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Parteitag: Bei der CDU werden die Flügel gestutzt

Koch, Rüttgers, Althaus, Oettinger: Der CDU-Parteitag verabschiedet sich von den Alten. Und damit auch von den Konkurrenten der Kanzlerin. Der Umbau zur Merkel-CDU ist vollzogen. "Aber im Raum für Kronprinzen herrscht schon wieder Gedrängel", spottet einer.

Von Robert Birnbaum

Sie kommen alle vor in dieser Rede. Konrad Adenauer, natürlich. Der Kanzler der Einheit, selbstverständlich, der soll ja auch noch von Oggersheim anreisen. Aber sogar Horst Köhler kommt vor, und das ist nicht selbstverständlich. Angela Merkel fand den Abgang ihres Bundespräsidenten in Stil und Form seinerzeit gar nicht komisch. Doch in den Regionalkonferenzen in den Wochen vor dem CDU-Parteitag ist immer mal wieder einer aufgestanden und hat gerüffelt, dass es nicht in Ordnung gewesen sei, wie man in Berlin mit dem Staatsoberhaupt umgegangen sei. Merkel sagt, dass es nicht in Ordnung war, wie SPD und Grüne mit Köhler umgegangen seien. Der Parteitag applaudiert. Man ahnt schon, was hier in der Messehalle in Karlsruhe in der nächsten Stunde zu erleben sein wird. „Gemeinsam.“ stellt das Parteitagsmotto in fetten Lettern auf der blauen Wand hinter dem Podium fest, mit einem fetten Punkt dahinter. So viel Christlich-Demokratische Union war Angela Merkel nie.

Dies ist ein ziemlich komplizierter Parteitag für die CDU-Vorsitzende, vor allem deshalb, weil er in einer schwierigen Zeit auf den ersten Blick so leicht erscheint. Zu entscheiden ist nichts. Selbst die Aussetzung der Wehrpflicht wird keine erregte Debatte mehr auslösen. Die Personalien stehen fest. Die Wahlergebnisse werden nicht mehr sein als Augenblicksdokumente. Das erste Jahr der Koalition war eine Katastrophe, aber Merkel kann sich sogar dies einfach machen: Inhalte in Ordnung, Stil und Umgangsformen nicht, doch darüber könne man ja mittlerweile in der Vergangenheitsform reden.

Kann man wirklich? „Die Partei hat sich wieder etwas stabilisiert, das ist gut“, sagt einer, der die Basis sehr gut kennt. Die Stimmung bleibt trotzdem fragil. In den wenigen Wortmeldungen zur Aussprache nach Merkels Rede klingt die Sorge nach wie vor durch, dass die CDU draußen im Land bei den Wählern noch sehr in Ungnade steht. Ausgerechnet der Ex-Grüne Oswald Metzger rechnet seinem neuen politischen Heimatverband vor, in seiner Jugendzeit seien Volksparteien solche mit 40 Prozent plus X gewesen und nicht mit 30 und ein bisschen. Ausgerechnet in dieser Zeit vollzieht sich vor den Augen der Delegierten ein Umbruch, dessen Folgen für die Zukunft der CDU noch gar nicht abschätzbar sind.

Denn auf dem Parteitagspodium sitzen ein letztes Mal Roland Koch und Jürgen Rüttgers. Heute wird ihr Abschied aus der Politik amtlich. Christian Wulff muss man sich dazu denken – der Herr Bundespräsident kann schlecht noch mal zum Winken vorbeischauen, von wegen der Würde und der Überparteilichkeit. Ihre Nachfolger sitzen auch schon dort: Ursula von der Leyen, Norbert Röttgen, Volker Bouffier.

Als Formel für den Umbruch an der Parteispitze hat sich „Generationenwechsel“ eingebürgert. Wenn Jürgen Rüttgers das hört, wird er aber richtig fuchsig. Als ob es um die quasi natürliche Ablösung der Älteren durch die Jungen ginge! Als ob das ein normaler Stabwechsel wäre! Ist es nicht, da hat er Recht. Koch geht mit Anfang 50 in die Wirtschaft, weil ihm die Politik keine Perspektive mehr bot. Wulff hat als Mann in den besten Jahren den exklusiven Ausweg ins Schloss Bellevue gewählt. Rüttgers haben sie nach fünf Jahren einfach abgewählt. „Vielleicht“, sagt er, „erleben wir hier endgültig den Abschied von der alten Bundesrepublik.“

Also doch ein Generationenwechsel. Politische Generationen sind kürzer als normale; eine Lebenszeit als Kanzler beispielsweise dauert im Durchschnitt nur acht Jahre. Für die Generation, die geht, war Helmut Kohl der politische Vater und das Vorbild. Und mit ihm Kohls CDU, diese Volkspartei der starken Flügel, die die Scheidenden noch versucht haben abzubilden: Koch, der Konservative, Rüttgers, der Rheinisch-Soziale, Wulff, der Mittelwegige. Bei den Neuen gilt das alte Muster höchstens noch für Bouffier. Aber der Hesse ist sowieso ein Sonderfall: ein Mann des Übergangs, der einen der starken Landesverbände zusammenhalten muss, bis sich ein jüngerer Erbe herausgeschält hat. „Der Volker will heute gewählt werden“, umgrenzt einer, der ihn kennt und durchaus schätzt, den überschaubaren Ehrgeiz des Parteifreunds. Der Ehrgeiz der zwei anderen reicht weiter. Von der Leyen hat ihn vor kurzem mit einem atemberaubend knappen Satz umrissen: In jeder Generation werde nur einer Kanzler.

Das war eine Kampfansage. Sie galt Leuten wie dem Nordrhein-Westfalen Norbert Röttgen oder dem Bayern Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU. „Im Raum für die Kronprinzen herrscht ja allmählich Gedrängel“, spöttelt einer von Merkels engeren Gefolgsleuten. Die Betonung lag allerdings auf „Prinzen“. Ein Roland Koch war lange Zeit ein ernsthafter Konkurrent um den Thron. Die Neuen müssen abwarten, bis die Königin abdankt. Das kann dauern. Selbst eine Niederlage der CDU im Stammland Baden-Württemberg wäre nicht Merkels Ende, sagen sogar Leute, die sonst keiner Verschwörungstheorie abgeneigt sind. Das Bild von der ständig Bedrohten, die sich nur mit List und einem Schuss Tücke an der Spitze halten konnte, hat ohnehin selten gestimmt. Inzwischen ist es schlicht falsch. Merkel ist alles andere als unumstritten. Unumstritten Vorsitzende ist sie.

Man kann das zum Beispiel an der nonchalanten Art ablesen, mit der die Vorsitzende den Alten adieu sagt. Jedem, der aus Vorstand oder Präsidium ausscheidet, gibt sie ein Wort zum Abschied mit. Friedbert Pflüger kriegt einen netten Satz auf den Weg („Du hast uns über viele Jahre begleitet“), Dieter Althaus, Günther Oettinger, die zornige Konservative Erika Steinbach – „Wir werden immer ein offenes Ohr für Sie haben.“ Christian Wulff wird erwähnt, in verständlicher Abwesenheit, aber „wir erinnern uns ja vielleicht noch, wie er aussieht“.

Dann bittet sie Roland Koch zum Pult. Ein langer, langer Applaus für den Hessen, der Parteitag steht auf, ein letztes Mal, auch Rüttgers tritt nach vorn. „Wir waren sicherlich am Anfang nicht immer einer Meinung“, sagt Merkel zu Koch. „Um so schöner, dass ich heute sagen kann, dass wir eigentlich Freunde geworden sind.“ Ein Buch des britischen Konservativen Edmund Burke zum Abschied, noch mal ein warmherziger Applaus. In Kochs Augenwinkeln blinkt es verdächtig. Jürgen Rüttgers kriegt ein Buch über die soziale Frage – „da du ja insgeheim immer der Arbeiterführer genannt wurdest unter uns“. Sogar Rüttgers wirkt angerührt.

Neulich hat sie einer von den Erfahrenen, der jene Zeit erlebt hat, mit Helmut Kohl verglichen. Ein anderer nicht minder Erfahrener hat energisch widersprochen: Wenn es der CDU so schlecht gegangen wäre wie jetzt, „dann wäre Helmut Kohl zu Hochform aufgelaufen“.

Merkel läuft zu Hochform auf, auf ihre Art. Hinterher leistet sogar der Mittelstandspolitiker Josef Schlarmann vom Podium herab Abbitte für seine scharfe Vorab-Kritik. Er habe gedacht, dass er hier nach Karlsruhe bloß zum Abnicken komme, sagt Schlarmann. „Die Bundeskanzlerin hat mich auf dem kalten Fuß erwischt.“

Denn so viel CDU war Angela Merkel nie. „Ein starkes Deutschland braucht eine starke CDU“, sagt sie. „Werft die Wahlprognosen weg“, ruft sie den Wahlkämpfern des nächsten Jahres zu. „Wir haben nicht zu viel Islam, wir haben zu wenig Christentum“, wirft sie in den Saal. Für Stuttgart 21, gegen die „Einheitsschule“, für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik, aber aller Respekt für die Andersdenkenden – so geht das eine gute Stunde lang. Aber das eigentlich Wichtige sind nicht Zitate. Das Wichtige ist eine Grundmelodie. Merkel hat für ihren Kurs der Modernisierung oft gegen die CDU angekämpft. Diesmal kämpft sie um die CDU. Am Ende dankt sie allen Wahlkämpfern aus den Ländern, dem Präsidium, dem Vorstand, der Fraktion, allen Orts- und Kreisverbänden. „Gemeinsam für ein starkes Deutschland und ein Land in Einigkeit und Recht und Freiheit.“ Und ihre Stimme klingt tatsächlich kratzig vor Pathos.

Die Delegierten klatschen lange. Kein Jubel, kein enthusiastischer Beifall, aber ein zugeneigter. „Es war die richtige Rede zur richtigen Zeit“, sagt wenig später ein Delegierter aus dem tiefschwarzen Paderborn. „Ich denke, dass viele in der CDU darauf gewartet haben.“ Am Nachmittag wird der Parteitag seine Vorsitzende mit 90,4 Prozent der Stimmen im Amt bestätigen. Ein nahezu perfektes Ergebnis. Alles deutlich darüber hätte kein Mensch für ehrlich gehalten – nicht nach diesem Jahr des Missmuts und der miesen Umfragewerte. Alles deutlich darunter wäre eine Misstrauenserklärung gewesen. 90,4 ist ein zugeneigtes Ergebnis, ein Stück Vernunft, ein Stück Vertrauen, ein Stück Vorschuss. „Ich werde mit Freude weiter Vorsitzende dieser großartigen Partei sein“, sagt Merkel. So viel CDU – aber das hatten wir ja schon.

Am späten Nachmittag stellen sich die Kronprinzen vor. „Ich bin gewissermaßen in die CDU hineingeboren worden“, sagt die Kronprinzessin von der Leyen, die ja bekanntlich die jüngste Tochter von Ernst Albrecht ist. „Aber ich hab ein bisschen gebraucht, bis in die CDU hineingewachsen bin.“ Ich bin angekommen, heißt das.

Norbert Röttgen ist schon da. Seine Bewerbungsrede ist ein Echo auf Merkels Ermutigungen: „Es ist nicht die Stärke von Gegnern, sondern es liegt an uns!“ Röttgen wird 88 Prozent der Stimmen bekommen, von der Leyen 85 Prozent. Die Kronprinzenriege liegt also, um das zusammenzufassen, etwas unter der Chefin und recht dicht beieinander. Später tritt der dritte Kronprinz auf. Der Minister Guttenberg hält eine ziemlich weitschweifige Rede zur Bundeswehrreform und wird artig, aber keineswegs frenetisch beklatscht. Alles in allem also ein erfreuliches Ergebnis für die Vorsitzende – aber das hatten wir ja auch schon.

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