zum Hauptinhalt
Jahrtausendalte Religionsgeschichte. Hier beten bei einer Beschneidungszeremonie in Budapest ein Rabbi und der Vater für den acht Tage alten Ruben.

© dpa

Nach Kölner Urteil: Politiker wollen Beschneidung legalisieren

Laut einer Umfrage hält eine Mehrheit der Deutschen das Kölner Urteil zu Beschneidungen für richtig. Der Zentralrat der Muslime erwägt indes eine Klage in Karlsruhe. Unterstützung bekommen die Religionsgemeinschaften aus der Politik.

Von Michael Schmidt

Nach dem Kölner Beschneidungs-Urteil vom vergangenen Dienstag wird der Ruf nach einer Korrektur der Gerichtsentscheidung immer lauter. Juden und Muslime berufen sich auf die Religionsfreiheit und lehnen Kompromisse ab. Politiker der FDP und der Grünen fordern eine rasche Klarstellung. Laut einer Umfrage hält eine Mehrheit der Deutschen (56 Prozent) das Urteil für richtig. 35 Prozent halten es für nicht richtig, zehn Prozent haben sich dazu bislang keine Meinung gebildet, wie der „Focus“ berichtete.

Die jüdische Religion sieht vor, dass Jungen innerhalb von acht Tagen nach der Geburt beschnitten werden. Das Kölner Landgericht hatte die rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung gewertet. Das Erziehungsrecht der Eltern werde nicht beeinträchtigt, wenn sie abwarten müssten, bis ihr Kind selbst eine Entscheidung zur Beschneidung treffen könne, hieß es in der Urteilsbegründung. Eine spätere Beschneidung von jüdischen Jungen schloss der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, aber aus. „Da müsste man schon mit dem lieben Gott verhandeln“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, will das Bundesverfassungsgericht einschalten. Er sagte dem „Focus“, seine Organisation erwäge, „einen Präzedenzfall zu schaffen“. So solle die Frage der rituellen Beschneidung über den Instanzenweg vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden.

Dabei erhalten Juden und Muslime parteiübergreifend Unterstützung. „Mir scheint diese Rechtsprechung mehr als fragwürdig“, sagte zum Beispiel der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck. Noch sei unklar, auf welchem Wege eine Korrektur am besten zu erreichen sei, sagte Beck dem Tagesspiegel. „Wir müssen prüfen, ob es richtig wäre, das auf dem Weg der Rechtsprechung erreichen zu wollen, oder ob das Sache des Gesetzgebers ist.“

Serkan Tören, FDP-Integrationsexperte, hat sich in dieser Frage schon entschieden: Er strebt eine gesetzliche Neuregelung an. „Nach dem Kölner Urteil herrscht eine riesige Rechtsunsicherheit im Rest der Republik“, sagte Tören dem Tagesspiegel. Darauf zu warten, dass das irgendwann vor das Verfassungsgericht geht, halte er für unzumutbar. Das könne Monate, wenn nicht Jahre dauern. „Da sind wir als Gesetzgeber gefordert.“ Er setze sich für ein Gesetz ein, das klarstellt, dass die weltweit etablierte Praxis der Beschneidung auch in Deutschland legal ist, sagte Tören. Er denke daran, das Strafgesetzbuch zu ändern: „Wenn man dort definieren kann, was nicht geht, dann kann man dort auch definieren, was geht.“ Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten werden, könne sich das Land „jede weitere Integrationspolitik sparen“, sagte Tören, der selbst Muslim ist. „Ein Verbot der Beschneidung hieße nichts anderes als: Ihr Muslime gehört nicht dazu – macht, was ihr wollt, aber nicht hier in Deutschland.“

Aydan Özoguz, Integrationsbeauftragter der SPD-Bundesfraktion, teilt die Sorge vor einem Beschneidungs-Tourismus: „Denn die Beschneidung der Jungen geht auf eine jahrtausendalte Religionsgeschichte zurück“, sagte Özoguz dem Tagesspiegel und fragte: „Müssen Eltern, die das Kindeswohl ihres Jungen bei der Beschneidung durchaus im Blick haben, diese religiöse Praxis dann in Zukunft nur noch im Ausland vollziehen lassen?“

Sie warnte auch davor, die Genitalverstümmlung von Frauen mit der Beschneidungspraxis bei Juden und Muslimen zu vergleichen. Die Genitalverstümmlung werde „auch von Juden und Muslimen entschieden verurteilt“. Auch nach Auffassung von Volker Beck sind beide Praktiken nicht vergleichbar. Nicht „von der Eingriffstiefe im medizinischen Sinne her“, wie Beck erklärt. Denn während die Operation bei Frauen „massive bleibende Schäden und eine Einschränkung sexueller Empfindsamkeit“ zur Folge habe, sei die Beschneidung von Jungen, wenn sie nach hygienischen und medizinisch-fachlichen Standards erfolge, weitaus weniger gravierend.

Zudem, sagt Beck, handele es sich bei der Beschneidung von Jungen um „zwei zentrale Aspekte zweier Weltreligionen“ – die Befürworter weiblicher Beschneidungen hingegen könnten sich auf keine kulturellen Gründe berufen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false