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Politik: Philippinen? Wer hilft den

Melchor Llego Mergal ist seit sechs Monaten Bürgermeister von Salcedo. Seit dem schweren Taifun lebt er in seinem Büro und versucht, Essen, Sprit und psychologische Hilfe für die Gemeinden seines Landkreises zu organisieren. Ein Besuch.

Stille. Nur ein paar Vögel sind von Ferne zu hören. Dort, wo einmal Kokospalmen standen, ragen jetzt Stämme wie Streichhölzer aus dem Boden. Hier und da steigen Rauchwolken auf. Es ist, als hätte die Apokalypse den Südosten der Insel Samar der Philippinen heimgesucht. Unweigerlich sind sie da, die Bilder aus den Science-Fiction-Filmen: So muss es an dem Tag aussehen, nachdem die Menschheit ausgelöscht wurde und nur noch einige wenige ums Überleben kämpfen. Doch die surreale Anmutung ist kein Produkt aus Hollywood, sie findet sich sehr wirklich in der Gemeinde Salcedo am Pazifik.

Die meisten Menschen haben den Supertaifun Hayian, den sie hier Yolanda nennen, zwar überstanden. Aber ganze Ortschaften sind einfach weggewaschen worden. Hier wütete Hayian mit seinen mehr als 300 Stundenkilometern zum ersten Mal an Land. Um drei Uhr in der Nacht begann der Alptraum für die Menschen, erst Stunden später ließ der Sturm nach. Zu dieser Zeit waren die Orte Asgad und Jagnaya praktisch verschwunden. In Jagnaya, wo früher dicht an dicht bis ans Wasser Palmen standen, ist jetzt nur noch feinster, weißer Sandstrand. „Ein Geschenk des Sturms“, sagt der Berater des Bürgermeisters von Salcedo, Rey Uzhmar C. Padit, mit dem ihm eigenen schwarzen Humor. Sein völlig übermüdeter Chef drückt es noch drastischer aus: „Es ist jetzt viel schöner da.“

Melchor Llego Mergal schläft seit dem 8. November, der Nacht, in der Hayian kam, unter seinem Schreibtisch im Büro – wenn er denn schläft. Vergangene Nacht hat der 39-Jährige an der Landebahn in Guiuan verbracht, weil es offensichtlich kein faires System für die Verteilung der Hilfe gibt, die dort zentral für die Provinz ankommt. Stünde der Bürgermeister nicht persönlich dort, käme in den 13 Gemeinden seines Kreises vermutlich nichts an. Auf dem Weg zu ihnen gibt es schon genug andere Bedürftige. Sie haben weder Sprit noch Strom, auch gibt es seit dem Taifun keine Telefone mehr, mit denen sie sich bemerkbar machen könnten. Dem Bürgermeister ist immerhin sein Büro samt Mitarbeitern und Ausstattung geblieben. Hier hat Mergal mit seinem Berater Padit, den sie hier „King“ nennen, eine Schaltzentrale eingerichtet. Lebensmittel und psychologische Hilfe seien besonders nötig, sagt der Bürgermeister.

In der Gesundheitsstation haben sie deswegen eine Sprechstunde eingerichtet, direkt unten am Eingang. Alles improvisiert, denn das Gebäude ist schwer beschädigt. Trotzdem packen Mitarbeiter in der ersten Etage Hilfsgüter in Kisten und führen am Computer Listen über Opfer und Schäden, so dass sie Helfern sofort aktuelle Zahlen liefern können. Außerdem gibt es eine öffentliche Ladestation für Handys oder Laptops.

Melchor Llego Mergal ist erst vor sechs Monaten zum Bürgermeister gewählt worden. „Das hier     ist       mein Tod“, sagt er, „oder mein Test“. Er hatte den Landkreis generalstabsmäßig auf den Taifun vorbereitet. Schon bevor der Sturm aufzog, tagte der Krisenstab. Der Bürgermeister warnte seine Gemeinden und forderte sie auf, Vorräte anzulegen. Notpakete wurden gepackt und und größtenteils bis zum Nachmittag vor dem Sturm ausgegeben. „Einige sind nass geworden, die mussten wir neu packen“, erzählt der 28-jährige Padit.

Am Tag des Sturms warnte der Bürgermeister drei Mal. Erst ging er selbst in jede der 13 Gemeinden und alarmierte über Facebook, nachmittags machte die Polizei eine Runde und um 19 Uhr forderte das Notfallteam alle Verbliebenen auf, sich in die Evakuierungszentren in Schulen und Kirchen zu begeben. „Viele haben nicht geglaubt, dass es so weit kommt. Das Wetter war schön, es gab keinen Regen“, sagt Padit. Alle waren so gut vorbereitet, doch dann erreichte den Bürgermeister um zehn Uhr abends die Nachricht, es werde auch eine Sturmflut geben. „Wir wussten gar nicht, was das ist“, erzählt der Berater. „Wir kennen Tsunamis aus Japan, aber eine Sturmflut?“ Ohnehin war es zu spät, um noch mal in die verstreuten Dörfer zu fahren, Jagnaya und Asgad waren mobil außerdem schon nicht mehr zu erreichen. So konnte der Krisenstab nur abwarten. Zwischen drei und sieben Uhr in der Nacht rollte die Flut in drei Riesenwellen über den Landkreis, die höchste Welle war zehn Meter hoch. „Es war ein langer, langer, langer Alptraum“, sagt Padit. Am nächsten Morgen zählte man 29 Opfer unter den 21 000 Einwohnern. 26 sind ertrunken. Damit, dass die anderen drei Vermissten noch gefunden werden, rechnet keiner mehr. „Hier finden Sie nicht einmal mehr eine Markierung, die anzeigt, wo Ihr Land war“, sagt Padit und zeigt über den weißen Sand von Jagnaya, wo einmal 83 Häuser im für die Gegend typischen dunklen Sand unter Palmen standen. Künftig soll hier niemand mehr bauen dürfen, so eine Katastrophe dürfe einfach nicht noch mal passieren, sagt Padit.

Sein Chef war am Morgen nach dem schweren Sturm schon um sieben Uhr unterwegs, um sich die Misere anzugucken. „Da flogen noch die Dächer durch die Luft“, sagt Nachbarin Patricia Quirante Birongoy. „Wir hatten zwar Lebensmittel da, aber wir hatten solche Angst, dass wir gar nichts essen konnten.“ Melchor Mergal fand die 37-Jährige und ihre Familie zusammengedrängt auf der engen Toilette. „Die hat ein Betondach, nur da haben wir uns halbwegs sicher gefühlt“, erzählt Birongoy und schaut auf die Bilder des achtjährigen Andrei. Ihr Sohn starb im Juli an Dengue-Fieber. Ihr Mann ist irgendwo vor Barbados als Seemann unterwegs, diesmal für acht Monate. Die zierliche Lehrerin hat ihn seit dem Taifun noch nicht erreichen können. Der Globus, auf dem sie seine Routen verfolgt, steht immer noch in eine Tüte gewickelt auf der Anrichte, ihre Bücher hat sie vor Hayian in Zellophan gepackt, aber es hat nicht für alle gereicht. Patricia Quirante Birongoy sitzt mit angezogenen Knien in ihrem Wohnzimmer, sie will sich nicht unterkriegen lassen: „Nächste Woche können wir wieder mit dem Unterricht anfangen, warum nicht?“ Die Schulleiterin, lasse in der Schule gerade aufräumen, so gut es eben geht. „Ja, wir können es schaffen“, spricht sie sich selbst Mut zu und wischt sich über die Augenwinkel. Prüfend blickt sie gen Dach, auf das gerade schon wieder ein Sturmregen prasselt. „So hat Yolanda auch angefangen“, brüllt sie gegen den Lärm an. Dann macht sie sich mit einer Kerze in der Hand auf den Weg ins Bett.

Vor lauter Sand haben sie in Jagnaya am Morgen nach dem Supertaifun kaum die Straße gefunden, Bulldozer mussten zum Räumen kommen. „Es regnete Sand und Steine“, erzählen sie im Ort. Im Nachbarort Asgad schwappte die dritte Welle bis über das Kreuz auf der Kirche. Vom Gotteshaus steht nur noch ein Teil der Front, dahinter ragt ein verdrehtes Knäuel aus Stahlträgern in den strahlend blauen Novemberhimmel. Das bisschen Fundament unter einem Baumgerippe davor war einmal das Gesundheitszentrum, erzählt eine alte Frau, die sich in den Schatten der verbliebenen Kirchenmauer geflüchtet hat. Schatten gibt es  nicht    mehr viel.

Die Szenerie erinnert beklemmend an die Bilder im Tamilengebiet im Norden Sri Lankas, wo vor neun Jahren ein Tsunami gewütet hat. Die Heiligenfiguren stehen und liegen in den Trümmern von Asgad verteilt. Ein paar Männer tragen einen Heiligen zurück zur Kirche, zwei Knirpse rennen mit der ramponierten Hand eines Heiligen und einer kleinen Statue hinterher. Am Dorfeingang fechten zwei Jungs auf einer umgestürzten Palme fauchend mit ihren Tierfiguren einen imaginären Kampf. Ihr Vater kurvt mit der Schubkarre los, er sucht im Schutt nach Brettern und Nägeln, um sein Haus zu reparieren. Gegenüber liegt einer der beliebten Kleinbusse zwischen Trümmern und Palmresten wie am Boden fixiert.

Im Dorf sind alle damit beschäftigt, aufzuräumen und zu reparieren. Die Einwohner sägen, tragen Habseligkeiten zusammen, nasse Kleidung und Plüschtiere liegen zum Trocknen aus. Mittendrin steht eine Mutter mit ihrer Tochter an einer Handpumpe, immerhin haben sie Wasser. Plötzlich rennt eine Frau los und kommt mit einem weißen Styroporschild zurück. Sie reckt es in die Höhe. „Thanks USA Crews“, steht darauf geschrieben. Die Hubschrauber, die immer mal wieder vorbeiknattern, haben ihnen Lebensmittel gebracht.

Mit ihrem Bürgermeister sind manche hier nicht zufrieden. Der schlafe, beklagen sie sich. Sie erwarten mehr Hilfe von ihm. Anders als Präsident Aquino, der gerade in Tacloban Politik macht und sich gegen den dortigen Bürgermeister vom Marcos-Clan öffentlichkeitswirksam zum obersten Helfer erklärt hat, überlässt Melchor Mergal die Verteilung der Hilfsgüter den jeweiligen Gemeindechefs. Ein Fehler? Mergal gehört zur Centrist Democratic Party, die Wirtschaftswissenschaftler Padit zusammen mit anderen 2010 gegründet hat. Padit sagt, die bisherigen philippinischen Parteien seien reine Patronageveranstaltungen, die CDP aber wolle eine demokratische Partei aufbauen.

Und Padit lässt sich seinen Optimismus nicht nehmen. Die Leute seien hoffnungsfroh, es müsse weitergehen: „Wir haben keine Zeit zu trauern.“ Der Bürgermeister und er haben ein Essen-für-Arbeit- und ein Geld-für-Arbeit-Projekt aufgelegt. Wenn die Leute beim Aufräumen helfen, bekommen sie etwas. Bezahlt wird später, Banken und Geldautomaten arbeiten seit Hayian nicht mehr. In spätestens einem Monat sollen die Bürger im Kreis Salcedo wieder ihren Lebensunterhalt verdienen können, verkündet Padit vor ein paar Holzlatten, die mal ein Haus waren. Es ist ein optimistisches Ziel, denn auch fast alle Fischerboote sind beschädigt oder zerstört. Wegen der Überfischung können die Leute mit kleinen Booten oder von Hand an der Küste aber praktisch nichts mehr fangen. Die geköpften Kokospalmen, für sie die Bäume des Lebens, weil sie alles davon verwerten, werden sich nicht wieder erholen. „Na ja, vielleicht ist das jetzt die Chance auf eine andere Landwirtschaft umzusteigen“, meint Padit.

Inzwischen hat der Bürgermeister ein Satellitentelefon, und vom Welternährungsprogramm ist endlich ein Laster mit Nahrungsmitteln angekommen. Das wird für fünf Tage reichen. Vor dem Rathaus wurden die Säcke mit Reis unter einer Plane gestapelt, bewacht werden sie von einem Mitarbeiter und einem Soldaten.

Früh um sechs Uhr stellt sich der Wächter kerzengerade hinter seinen weißen Plastikstuhl. Der Pfarrer ist gerade in vollem Ornat nebenan vor die Kirche getreten. Das Gotteshaus hat kein Dach mehr und ist einsturzgefährdet, aber kurzerhand wurden die Bänke in die Einfahrt gestellt, die Jesus- und Marienstatuen an die vergitterte Kirchentür gerückt und ein provisorischer Altar gebaut. Die Reihen sind gut gefüllt, manche Kirchgängerin hat sich schon um fünf Uhr auf den Weg gemacht, im Ausgehkleid, mit Ohrringen, Kette und rot geschminkten Lippen. Hier treffen sie sich kurz nach Sonnenaufgang auch zum Reden. Der Organist schlägt die ersten Töne auf einer kleinen elektrischen Orgel an, dann singen sie zusammen. Die eine Stunde Messe unter wehenden Plastikplanen gibt ihnen jeden Morgen nach den beängstigend lauten Gewitternächten in all dem Chaos Halt.

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