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Politik: Plan B aus Ankara

Bei einem Stopp der Beitrittsgespräche durch die EU will die Türkei ihrerseits Druck auf Brüssel machen

Offiziell bewahrt Ankara Stillschweigen. Es gebe einen Plan B und sogar einen Plan C, aber darüber sprechen wolle er noch nicht, sagte Premier Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch. Jedoch sind Einzelheiten durchgesickert, wie die Türkei auf einen Teilstopp der Beitrittsgespräche mit der EU reagieren könnte. Falls Brüssel wie geplant acht von 17 Verhandlungsbereichen mit der Türkei sperren sollte, will die Türkei demnach ihre Kooperation mit Europa zurückfahren – dort, wo es den Europäern wehtut.

In Bezug auf das Treffen des „Weimarer Dreiecks“ – Polen, Deutschland, Frankreich – im saarländischen Mettlach am Dienstag gab sich Erdogan gelassen. Es habe sich nicht um einen EU-Gipfel gehandelt, sondern um ein Dreiertreffen, sagte er. Zudem habe Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Forderung nach einer „Revisionsklausel“ zur Überprüfung des türkischen Beitrittsprozesses nicht wiederholt. Danach würden die Regierungschefs der EU nach 18 Monaten entscheiden, ob die Gespräche mit der Türkei wieder aufgenommen werden. Der Vorschlag stößt bei EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn auf Kritik. Erdogan bekräftigte, sein Land werde den Weg in die EU fortsetzen: „Wir halten nicht an.“

Ohne Lockerung des europäischen Handelsembargos gegen den türkischen Teil Zyperns will Ankara die eigenen Häfen für Schiffe aus der griechischen Republik Zypern nicht öffnen. Die EU-Kommission schlägt vor, als Strafe acht Kapitel der Beitrittsverhandlungen stillzulegen, bis Ankara die Häfen öffnet – Erdogans Regierung sind das zu viele. Der Beschluss darüber fällt beim EU-Außenministertreffen am 11. Dezember oder beim EU-Gipfel vier Tage darauf.

In Ankara hieß es, man werde die Beitrittsgespräche auf keinen Fall von sich aus abbrechen. „Wir werden andere Dinge tun“, sagte ein Regierungsvertreter ohne Einzelheiten zu nennen. Die europapolitisch meist gut informierte Zeitung „Radikal“ meldete aber, mögliche Reaktionen wären reduzierte Zusammenarbeit mit der EU im Nahostkonflikt, bei Irans Atomprogramm sowie hinsichtlich der Lage im Irak und im Kaukasus. Rüstungskooperation könnte leiden, Folgen für den Energiesektor werden genannt: Die Türkei verwies zuletzt mehrfach auf ihre Bedeutung als Transitland für Öl- und Gaslieferungen aus Zentralasien.

Besonders schmerzhaft für Europa könnte ein türkisches Desinteresse an einer Zusammenarbeit in der Flüchtlings- und Drogenpolitik werden. Die Türkei ist Sprungbrett für Hunderttausende Menschen, die nach Europa wollen. Nach offiziellen Angaben setzten die türkischen Behörden in den ersten acht Monaten dieses Jahres 42 000 Flüchtlinge fest. Zudem ist die Türkei ein Hauptdurchgangsland für Heroin, das aus Afghanistan nach Europa geschafft wird.

Möglicherweise ist die „Radikal“-Meldung auch als Warnung Ankaras an die Europäer gedacht. Erdogan signalisierte jedenfalls, dass seine Regierung weiter versuchen will, die EU zu einer milderen Haltung zu bewegen. Dagegen betonte Vizeregierungssprecher Thomas Steg am Mittwoch die Forderung von Kanzlerin Merkel, eine politische Entscheidung der Regierungschefs zum Fortgang der Türkei- Verhandlungen erreichen und die Frage nicht überwiegend der EU-Kommission überlassen zu wollen. Steg sprach von einem „gravierenden Unterschied“ der Positionen von Bundesregierung und Kommission. Er bekräftigte die Forderung Merkels nach einem abgemilderten Revisionsverfahren der Beitrittsgespräche für den Fall, dass diese in einigen Punkten ausgesetzt werden. Die Kanzlerin verlangt laut Steg nun, dass Brüssel vor der Europawahl 2009 einen „gesonderten Bericht und nicht den üblichen Fortschrittsbericht“ zur Türkei vorlegt. Darüber müssten dann die EU-Regierungschefs entscheiden. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sagte der „Frankfurter Rundschau“: „Es ist richtig, einen Schritt weiter zu gehen, als die Europäische Kommission vorgeschlagen hat“. mit dpa

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