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Traute Zweisamkeit: Gesine Lötzsch und Klaus Ernst.

© dpa

Parteitag: Wer führt die Linke?

Sie steht für Ost, er für West: Auch sonst verbindet beide wenig. Dennoch beerben Gesine Lötzsch und Klaus Ernst nun Oskar Lafontaine und Lothar Bisky.

WOFÜR STEHEN GESINE LÖTZSCH UND KLAUS ERNST?
Der heimliche Parteivorsitzende Gregor Gysi versichert: „Beide gemeinsam symbolisieren die Vereinigung.“ Der Ex-Sozialdemokrat und Gewerkschafter Klaus Ernst ist der „West-Mann“ in der künftigen Doppelspitze, die frühere PDS-Politikerin Gesine Lötzsch aus Berlin-Lichtenberg die „Ost-Frau“.

Ernst, gebürtiger Münchner, liebt polternde Auftritte. Wenn der 55-Jährige in Fahrt ist, nennt er den Staat schon einmal „Räuberbande“ oder flucht „Herrgottsakrament“, sobald er von Bankern spricht. Gysi als Chef der Bundestagsfraktion und wichtigster Strippenzieher bei der personellen Neuaufstellung findet es gut, dass man das am Dialekt auch gleich merkt: „Der ist so was von westdeutsch, wie man sich das überhaupt nur vorstellen kann.“ Innerhalb der Linken steht Ernst für den Gewerkschaftsflügel. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Schweinfurt war einer der Gründer der WASG, die sich aus Protest gegen die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung bildete, 2004 wurde er deswegen nach 30 Jahren Mitgliedschaft aus der SPD ausgeschlossen. Ernst gehört zu den engsten Vertrauten des scheidenden Parteichefs Oskar Lafontaine. Hartnäckig redete er auf diesen ein, bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 für die WASG anzutreten, wofür Lafontaine sich am Samstag beim Parteitag in Rostock noch einmal bedankte. Schließlich gelang damals gemeinsam mit der PDS der Einzug in den Bundestag – die Weichen für die Erfolgsserie der Linken im Westen waren gestellt.

In den eigenen Reihen war der undiplomatische Ernst von Anfang an umstritten, sowohl im Westen als auch im Osten. Viele Frauen halten ihn für einen unverbesserlichen Macho, ein Teil der Ost-Realpolitiker hält ihm vor, an der Demontage von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch mitgewirkt zu haben, selbst in seinem bayerischen Landesverband hat er erbitterte Gegner. Bei Wahlen in der Partei bekam er stets nur mäßige Ergebnisse. Auch jetzt in Rostock schnitt er schlechter ab als seine neue Co-Chefin Lötzsch. Seine Chance konnte er ergreifen, weil Lafontaines Rückzug schneller als erwartet kam – es gab im Westen keinen anderen halbwegs bekannten Nachfolger.

Ein ganz anderer Typ ist die 48-jährige Lötzsch, die eher moderiert, bedächtiger wirkt und kompromissbereiter ist. Gysi nennt ihre Biografie „klassisch ostdeutsch“ – dazu gehört der Eintritt in die SED 1984, im Alter von 23, 1987 durfte die Philologin zu einem Forschungssemester in die Niederlande. Nach der Wende arbeitete sie sich über die Berliner Kommunalpolitik nach oben. Sie gehörte noch zum Berliner Abgeordnetenhaus, als dort 2002 die rot-rote Koalition geschmiedet wurde, hat also ein wenig Regierungserfahrung. Aber festgelegt hat sie sich in dieser unter Linken heiß diskutierten Frage nie: „Wir wollen selbstverständlich in der Opposition oder der Regierung die Politik verändern.“ Wie sich Lötzsch überhaupt nie von einem Flügel hat vereinnahmen lassen – das hatte Gysi immer wieder als wichtige Voraussetzung für ein Spitzenamt benannt. 2002 dann zog Lötzsch erstmals in den Bundestag ein. Als direkt gewählte Abgeordnete hielt sie dort zusammen mit Petra Pau das rote Fähnlein drei Jahre lang hoch, nachdem die PDS an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war.

Wichtig nicht zuletzt: Anders als andere Spitzenpolitiker aus dem Osten hat sie sich nie mit Lafontaine angelegt. Der nimmt sie deswegen in Schutz: Lötzsch habe ihm immer unter vier Augen und nicht in Interviews widersprochen, lobte er in seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag in Rostock. Ein Seitenhieb auf den geschassten Parteimanager Bartsch, der Lafontaine auch öffentlich häufig Paroli geboten hatte. An Gesine Lötzsch lobte Lafontaine außerdem, dass sie in der Fraktion von Anfang an darauf hingewirkt habe, dass Ost und West zusammenfinden.

KÖNNEN SIE LAFONTAINES LÜCKE FÜLLEN?

Dass es schwer wird, Oskar Lafontaine zu ersetzen, ist den beiden neuen Parteichefs bewusst. „Einfach den Oskar machen, wird nicht klappen“, sagte Ernst Ende Januar, als Gregor Gysi nach einer nächtlichen Kungelrunde seinen Vorschlag für die künftige Führung vorstellte. Und Lötzsch ergänzte, es sei klar, dass Lafontaine „eine politische Ausnahmeerscheinung“ sei. Ein Problem könnte noch werden, dass sich die künftigen Vorsitzenden als Fachpolitiker in der Vergangenheit sehr spezialisiert haben – Ernst in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, Lötzsch als Haushälterin. In der Außenpolitik gelten beide dagegen als wenig kompetent. Talkshow-Talent stellte bisher vor allem Ernst unter Beweis, Lötzsch versteht sich dagegen besser auf das kurze Statement zur Tagespolitik und liest längere Reden meist vom Blatt ab.

Vor allem im Westen dürfte Lafontaine als prominentestes Zugpferd künftig fehlen. Aber wenn es ihn politisch juckt, wird er sich wohl auch ohne Chef-Amt weiter einmischen – da ist er anders gestrickt als der gleichfalls scheidende Ko-Chef Lothar Bisky, der sein Engagement fast nur noch auf die Europapolitik beschränkt. Lafontaine bleibt absehbar Vorsitzender der Linksfraktion im saarländischen Landtag, da geht es ihm weniger um die Regionalpolitik als vielmehr um die Infrastruktur, um auch bundespolitisch Ratschläge zu geben. Erleichtert haben Lötzsch und Ernst festgestellt, dass sich bisher weder die Ankündigung von Lafontaines Rückzug noch die damit verbundenen Personalquerelen in den Umfragewerten der Partei negativ niedergeschlagen haben. Eine Woche vor dem Parteitag gelang der Linken auch der Einzug in den Landtag in Nordrhein-Westfalen.

WIE HARMONISIEREN LÖTZSCH UND ERNST?

Beide wissen, dass sie eine schwierige Nachfolge antreten. Sie sind aufeinander angewiesen, wenn sie in den nächsten zwei Jahren nicht als Parteivorsitzende Schiffbruch erleiden und Chancen auf eine Wiederwahl haben wollen. Gegenseitiges Vertrauen ist dafür die Voraussetzung – bisher scheint das gegeben zu sein. Kritiker von Ernst argwöhnen, der könnte durchaus versuchen, als starker Mann seine Ko-Chefin Lötzsch in eine Nebenrolle zu drängen. Sie sind aber zugleich überzeugt, dass Lötzsch sich das nicht gefallen lassen wird. Derzeit bemühen sich beide sichtlich, sich nicht ins Gehege zu kommen, auch wenn sie charakterlich sehr unterschiedlich sind. Den lautstarken Auftritten von Ernst setzt Lötzsch ein gesundes Selbstbewusstsein entgegen, nicht zuletzt, weil sie ihren Berliner Wahlkreis Lichtenberg bereits zum dritten Mal in Folge als Direktkandidatin gewonnen hat und, wie sie gern betont, dort auch den mitgliederstärksten Bezirksverband der Partei überhaupt führt.

Noch ist unklar, wie Lötzsch und Ernst ihre künftige Arbeit aufteilen wollen. Was sie vermeiden wollen, ist eine regionale Zuständigkeit: die Ost-Frau für die neuen Bundesländer, der West-Mann für die alten. Beide versprechen, mehr in der Parteizentrale Karl-Liebknecht-Haus präsent zu sein, als es der scheidende Chef Lafontaine war, der in die Partei meist vom Schreibtisch im Bundestag oder aus dem heimischen Wallerfangen „hineinregiert“ hat.

Die beiden künftigen Vorsitzenden haben zwei Jahre vor sich, die für die Partei nicht einfach sein werden. Bis 2011 will die Linke die lange verschobene Debatte über das Grundsatzprogramm austragen. Außerdem stehen schwierige Landtagswahlen bevor, beispielsweise in Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz, bei denen der Einzug ins Parlament fraglich ist. Niederlagen bei Landtagswahlen aber wären ein Indiz, dass es mit der Erfolgsserie der Linken rasch auch wieder vorbei sein könnte.

WIE WERDEN SIE DIE LINKE PRÄGEN?

„Natürlich steckt da DDR drin“, sagt Gesine Lötzsch über ihre Partei. Und sie versteht es ganz gut, das Milieu der Ostalgiker anzusprechen, zum Beispiel wenn sie, wie kürzlich bei einer Anhörung zu 20 Jahren Treuhand, über „Glücksritter und Halsabschneider“ schimpft, die sich, ohne Karrierechancen im Westen, in die ehemalige DDR aufgemacht hätten. Bis Lötzsch auch im Westen an der Basis als gleichberechtigte Vorsitzende akzeptiert wird, wird wohl noch Zeit vergehen.

Ernst wiederum machte nach seiner Nominierung klar, dass er Oskar Lafontaines Kurs fortsetzen und damit dessen eigentlicher Nachfolger sein will. Der Gewerkschafter mahnte, die Linke dürfe bei Kernpositionen nicht wackeln und „rote Linien“ nicht überschreiten – und hielt sich dabei an die Wortwahl seines Amtsvorgängers. Auch wenn Klaus Ernst nicht zu den Radikalen in seiner Partei gehört, die Regierungsbeteiligungen komplett ablehnen, so steht er diesen doch skeptischer gegenüber als ein Teil der ostdeutschen Realpolitiker. Bei einer Basis-Veranstaltung der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg Ende März stichelte Ernst, was es denn mit demokratischem Sozialismus zu tun habe, wenn die Linke in Berlin die Freigabe des Ladenschlusses mitgetragen habe. Und mit Blick auf die umstrittene rot-rote Koalition in Brandenburg betont Ernst, die Landesverbände sollten sich künftig stärker von der Bundespartei beraten lassen.

Andererseits vermochte es Ernst – da ist er Lafontaine nicht unähnlich –, sich mit den DDR-Eliten einzulassen, um seine Hausmacht in seiner neuen Partei auszubauen. Erst kürzlich gestand er, über die PDS „unheimlich spannende Leute“ kennengelernt zu haben – noch vor Gysi nannte er dabei den früheren DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow, Spionagechef Markus Wolf und den einstigen Tatort-Kommissar Peter Sodann aus Halle. Vor fünf Jahren war für viele seiner Mitstreiter die Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei noch ein „Kulturschock“, wie er einräumte. Inzwischen ist für ihn das Thema gegessen.

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