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Mit Kerzen protestieren Tausende in Warschau vor dem Präsidentenpalast gegen die Justizreform.

© Agenzija Gazeta, Reuters

Update

Polens Justizreform: Präsident Duda hat Einwände

Bisher hat Polens Präsident den Abbau der Demokratie bedenkenlos mitgetragen. Jetzt aber droht er, das Justiz-Gesetz seiner Parteifreunde nicht zu unterschreiben.

Polens Präsident Andrzej Duda hat der Regierungspartei PiS überraschend mit Widerstand gegen die Justizreform gedroht und damit Hoffnungen belebt, dass sich die von der PiS angestrebte Gleichschaltung der Gerichtsbarkeit noch abwenden lässt. Duda, der selbst der PiS angehört und deren umstrittene Aushöhlung der Demokratie, der Gewaltenteilung und der Medienfreiheit bisher bedenkenlos mitgetragen hatte, forderte am Dienstag eine Überarbeitung des Gesetzespakets, mit dem die Regierung die Unabhängigkeit der Gerichte beenden und ihre Besetzung dem Justizminister überlassen möchte.

Duda will eine kleine Ergänzung

Duda schlug ein zusätzliches Gesetz vor, das eine Drei-Fünftel-Mehrheit bei der Bestellung des Richterwahlgremiums durch das Parlament vorschreiben soll. Andernfalls werde er die anderen Gesetze zur Justizreform nicht unterzeichnen, kündigte der Präsident an. Ohne seine Unterschrift sind sie nicht rechtskräftig. Die Opposition sieht darin ein Ablenkungsmanöver. Duda habe nicht zu erkennen gegeben, dass er die ganze Justizreform als verfassungswidrig bewerte, weil sie die Gewaltenteilung aushebele. Er habe lediglich gemahnt, der Richterrat dürfe nicht „einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden“. Die Reform könne in ihrer aktuellen Fassung zu einer parteipolitischen Unterwanderung der Justiz führen. Das polnische „Newsweek“-Magazin analysierte, Duda gehe es darum, sich als von der PiS unabhängiges Staatsoberhaupt zu inszenieren, ohne den bedenklichen Kern der Reform zu verhindern.

In jedem Fall erschwert die Intervention des Präsidenten den Zeitplan der PiS. Deren Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski möchte, dass beide Kammern des Sejm die Entmachtung der Justiz noch vor Ende nächster Woche beschließen und Duda sie umgehend in Kraft setzt. Dadurch würden alle Richter umgehend ihr Amt verlieren – mit Ausnahme derer, die der Justizminister für würdig befindet zu bleiben.

Kaczynski verliert die Nerven

Direkt nach der Sommerpause steht ein Gerichtstermin an, bei dem das Oberste Gericht über die Rechtmäßigkeit der politischen Eingriffe beim Verfassungstribunal urteilen soll. Auch das will die PiS mit der Justizreform verhindern. „Ich werde die Reform zum Obersten Gericht nicht unterschreiben, solange nicht meine Änderung zum Landesrichterrat verabschiedet wird“, sagte das Staatsoberhaupt zu den scharf kritisierten Gesetzesentwürfen, die die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Eilverfahren durchs Parlament treibt.

In der Sejm-Sitzung zur Justizreform kam es am Dienstag zum Eklat: PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski beschimpfte Oppositionspolitiker als „Kanaillen“ und „Verräter“. Diese hatten ihm vorgehalten, dass sein Zwillingsbruder Ex-Präsident Lech Kaczynski, der 2010 bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommen war, eine solche Demontage des demokratischen Rechtsstaats nicht zugelassen hätte. Kaczynski stürmte ans Rednerpult und sagte empört: „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler. Ihr habt ihn zerstört und ermordet.“ Die PiS behauptet, der Flugzeugabsturz sei ein russischer Anschlag gewesen; an dieser Verschwörung habe sich auch die damalige liberale Regierung Polens beteiligt, die heute in der Opposition ist.

Europa will Demokratie-Abbau nicht hinnehmen

Die Massenproteste in Warschau und anderen Städten gegen die Justizreform hielten an. Tausende demonstrierten in der Nähe des polnischen Parlaments. Mit Kerzen in der Hand formten sie eine Lichterkette und verlangten, Präsident Duda solle die Gesetze mit seinem Veto blockieren. „Freie Gerichte, wir wollen ein Veto!“, skandierten sie. Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ am Abend keine Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Die Partei werde „die Reformen zu Ende bringen“, sagte sie vor Abgeordneten.

Europäische Politiker und Institutionen forderten die Regierung in Warschau eindringlich zum Verzicht auf die Gesetzesvorhaben auf, welche die Unabhängigkeit der Justiz infrage stellen. EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans hatte schwere Bedenken gegen die Reform geäußert, mit der die Regierung in Warschau eine größere Kontrolle über das Oberste Gericht erhielte. Timmermans drohte damit, dass deswegen das Stimmrecht Polens ausgesetzt werden könnte. Eine Entscheidung will die Kommission aber noch nicht treffen.

Der Chef der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, wies die Kritik der EU-Kommission an der geplanten Justizreform zurück. Sie missbrauche ihre Macht, weil es sich um eine rein innenpolitische Angelegenheit handele, sagte der nationalkonservative Politiker am Mittwoch dem öffentlich-rechtlichen Sender TVP. "Das ist eine politisch motivierte Aktion."

Europarats-Präsident Thorbjörn Jagland forderte von Polen Respekt für die europäischen Justiznormen. Er erinnerte daran, dass Polen als Mitglied des Europarats dessen Prinzipien folgen müsse. „Eine effiziente, unparteiische und unabhängige Justiz ist das Fundament jedes Systems demokratischer Kontrolle“, erklärte Jagland. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, bezeichnete den Entwurf als weiteren Beleg „für eine beunruhigende Tendenz hin zum Autoritarismus" in Polen.

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