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© dpa

Patientenverfügungen: Jedes Wort zählt

Heute tritt das neue Gesetz zu Patientenverfügungen in Kraft. Einige atmen auf, andere warnen vor Tücken. "Ich will nicht an Schläuchen hängen" reicht nicht.

Berlin - Die Rechtsunsicherheit sei beendet, freut sich die Justizministerin. An diesem Dienstag tritt das im Juni beschlossene Patientenverfügungsgesetz in Kraft, und Brigitte Zypries ist nach langer Debatte spürbar stolz darauf. Wer sicher sein wolle, dass sein Selbstbestimmungsrecht auch am Ende des Lebens beachtet wird, sollte eine solche Verfügung abfassen, empfahl die SPD-Politikerin am Montag in Berlin. Schließlich könne sich, dank des neuen Gesetzes, nun jeder darauf verlassen, dass die schriftliche Willensbekundung verbindlich sei – und zwar unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.

Auch andere atmen auf. „Die lästige Diskussion zur Rechtslage muss jetzt nicht mehr auf der Intensivstation stattfinden“, sagt der Medizinethiker Arnd May von der Universität Aachen. Doch auch der gesetzliche Klarstellungsversuch birgt noch Tücken. Zwar haben es Patient und Arzt jetzt Schwarz auf Weiß, dass die Verfügung auch für nicht zwangsläufig tödlich verlaufende Krankheiten gilt (also etwa auch für Demenzkranke oder Wachkoma-Patienten) und dass jede Missachtung des Patientenwillens als Körperverletzung sanktioniert werden kann. Allerdings gibt es viele Vorgaben, die erfüllt sein müssen. So muss die Verfügung nicht nur schriftlich und von Volljährigen abgefasst, sondern auch möglichst konkret formuliert sein. Äußerungen wie „Ich möchte nicht an Schläuchen hängen“ oder „Ich möchte in Würde sterben“ rechtfertigen auch künftig keinen Verzicht auf Wiederbelebung oder künstliche Ernährung.

Zudem spielt die Frage, ob die medizinische Situation tatsächlich der beschriebenen entspricht und ob es sich bei der Verfügung auch um den aktuellen Willen des Betroffenen handelt, eine entscheidende Rolle. Laut Gesetz muss beides im konkreten Fall geprüft werden – und zwar von Arzt und Betreuer gemeinsam. Hier gebe es oft „Interpretationsspielraum“, gibt Zypries zu – und empfiehlt daher, immer auch einen „Gesundheitsbevollmächtigten“ zu bestellen. Dies sei zwar „nicht zwingend nötig“, erhöhe aber die Sicherheit. Aus Kritikersicht spielt die Ministerin mit solchen Äußerungen ein großes Problem herunter. Laut Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz-Stiftung, ist künftig jede Patientenverfügung „ein Himmelfahrtskommando, wenn nicht gleichzeitig ein Bevollmächtigter benannt wird“. Gebe es diesen nicht, laufe es in aller Regel auf einen gerichtlich bestellten Berufsbetreuer hinaus, „der den Patienten überhaupt nicht kennt“. Unter diesen Bedingungen eine Vorsorgevollmacht nur zu empfehlen, sei eine „skandalöse Augenwischerei und verkennt den Ernst der Lage“.

Eine Grauzone ist auch die Beratung. Dass sie fürs Abfassen von Verfügungen unverzichtbar ist, betonen alle Experten. Allerdings werde damit „auch Geldschneiderei betrieben“, wie Brysch kritisiert. So habe der Virchow-Bund Ärzten empfohlen, sie mit 235,95 Euro zu berechnen – und damit sei nicht einmal Qualität garantiert. „Vorher erkundigen, was es kostet“, rät deshalb die Ministerin. Und verweist auf „eine Vielzahl von Verbänden“, die kostenlose Beratung anbieten. Informationen und Textbausteine gibt es auch bei Verbraucherzentralen, Kirchen und dem Justizministerium.

Der Gesetzgeber hätte eine Beratungspflicht und vor allem einen Beratungsanspruch über die gesetzliche Krankenversicherung schaffen müssen, meint Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule Freiburg. Man habe keine Überreglementierung gewollt, gibt Zypries zurück. Und wenn man noch mit den Krankenkassen hätte verhandeln müssen, wäre das Gesetz nicht fertig geworden.

Wichtig ist der Ministerin vor allem dreierlei: Dass der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe nicht erfüllt wird. Dass Verfügungen jederzeit mündlich widerrufen werden können. Und dass kein Heim oder Hospiz die Aufnahme eines Patienten von einer Verfügung abhängig machen darf. „Wir wollen keinesfalls, dass Druck ausgeübt wird“, beteuert Zypries.

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