zum Hauptinhalt
Nicht immer Freunde: Russlands Präsident Putin und US-Präsident Barack Obama.

© dpa

Prism-Skandal: Kein Kalter Krieg zwischen Russland und USA

Die Spannungen zwischen Russland und den USA sind kein Kalter Krieg, sondern Folge innenpolitischen Kalküls auf beiden Seiten - mit negativen Konsequenzen für die europäische Sicherheit. Eine Analyse von Sabine Fischer.

Die russisch-amerikanischen Beziehungen haben Anfang August wieder einmal einen diplomatischen Tiefpunkt erreicht. Erst gewährte Moskau dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der Ende Juni im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo gestrandet war, vorübergehendes Asyl. Dann sagte Washington den für Anfang September in Moskau geplanten Gipfel der beiden Präsidenten ab. Die Obama-Administration hatte mit diesem Treffen die Hoffnung verbunden, nach den Spannungen der vergangenen anderthalb Jahre an die kurze Phase des so genannten Reset zwischen 2009 und 2011 anknüpfen zu können. In dieser Zeit hatte Washington sich, noch mit dem damaligen russischen Präsidenten Medwedew, recht erfolgreich um die Entspannung und Verbesserung des bilateralen Verhältnisses bemüht. Obama wollte vor allem weitere Verhandlungsschritte im Bereich der nuklearen Abrüstung einleiten, ein außenpolitisches Ziel, für das die Zusammenarbeit mit Russland unverzichtbar ist. Diese Hoffnung ist bis auf Weiteres zerstoben. Es bleibt die gemeinsame Teilnahme der Präsidenten am G20-Gipfel in St. Petersburg am 5. und 6. September. Wenn es überhaupt zu einem gemeinsamen Auftritt kommt, so dürfte dieser noch frostiger ausfallen als der beim G8-Gipfel im vergangenen Juni.

Amerikanische, russische und europäische Gazetten schreiben dieser Tage wieder viel vom Kalten Krieg. Diese Analogie ist und bleibt falsch. Es gibt keinen Systemgegensatz mehr, der dem in der Periode des Ost-West-Konflikts vergleichbar wäre. Es herrscht auch keine – fiktive oder reale – nukleare und sonstige Parität zwischen den USA und Russland. Noch wichtiger aber: Russland ist heute ein in globale politische und wirtschaftliche Prozesse integriertes Land, die russische Gesellschaft so offen wie nie zuvor in ihrer Geschichte. Eine Situation wie vor dem Beginn der Perestroika Mitte der 80er Jahre ist heute nicht mehr denkbar.

Gute Beziehungen mit westlichen Staaten sind für Putin keine Priorität

Moskau hat mit der Rückkehr Vladimir Putins in den Kreml seine außenpolitischen Prioritäten neu sortiert. Im Vordergrund stehen nun noch stärker als zuvor der Ausbau einer Einflusszone auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und die Festigung der russischen Großmachtposition auf internationaler Ebene. Die Wahrung guter Beziehungen mit westlichen Staaten, allen voran mit den USA, ist für Moskau keine Priorität mehr. Im Gegenteil: Verunsichert durch zunehmende Kritik im Innern verfällt die politische Führung der Versuchung, einen Cocktail aus krudem Antiamerikanismus vermischt mit Stereotypen aus dem Kalten Krieg zur Legitimationsbeschaffung zu nutzen. An dieser unflexiblen und ablehnenden Haltung wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern.

Die Entscheidung Obamas, den Gipfel abzusagen, entspringt zunächst einmal einer kühlen Kosten-Nutzen-Rechnung. Die Beziehungen mit Russland haben sich in den vergangenen zwei Jahren trotz der Bemühungen des Weißen Hauses stetig verschlechtert. Die Reset-Politik brachte einige der gewünschten Ergebnisse, wie die russisch-amerikanische Kooperation hinsichtlich Afghanistans und des Iran, sowie ein neues Abrüstungsabkommen. Seit 2011 sind jedoch keine weiteren Fortschritte erzielt worden. Vielmehr nahmen die Meinungsverschiedenheiten, beispielsweise über den Bürgerkrieg in Syrien, stetig zu. Auch für das Treffen im September konnte Obama nicht mit russischem Entgegenkommen rechnen. Dies war der eigentliche Grund für die Absage: der Nutzen hätte die Kosten eines solchen Treffens für das Weiße Haus nicht aufgewogen.

Das Thema Russland ist in der innenpolitischen Debatte der USA zu einem Druckmittel geworden

Bei den Kosten kommt auch Edward Snowden wieder ins Spiel. Die Weigerung Moskaus, Snowden auszuliefern, hat in Washington eine heftige Debatte ausgelöst. Die starken Reaktionen auf das Thema stehen dabei in erstaunlichem Kontrast zu der Beteuerung, Russland habe aufgrund seiner Schwäche keinen Platz mehr in den strategischen Erwägungen der USA. Die Kritiker der vorsichtigeren Herangehensweise Obamas fordern sehr weitreichende Vergeltungsmaßnahmen vom Boykott der olympischen Winterspiele in Sotschi im Februar 2014 bis zur beschleunigten Aufnahme Georgiens in die NATO. Hier werden viele Dinge vermischt, die wenig miteinander zu tun haben. Die Argumente zeigen, und das nicht zum ersten Mal, wie sehr das Thema Russland in der amerikanischen Debatte zu einem zweckdienlichen Druckmittel auf die Administration geworden ist. Dabei spielen auch hier Stereotype aus dem Kalten Krieg eine Rolle, aber auch das sehr schlechte Image des gegenwärtigen Russlands in der amerikanischen Öffentlichkeit. Für die Kritiker des Präsidenten sind dabei die Kosten eines Konflikts über die Russlandpolitik niedrig. Für Obama jedoch sind die Kosten hoch, da er für die vor allem innenpolitischen Ziele seiner zweiten Amtszeit auf breite und parteiübergreifende Zustimmung angewiesen ist. So sind die russisch-amerikanischen Beziehungen nicht nur Spielball russischer, sondern auch amerikanischer Innenpolitik – und auch hieran wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern.

Das ursprüngliche Ziel der Reset-Politik, eine stabilere Basis für die bilateralen Beziehungen zu schaffen, ist in die Ferne gerückt. Das Verhältnis zwischen Washington und Moskau dürfte deshalb in den kommenden Jahren volatil bleiben. Damit schaden sich die USA und Russland selbst. Weil die russisch-amerikanischen Beziehungen ein zentraler Baustein europäischer Sicherheit sind, ist ihre dauerhafte Verschlechterung aber auch für Deutschland und Europa eine schlechte Nachricht.

Sabine Fischer forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) u.a. zu russischer Außen- und Sicherheitspolitik und zu russisch-amerikanischen Beziehungen. Sie leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

Sabine Fischer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false