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© Thilo Rückeis

Peer Steinbrück: "Stillstand können wir uns nicht leisten“

Der Finanzminister Peer Steinbrück im interview über die SPD, Müntefering, den Zustand der großen Koalition und sein großes Ziel der Haushaltskonsolidierung.

Herr Steinbrück, hat in dieser Woche ein zweijähriger Dauerwahlkampf begonnen?

Überhaupt nicht. Und ich rate den Parteien auch, den heißen Wahlkampf nicht vor dem zweiten Quartal 2009 zu beginnen. Was in der zurückliegenden Woche geschehen ist, war von erheblicher Bedeutung. Mit Franz Müntefering ist ein Großer der deutschen Politik aus der Regierung zurückgetreten. Und es gibt auch Enttäuschungen über die Ergebnisse des Koalitionstreffens am Montagabend. Aber gelegentlichen Streit gibt es in jeder Koalition. Natürlich eröffnet dies keinen Wahlkampf. Wir haben noch viel zu tun. Diese Koalition bleibt arbeitsfähig.

Es passiert nicht alle Tage, dass der Kanzlerin vom Koalitionspartner so direkt Wortbruch und Lobbypolitik vorgeworfen werden.

Es passiert auch nicht alle Tage, dass eine Kanzlerin Zusagen nicht hält. Dann darf man auch Klartext reden. Das geschieht auf beiden Seiten der Koalition. Die SPD hat sich auf Verabredungen zum Postmindestlohn verlassen. Ich war dabei und kann deshalb sagen: Wir haben den klaren Eindruck, dass Druck von Lobbys dazu geführt hat, dass CDU/CSU keinen Postmindestlohn wollen.

Welche Vereinbarungen wurden gebrochen?

Im Sommer hat sich die Koalition dazu verständigt, die Briefdienstleister in das Entsendegesetz aufzunehmen. Dazu ist ein entsprechender Tarifvertrag nötig, und der wurde vorgelegt. Der Union hat dieser Vertrag nicht ausgereicht. Zuerst wurde behauptet, er umfasse nicht 50 Prozent der betroffenen Mitarbeiter der Branche. Dann hieß es, der Wirkungsbereich des Vertrages sei nicht präzise formuliert. Zum Schluss wurde sogar nach Formulierungen gesucht, die ganz klar darauf hinauslaufen sollten, dass das Entsendegesetz unterlaufen werden kann. Nichts anderes ist es, wenn das Gesetz auf sogenannte lizenzierte Betriebe ausgelegt wird, aber damit jedes beauftragte Tochterunternehmen davon ausgenommen werden kann. Wir sehen sogar Zeichen dafür, dass aus der Union hinaus darauf eingewirkt wurde, einen neuen Arbeitgeberverband zu gründen, um einen geschlossenen Tarifvertrag auszuhebeln. Das wäre ein merkwürdiges Verhältnis zur Tarifautonomie.

Warum bleibt die SPD in einer Koalition, in der Vereinbarungen gebrochen werden?

Weil Deutschland eine SPD in der Regierung braucht. Wir haben das Land sozial und wirtschaftlich vorangebracht. Und wir werden das auch weiterhin tun. Wir stehen in der Pflicht vor dem Wähler. Daran ändert nichts, dass der Partner uns in einem wichtigen Punkt enttäuscht hat. Politik ist nicht digital. Es gibt mehr als Null und Eins, Ja oder Nein.

Ist die Durchsetzung des Mindestlohnes für die SPD nicht mehr so bedeutend, als dass sie die Koalitionsfrage daran knüpft?

Die Ereignisse sind bedeutend. Keine Frage. Aber vieles anderes haben wir gemeinsam geschafft. Und vieles werden wir noch schaffen. Die Koalition wird über diesen Streit nicht kaputtgehen.

Ist die Einführung des Mindestlohnes für Briefträger nun vom Tisch?

Für die SPD ist das Thema keineswegs beendet. Weder im Postbereich noch anderswo. Die SPD hält daran fest, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten, einen existenzsichernden Lohn erhalten müssen. Es kann auf Dauer nicht sein, dass Arbeitgeber Löhne zahlen, die so gering sind, dass von Anfang an klar ist, dass der Staat Geld obendrauf legen muss, damit die Menschen davon leben können. Warum soll der Steuerzahler einen Wettbewerb gegen die Post bezahlen – zulasten der Arbeitsplätze bei der Post? Das ist ungerecht und ordnungspolitisch unvertretbar.

Herr Steinbrück, was können wir von dieser Koalition bis 2009 noch erwarten?

Diese Koalition muss den Haushalt konsolidieren. Sie muss zur Reform des Föderalismus beitragen, dem Arbeitsmarkt zusätzliche Impulse geben, die Pflegereform umsetzen und in allen anderen Bereichen, von der Klima- bis zur Familienpolitik, Signale setzen. Stillstand wird es mit dieser Koalition nicht geben. Schon deshalb übrigens nicht, weil es sich zwei Volksparteien in Deutschland nicht leisten können, zwei Jahre in der Hängematte zu liegen und dann um die Zustimmung der Wähler zu bitten. Von den Wählern haben wir das Mandat für vier Jahre erhalten, und es ist damit unsere Verpflichtung – im preußischen Sinne –, unsere Arbeit zu tun.

Ist das Verteilen von Geld auch eine Aufgabe dieser Koalition?

Ich werde vom Weg der Haushaltskonsolidierung nicht abweichen. Auch, wenn das Verteilen von Geld ein Reflex von Politikern bleibt, wenn es darum geht, Konsens herzustellen. Bis jetzt konnten wir diesem Reflex erfolgreich widerstehen. Deutschland hat in diesem Jahr zum ersten Mal seit 1989 wieder eine schwarze Null, das heißt, wir machen keine neuen Schulden mehr.

Gilt das auch vor den Landtagswahlen im kommenden Jahr?

Vor solchen Daten sind natürlich immer gewisse Nervositäten zu sehen. Aber ich warne davor, ihnen nachzugeben. Der Koalition ist es bemerkenswert gelungen, die Teile des Dreiklanges aus Sanieren, Reformieren und Investieren beisammenzuhalten.

Ist der Rücktritt von Franz Müntefering eine Zäsur für die SPD?

Keine Zäsur. Mit dem Rücktritt bricht kein neues Zeitalter an. Aber ein sehr großer Politiker verlässt die Regierungsbühne. Aus privaten Gründen, die ich zutiefst respektiere. Das rührt Emotionen in der Partei. Aber es wird alles dafür getan werden, darüber keinen Zweifel an dem Regierungswillen und der Regierungsfähigkeit der SPD aufkommen zu lassen. Franz Müntefering war ein Anker in dieser Regierung und hat die Arbeit der SPD innerhalb der Regierung erfolgreich koordiniert. Diese Aufgabe werden wir nun übernehmen müssen. Jeder an seiner Stelle. Es muss und wird auch ohne Franz Müntefering weitergehen. Die SPD ist dafür stark genug.

Welches politische Vermächtnis hinterlässt er?

Franz Müntefering ist eine Autorität mit besonders hoher Glaubwürdigkeit. Es ist ihm gelungen, zwischen den Notwendigkeiten einer Regierungspartei und dem Gefühlsleben der SPD zu vermitteln.

Müntefering galt als überzeugender Verfechter der Agenda-Reformpolitik. Geht diese Ära nun mit ihm zu Ende?

Ganz klar: nein. Es gibt neben Franz Müntefering andere in der SPD, die diesen Kurs auch verkörpern. Nehmen Sie beispielsweise den neuen Vizekanzler. Oder nehmen Sie mich.

Die Entscheidung der SPD zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für Ältere wird als Linksrutsch der SPD beschrieben. Rutscht die SPD – ohne Müntefering – nun rascher nach links?

Natürlich nicht. Die SPD rutscht so wenig nach links, wie es die vor unserem Parteitag angekündigte Zerrissenheit der Partei, den Showdown zwischen Kurt Beck und Müntefering und den großen Verlierer Müntefering gegeben hat. All das waren Verzeichnungen. Ich halte nicht sehr viel von dieser politischen Gesäß-Geografie.

Kurt Beck hat entschieden, in Mainz zu bleiben und nicht in das Bundeskabinett einzutreten. War das richtig für ihn, für die SPD oder für die Koalition?

Nicht ins Kabinett zu gehen, war Kurt Becks eigene Entscheidung. Und ich finde, er hat die richtige Entscheidung getroffen.

Warum?

Es kann vorteilhaft sein, wenn ein SPD-Parteichef nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist. Wäre er es, müsste er sich wahrscheinlich zu oft Loyalitätspflichten im Kabinett unterziehen, die ihm das Agieren als Parteichef erschweren, und umgekehrt.

Sie sprechen von der Schwierigkeit, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspolitiker zu sein?

Das hat nichts mit Opposition zu tun. Worum es geht, ist die Unabhängigkeit eines Parteichefs, der auch grundsätzlich andere Auffassungen vertreten können muss als ein Kabinettsmitglied.

Sie selbst sind Finanzminister und stellvertretender SPD-Vorsitzender.

Ein Parteichef hat viel mehr als seine Stellvertreter die Aufgabe, Stimmen und Strömungen zu sammeln. Das ist in allen Volksparteien so. Auch in der Union wollen einige den Grundkurs verändern. Für die SPD kann ich sagen: Es gibt keine breite Strömung innerhalb der Partei in die Opposition. Ich hielte das auch für falsch. Wer heute sagt, die Partei könnte außerhalb der Koalition ihre Programmatik viel deutlicher vertreten, den frage ich, wie präsent wir heute auf der politischen Bühne ohne den Schritt in die Koalition wären. Und wie sähe die Republik heute ohne das politische Gewicht der SPD aus?

Hat der SPD-Parteitag in Hamburg die Regierungsfähigkeit der SPD gestärkt?

Die Wahlergebnisse haben das zumindest unterstrichen. Dass eine Partei programmatisch zuweilen über das hinausgreift, was ihre Regierungsmitglieder konkret bewirken können, ist normal. Politik ist ein prozesshafter Vorgang, bei dem es um das Austarieren von Interessen geht. Die Funktion der Fraktion ist es, neben der Kontrolle der Regierung Mehrheitsverhältnisse herzustellen. Für die SPD wird es jetzt darauf ankommen, die drei Kraftfelder – Partei, Regierung und Fraktion – sehr eng zusammenzuhalten. Wir waren in der Geschichte der SPD immer dann erfolgreich, wenn uns das gelungen ist.

Rückt das Kraftzentrum der SPD mit dem Weggang Franz Münteferings ins Willy-Brandt-Haus und damit in die Parteizentrale?

Nein. Das Führungsgremium der SPD hat einen Vorsitzenden und drei Stellvertreter, von denen zwei Regierungsmitglieder sind. Dazu gehören mindestens noch der Generalsekretär und der Fraktionschef. Das Willy-Brandt-Haus ist lediglich der Ort des Kraftzentrums, von dem aus wir die Koordination zu leisten haben.

Das Amt des Vizekanzlers unter Franz Müntefering wurde als ganz eigenes Kraftzentrum der SPD wahrgenommen. Wird es einen solch einflussreichen Vizekanzler wie ihn noch einmal geben?

Warum nicht? Die Bedeutung eines solchen Amtes entwickelt sich mit der Person und der Zeit.

Warum können Finanzminister keine Vizekanzler sein?

Die Vorteile auf der Seite von Frank-Walter Steinmeier überwiegen eindeutig. Hinzu kommt: Ein Bundesfinanzminister ist häufig nicht der Verkünder von freudigen Botschaften. Er wird immer auch mit Zumutungen wie der Mehrwertsteuererhöhung und der Abschaffung der Pendlerpauschale in Verbindung gebracht.

Kann ein Finanzminister, der kein Vizekanzler sein kann, Kanzler werden?

Diese Frage beschäftigt mich nicht. Der Parteivorsitzende entscheidet.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Stephan Haselberger.

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