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Politik: Privat und passgenau

Wie die Hamburger Agentur „Pluspunkt“ Arbeitsuchende und Unternehmen zusammenbringt

Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit beginnt in Hamburg zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt: im Nagelsweg an der Kurt-Schumacher-Allee. Auf der linken Straßenseite steht ein mächtiger Klinkerbau: die Arbeitsagentur. Auf der rechten Straßenseite hat die private Arbeits- und Personalvermittlung „Pluspunkt“ mehrere Stockwerke bezogen.

Im Erdgeschoss von „Pluspunkt“ steht die Türe offen. Rechts an der Wand, hinter einer Sitzgruppe aus orangefarbenen Sesseln, hängen mehrere hundert Stellenanzeigen. Da ist für jeden was dabei, könnte man meinen: Gesucht werden Callcenter-Agenten, Fleischer, Technische Zeichner, Buchhalter, Schiffswächter oder Projektassistenten. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Deutschland erlebt zurzeit einen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch kommt die Entspannung wirklich an im Nagelsweg, bei denen, die Arbeit suchen und vermitteln?

3,715 Millionen Menschen waren im Juli ohne Arbeit. „95 Prozent davon wollen arbeiten“, glaubt Bettina Ramm, Arbeitsvermittlerin bei „Pluspunkt“. Dass es mit einer Anstellung häufig nicht klappt, habe verschiedene Gründe: „Viele sind prima in dem Bereich, in dem sie bislang gearbeitet haben, aber es fehlt ihnen an Qualifikationen, die heute von Arbeitnehmern erwartet werden“, sagt die Arbeitsvermittlerin. Dazu gehörten Englisch- und Computerkenntnisse. Andere hätten überhaupt keine Ausbildung oder eingeschränkte Sprachkenntnisse.

„Pluspunkt“ will Arbeitsuchenden einen „passgenauen“ Job vermitteln. Deshalb lässt Bettina Ramm die Kunden viel von sich erzählen: wie sie leben, was Frau und Kinder machen und wie sie sich ihre neue Tätigkeit vorstellen. Dann nimmt sie sich die Gelben Seiten vor und telefoniert. Und besucht Betriebe und Firmen, in denen eine geeignete Stelle frei ist, guckt sich die Aufgaben und Kollegen an und erzählt dem Kunden davon. Wenn der sich für ein Vorstellungsgespräch entscheidet, kommt sie häufig mit. Um Halt zu geben. Oder Fehler zu entdecken, die sich beim nächsten Vorstellungsgespräch vermeiden lassen. Aber oft klappt es ja auch mit der Vermittlung, und die Arbeitgeber fragen wieder bei „Pluspunkt“ an, wenn sie Personal suchen. Bettina Ramm hat sich auf diese Weise ein Netz von Arbeitgebern aufgebaut. Vier Menschen bringt ein Arbeitsvermittler monatlich in Arbeit – wenn es gut läuft. Am Anfang muss die Vermittlerin aber vor allem Aufbauarbeit leisten: „Die meisten, die hierherkommen, haben vorher lange selbst nach einer Stelle gesucht und fallen dann erst mal in ein Loch“, sagt Bettina Ramm

Was viele Arbeitslosengeldempfänger nicht wissen: Eigentlich könnten sie bereits nach sechs Wochen einen privaten Jobvermittler auf Stellensuche schicken. Ohne eigene Kosten. Mit einem Vermittlungsgutschein der Arbeitsagentur. 63 000 Menschen haben das im vergangenen Jahr getan. Anspruch auf den Gutschein haben Empfänger von Arbeitslosengeld I. Wer ALG II bezieht, bekommt auf Nachfrage meist aber auch einen.

Eine „passgenaue“ Stelle zu vermitteln, heißt für Claudia Ramm, die Wünsche der Arbeitsuchenden zu respektieren. Einer Kundin hatte die Arbeitsvermittlerin eine Stelle in einem Bekleidungsgeschäft besorgt, mit einem „richtig anständigen Gehalt“. Doch in einem Kaufhaus zu arbeiten, kam für die Kundin nicht infrage. „Da habe ich wohl nicht gut genug zugehört“, sagt Bettina Ramm. „Wenn der Kunde etwas nicht will, dann macht er es auch nicht. Und man kann niemanden in Arbeit zwingen.“

Das sieht auch Ursel Marx so, die Geschäftsführerin von „Pluspunkt“. Manche Arbeitsuchende hätten sich in der Arbeitslosigkeit eingerichtet: „Viele haben schlechte Erfahrungen gemacht oder sind in einem Alter, in dem man nicht mehr erste Wahl ist“, sagt sie. „Diese Menschen realisieren, dass sie nicht mehr da einsteigen können, wo sie ausgestiegen sind. Und haben Probleme damit, künftig kleinere Brötchen zu backen.“ Viele lebten dann lieber von Hartz IV. Unter den Arbeitsuchenden gebe es viel Potenzial, das von den Fallmanagern der Arbeitsagentur häufig nicht ausreichend analysiert werde: „Die kennen die Leute und deren Stärken nicht gut genug.“ Doch auch in der Wirtschaft klemme es an einem Punkt: „Die Kommunikation mit den Unternehmen, vor allem kleinen und mittleren, muss verbessert werden“, findet Ursel Marx. Damit klar werde, welchen Personalbedarf die Unternehmen künftig haben. Und Bedarf gibt es in Hamburg: Allein im Hafen entstehen in den nächsten Jahren bis zu 15 000 Arbeitsplätze.

Für jeden Arbeitsvertrag, den „Pluspunkt“ einem Gutscheininhaber vermittelt, erhält die Arbeitsvermittlung 2000 Euro. Daneben existiert die Agentur auch durch andere Aufträge. Eines der Projekte, „Goal“, vermittelt Ausbildungsplätze an Jugendliche, die häufig eine holprige Schulkarriere hinter sich haben. So wie Laeeq. Der 19-jährige Sohn pakistanischer Eltern will Architekt werden. Die erste Etappe auf diesem Ziel ist eine Maurerlehre. Im Büro der Goal-Mitarbeiterin Claudia Schommer rechnet Laeeq auf dem Handy seinen Zeugnisdurchschnitt aus: „Mit Sport oder ohne?“, fragt er. Claudia Schommer rät zur Einbeziehung der Note. Zehn Bewerbungen hat der Realschulabsolvent in den letzten Wochen geschrieben. Zusammen mit Claudia Schommer macht er eine neue Bewerbung fertig. Schommer ist optimistisch – zumal Laeeq sehr flexibel ist und für die Lehrstelle auch umziehen würde.

Im Erdgeschoss von „Pluspunkt“ studieren drei junge Männer die ausgehängten Stellenanzeigen. Momed hat durch eine Freundin von „Pluspunkt“ erfahren. Er interessiert sich für eine Stelle als Staplerfahrer, hängt die Anzeige ab und geht zur Rezeption. Zehn Minuten später hat er den Job. Der ist vielleicht nicht ganz passgenau. Aber ein Anfang.

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