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Politik: Polizei vor Londoner Anschlägen gewarnt?

Britischer Computerexperte will Behörden schon 2003 Material über spätere Attentäter vorgelegt haben

Ein Computerexperte will die Polizei bereits 20 Monate vor den Bombenanschlägen von London auf den Täterkreis hingewiesen haben. Martin Gilbertson berichtete der Tageszeitung „The Guardian“, wie er jahrelang mit der Gruppe fanatischer Islamisten in Leeds zusammenarbeitete, aus der die Selbstmordbomber Mohammed Sidique Khan und Shehzad Tanwer hervorgingen. Mit zwei weiteren Fanatikern rissen die beiden am 7. Juli 2005 in London 52 Menschen mit in den Tod.

Gilbertson lernte bei einer „Jubelfeier“ für die Anschläge auf das New Yorker World Trade Center im September 2001 den Leiter des Iqra Buchladens in Leeds, Martin McDaid, kennen. Den zum Islam bekehrten ehemaligen Marineinfantristen beschreibt er als den lautesten „Eiferer“ der Gruppe. „Es ging ihnen nur um Dschihad, jüdische Verschwörungen, dass der Holocaust eine Erfindung sei, um den Großen Satan Amerika und seinen Verbündeten Großbritannien.“

Im Hinterzimmer des islamischen Buchladens habe er für die Gruppe Computer gebaut, Firewalls und E-Mail-Verschlüsselungsprogramme eingerichtet und geholfen, Propagandavideos herzustellen. Immer wieder habe man versucht, ihn zum Islam zu bekehren. „Ich frage mich, was passiert wäre, wenn sie es geschafft hätten“, so Gilbertson im „Guardian“.

Im Oktober 2003 wurde es ihm nach eigener Aussage unheimlich. Er sei zur Polizei gegangen und habe dann auf Aufforderung eine Liste mit Namen, eine DVD mit Material der Gruppe und seine Telefonnummer eingesandt. Danach habe er nie mehr etwas gehört. Als er nach den Anschlägen von London hörte, dass die Gruppe aus Leeds stammte, sei ihm „schlecht geworden“. Erneut kontaktierte er die Polizei und sei dann mehrmals vernommen worden.

McDaid und andere von Gilbertson genannte Dschihadisten haben jede Verbindung zu den Anschlägen bestritten und wurden auch nicht angeklagt. Die West Yorkshire Polizei erklärte, man könne nicht zurückverfolgen, was mit Gilbertsons Informationen geschehen sei, „ob sie an die Geheimdienste weitergeleitet oder als nebensächlich eingestuft wurden oder zu irgendwelchen Aktionen führten“.

Immer wieder wird in Großbritannien debattiert, ob die Polizei die Anschläge hätte verhindern können. Vorwürfe konzentrieren sich auf die Tatsache, dass Sidique Khan als Randfigur einer anderen Terrorverschwörung zeitweise unter Polizeibeobachtung stand. Doch sprach ein Untersuchungsbericht die Polizei im Mai von Fehlern frei. Es wurde lediglich gerügt, dass die Haushaltsmittel der Antiterrorabteilungen nicht schneller aufgestockt wurden.

Ein vergangene Woche von der „Times“ abgedruckter US-Bericht, wonach Sidique Khan 2003 vom CIA als potenzieller Terrorist identifiziert worden sei und Einreiseverbot erhalten habe, hat sich inzwischen als falsch erwiesen.

Matthias Thibaut

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