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Im Operationssaal einer DDR-Klinik.

© pa/ZB

Pharmatests von West-Firmen in der DDR: Aktenzeichen unbekannt

In den 80er Jahren ließen westliche Pharmafirmen viele Medikamente in DDR-Krankenhäusern testen. Oft waren die Patienten ahnungslos. An der Politik in der Bundesrepublik scheint dieses deutsch-deutsche Geschäft damals vorbei gegangen zu sein.

Von Matthias Schlegel

Dem Bundesgesundheitsministerium liegen keine Unterlagen zur Genehmigung von klinischen Prüfungen in den 80er Jahren in der DDR vor. Das sagte ein Ministeriumssprecher am Freitag dem Tagesspiegel. Hintergrund waren Berichte dieser Zeitung, wonach westliche Pharmaunternehmen in großem Stil Medikamentenstudien in der DDR durchführen ließen. Probanden wussten oft nicht, dass an ihnen noch nicht zugelassene Medikamente getestet wurden. Zwischen 1983 und 1989 wurden 165 Studien in Auftrag gegeben. Grundsätzlich spreche nach Ansicht des Ministeriumssprechers nichts dagegen, wenn klinische Prüfungen in der ehemaligen DDR durchgeführt worden seien. Die Deklaration von Helsinki, die Empfehlungen für Ärzte enthalte, die in der biomedizinischen Forschung am Menschen tätig sind, dürfte seiner Ansicht nach auch für die Ärzte in der DDR von Relevanz gewesen sein. Danach seien zum Beispiel Aufklärung und Einwilligung der betroffenen Patienten erforderlich, und die klinischen Prüfungen dürften nur dann durchgeführt werden, wenn die Bedeutung des Versuchsziels in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko für die Versuchsperson stehe. Der Sprecher betonte, dass die Verantwortung für die Durchführung einer klinischen Prüfung grundsätzlich beim Auftraggeber liege. Die Einhaltung dieser Aspekte habe zum damaligen Zeitpunkt in der Verantwortung der DDR-Behörden gelegen.

An der Politik in der Bundesrepublik scheinen die Vorgänge damals vorbeigegangen zu sein. Auf Tagesspiegel-Anfrage sagte Wolfgang Schäuble, seinerzeit Kanzleramtschef, er habe „keine Ahnung“ von diesen Vorgängen gehabt. Hans Otto Bräutigam, damals Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, sagte, sein Haus sei über „solche Einzelheiten“ innerdeutschen Geschäftsverkehrs grundsätzlich nicht unterrichtet worden. Dazu habe es die TSI, die Treuhandstelle für innerdeutschen Handel, später Treuhandstelle für Industrie und Handel, gegeben. Das war eine Abteilung des Bundeswirtschaftsministeriums mit Sitz in West-Berlin. Auch Rita Süssmuth, von 1985 bis 1988 Gesundheitsministerin, hatte dem MDR gesagt, sie habe keine Kenntnis von diesen deutsch-deutschen Geschäften gehabt. Jens Ackermann, Obmann der FDP-Fraktion im Gesundheitsausschuss des Bundestages, will das Thema im Ausschuss zur Sprache bringen. Er sieht bei diesem Vorgehen in der DDR Parallelen zu dem Umgang mit NVA-Soldaten, die an Radarstationen verstrahlt wurden: Ahnungslose Menschen seien zu Opfern gemacht worden. Die Verträge über die Studien in der DDR wurden direkt von den westlichen Pharmaunternehmen mit dem Ministerium für Gesundheitswesen, „vertreten durch das Beratungsbüro beim Ministerium für Gesundheitswesen für Arzneimittel und medizintechnische Erzeugnisse“, abgeschlossen. Dieses Beratungsbüro, 1976 aus dem „Büro für Arzneimittelregistrierung“ hervorgegangen, war als nachgeordnete Einrichtung des Ministeriums für die „Vorbereitung der Zulassung von außerhalb der DDR hergestellten Arzneimitteln“ für den Gebrauch im Honecker-Staat zuständig. Teilweise ist auf DDR-Seite auch die „Berliner Import- und Exportgesellschaft mbH“ (BIEG) beteiligt gewesen, ein Unternehmen aus dem Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ des Devisenbeschaffers und Stasioffiziers Alexander Schalck-Golodkowski. Die BIEG nutzte ihre einschlägigen Erfahrungen auch in verwandten Geschäften: 1987 und 1988 fädelte sie den Verkauf von Blutplasma aus der DDR an die bayrische Firma Humedia ein, wie der Historiker Stefan Wolle in seinem Buch „Die heile Welt der Diktatur“ beschreibt. Dabei machte man sich zunutze, dass die DDR über ein gut ausgebautes, auch vom Gedanken internationaler Solidarität beflügeltes Blutspendesystem verfügte.

Man kann davon ausgehen, dass die Studien, die in der Regel dem Geheimnisschutz unterlagen, in der DDR vor allem in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen durchgeführt wurden, die von besonders linientreuen Direktoren geleitet wurden. Wolfgang Böhmer, langjähriger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, sagte, konfessionelle Krankenhäuser seien „für so etwas gar nicht zugelassen worden und hätten wohl auch selbst kein Interesse an solchen Studien gehabt“. Böhmer war von 1974 bis 1991 Chefarzt in einem evangelischen Krankenhaus in Wittenberg. mit asi/cas

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