zum Hauptinhalt
Der Grünen-Parteitag in Berlin: Die Grünen suchen ihr neues Profil.

© dpa

Parteitag in Berlin: Grüne auf der Suche nach sich selbst

Die Grünen analysierten am Auftaktabend ihres Parteitages die Gründe für ihr schlechtes Abschneiden bei der Bundestagswahl. An diesem Wochenende wollen sie Lehren aus dem Debakel ziehen, konkrete Beschlüsse fassen. Jedoch - Beschlüsse gab es schon vorher.

Cem Özdemir versucht, es allen Recht zu machen. Der Grünen-Vorsitzende steht im Berliner Velodrom, er hält die Auftaktrede für den Parteitag, bei dem die Grünen beraten, wie es nach ihrer Wahlniederlage weiter gehen soll. Er entscheidet sich für einen Slogan aus der grünen Frühzeit: „Wir sind nicht links, nicht rechts, wir sind vorne.“ Der Applaus der 800 Delegierten ist freundlich. Hinter so einem Satz können sich die meisten versammeln. Özdemir wählt versöhnliche Töne, der Schwabe will schließlich am Samstag als Parteichef wieder gewählt werden.

Andere sind da weniger diplomatisch. „Wir sind aus der Spur geraten“, stellt Winfried Kretschmann fest. Der Ministerpräsident in Baden-Württemberg mahnt, die Grünen seien erst einmal für die ökologische Frage da. „Für alle anderen Fragen gibt es schon andere Parteien“, sagt Kretschmann. Widerspruch erhält er von Jürgen Trittin: „Ich kann den Eindruck nicht teilen, dass die Partei aus der Spur sei“, sagt Trittin, der die Grünen als Spitzenkandidat in die Wahl geführt hat. Mit ihrem Programm hätten die Grünen 3,7 Millionen Wähler überzeugt, rechnet er vor: Menschen, die wüssten, dass man auch einen Tag in der Woche ohne Fleisch auskommen könne, die für einen Mindestlohn und einen höheren Spitzensteuersatz seien. „Diesen Wählern bleiben wir verpflichtet“, mahnt Trittin.

Seit der Bundestagswahl streiten die Grünen darüber, warum sie mit 8,4 Prozent ein so enttäuschendes Wahlergebnis erzielt haben. War es die Steuerpolitik, das Image als Verbotspartei, oder die Pädophilie-Debatte, die gerade in der Schlussphase massiv Sympathien gekostet hat? Parteichef Özdemir nennt all diese Punkte. Doch welche Lehren aus dem schlechten Abschneiden gezogen werden sollen, da gehen die Meinungen bei den Grünen auseinander. Mehrere Vertreter der Parteilinken mahnen, das bisherige Programm nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. „Grüne Politik ist auch nicht denkbar ohne soziale Gerechtigkeit“, sagt etwa der nordrhein-westfälische Landeschef Sven Lehmann.

Viel Beifall erhalten Redner, die Kritik am Umgang in der Partei üben. Zu viele Weichenstellungen liefen über die Flügel, kritisiert die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Berliner Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig. Sie beschwert sich, dass es bei der personellen Neuaufstellung mehr nach „Rechts-Links“ gegangen sei und nicht nach Inhalten. Sie sei „in großer Sorge“, sagt die Berlinerin, dass die Partei sich durch Flügelkämpfe selbst schade. „Wir sind eine Klugscheißerpartei geworden“, schimpft auch Manuela Rottmann, bis vor zwei Jahren grüne Umweltdezernentin in Frankfurt. „Lernt wieder streiten, würgt nicht Debatten ab“, ermahnt sie ihre Parteifreunde.

Strategisch können sich die Grünen an diesem Wochenende auf einen Nenner verständigen: „Wir dürfen uns nicht mehr so an die SPD ketten wie in diesem Wahlkampf“, sagt ein Delegierter aus dem Ruhrgebiet. Es sind solche Töne, die Beifall finden. Die Partei will sich künftig stärker für Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün öffnen. „Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, dass diese Optionen für die Zukunft auch zu belastbaren Bündnissen werden können“, heißt es im Antrag des Bundesvorstands, der am Samstag beschlossen werden soll. Die Grünen seien nun zum dritten Mal in Folge mit ihrem Wahlziel gescheitert, eine rot-grüne Mehrheit zu erzielen. „Daraus gilt es, Konsequenzen zu ziehen“, heißt es weiter.

Das Problem ist nur: Ähnliche Beschlüsse haben schon frühere Parteitage gefasst – in Wahlkampfzeiten wurden sie dann aber nicht mehr beherzigt. „Wenn wir im Bund mittelfristig nicht nur auf die Karte Rot-Grün oder auf die Rolle der Opposition beschränkt werden wollen, müssen wir daran arbeiten, neue Bündnisse parlamentarisch möglich zu machen“, hieß es im Oktober 2005, nach dem Ende von Rot-Grün. Vier Jahre später bekräftigten die Grünen diesen Kurs: Zu dem selbstbewussten Anspruch, führende Kraft für die linke Mitte sein zu wollen, gehört auch, sich aus alten Koalitions- und Lagerzwängen zu befreien“, beschlossen sie nach der Wahl 2009.

Doch im Wahlkampf 2013 setzte die Partei ausschließlich auf Rot-Grün. Das will zumindest Parteichef Özdemir ein für alle Mal ändern. „Wir müssen hier einen tragenden Konsens finden“, ermahnt er die Partei. „Wir können uns nicht alle paar Jahre auf Parteitagen die Köpfe darüber zerbrechen, ob oder dass wir eigenständig sind.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false