei mit sieben Mandaten sein.

Viele wollen einen Neuanfang - und viele wählen konservativ

Vielleicht geht es den Isländern gerade ein bisschen zu gut, als dass sie das Piraten-Experiment wagen wollten. Die Wirtschaft wächst, der Tourismus boomt, so gut wie niemand auf der Insel ist arbeitslos: So schlecht kann die Regierung ihre Sache nicht gemacht haben. Finanzkrise und Bankenkollaps von 2008 fühlen sich schon wieder ziemlich weit weg an. Bjarni Benediktsson, Chef der Konservativen und seit 2013 Finanz- und Wirtschaftsminister, ist in Island beliebt. Er will Ministerpräsident werden, wie es schon sein Großonkel war, daran lässt er keinen Zweifel: Die stärkste Partei solle als erste die Chance bekommen, sich an einer Regierungsbildung zu versuchen, sagt er.

Die Grünen und die Piraten sind zweit- und drittstärkste Kraft

Beliebter als der 46-Jährige ist nur Katrin Jakobsdottir, die Chefin der Links-Grünen. Ihre Partei hat zugelegt und liegt als zweitstärkste Kraft im Parlament praktisch gleichauf mit den Piraten.

Möglich, dass die Isländer beim Ankreuzen auf ihrem Stimmzettel eher nach Sympathien für Personen als für Parteien gegangen sind. In dem kleinen Land mit seinen gut 320.000 Einwohnern, wo jeder den anderen zumindest um ein paar Ecken kennt, spielen persönliche Beziehungen eine große Rolle.

Das Wahlergebnis ist für viele nun trotzdem das Worst-Case-Szenario: Unsichere Tage und Wochen sind genau das, was die Isländer nicht wollten. „Was auch immer jetzt passiert, es muss schnell passieren“, sagt Jakobsdottir. Am Sonntagabend trat zunächst einmal Regierungschef Sigurdur Ingi Johannsson zurück – bleibt aber bis zur Bildung einer neuen Regierung im Amt. (dpa/AFP)

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