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Thilo Sarrazin.

© ddp

Protestpotenzial: Die Nichtpartei der Grummeldeutschen

Eine Partei unter der Führung von Thilo Sarrazin käme auf ein Fünftel der Wählerstimmen, sagen Demoskopen. Die Person Sarrazin ist dafür eigentlich gar nicht so wichtig. Das Unzufriedenheitsmilieu reicht von rechts bis links.

Berlin - Siebzehn Prozent würden ihn also wählen, genauer gesagt eine Partei, die von Thilo Sarrazin geführt würde. Das hat das Demoskopie-Institut Emnid im Auftrag der „Bild am Sonntag“ herausgefunden. Das ging ja schnell, wird nun mancher sagen, das Buch kaum draußen und schon sammelt der Bundesbanker das unzufriedene Sechstel der Deutschen um sich. „Für sie ist Sarrazin jemand, der endlich ausspricht, was viele denken“, sagt Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner.

Doch hat das Ergebnis der Umfrage wohl weniger mit Sarrazin zu tun als damit, dass ein latentes Protestpotenzial vorhanden ist. Denn schon vor sechs Wochen kam Emnid mit einer Umfrage auf den Markt, dass jeder fünfte Wähler für eine „bürgerlich-konservative Partei rechts von der CDU“ stimmen würde. Schöppner glaubt, dass dies vor allem an der „Sozialdemokratisierung“ der Union liege. „Eine Partei konservativen Zuschnitts bietet für sie eine neue politische Heimat“, sagt der Meinungsforscher und sieht dabei den möglichen Kopf als gar nicht so entscheidend an. Die Person Sarrazin sei nicht ausschlaggebend, lautet sein Fazit der aktuellen Unmutsmessung.

Das Wahlvolk scheint sich gar nicht so sehr um Kategorien wie Rechts und Links zu kümmern. Denn glaubt man der Emnid-Umfrage, bekäme eine Sarrazin-Partei mit 29 Prozent besonders viel Zuspruch unter Anhängern der Linkspartei, während es unter Unionswählern 17 Prozent wären. Dass die SPD-Zentrale derzeit auch viel Post bekommt, in denen Parteimitglieder Sympathie für Sarrazin ausdrücken, deutet auf ein gewisses Potenzial auch unter Sozialdemokraten hin. Und wenn man sieht, dass die Emnid-Umfrage für eine von Friedrich Merz geführte Partei 20 Prozent Zustimmung ergibt und sogar 25 Prozent für eine von Joachim Gauck geführte Partei, dann wird der diffuse Charakter dieser vagabundierenden Wählergruppe deutlich, die allenfalls die Enttäuschung über Union, FDP und SPD eint.

Deren Bindewirkung hat abgenommen, die Stammwählerschaften werden schwächer. Es gibt ein langsam wachsendes Grummel- und Protestmilieu, im Bürgertum wie unter Arbeitern, das zwar recht heterogen erscheint, aber für eine relativ konstante Grundmelodie empfänglich ist: gegen kriminelle Ausländer und gegen die nichtkriminellen auch, ein bisschen Deutschnationalismus und Volksgemeinschaft oder alte Sozialismussehnsucht, gegen Bürokratie, teure Abgeordnete und die etablierten Parteien, für christliche Werte und und gegen einen sich angeblich ausbreitenden Islam, mit Stimmung gegen Brüssel und gegen den Euro, für mehr Kinder und damit eine Zukunft für die Deutschen. Das kommt mal wertkonservativ daher, mal sozialpopulistisch. Auch das Anmahnen von mehr marktwirtschaftlicher Vernunft kann dazugehören, oder die Meinung, vom Sozialstaat profitierten heute die Falschen.

Dieses heterogene Unzufriedenheitsmilieu sucht und findet auch bei Sarrazin die Töne, die in ein Weltbild passen, in dem Deutschland sich abschafft. Bei Friedrich Merz und Wolfgang Clement stößt es ebenso auf bestätigende Argumente wie beim Parteienkritiker Hans-Herbert von Arnim. Es ist nicht unbedingt ein extremes Milieu, aber es ist empfänglich für starke Worte.

Freilich ist es gerade das Diffuse dieser Wählergruppe, die das Entstehen einer neuen Partei vorerst unwahrscheinlich macht. Zumal die potenziellen Köpfe das gar nicht wollen. Warum auch: Die Misserfolgsgeschichte der Parteien, die jene Themen in irgendeiner Weise und Gewichtung ansprechen, ist lang. Sie reicht von der Deutschen Sozialen Union zum Bund Freier Bürger, von der Stattpartei und Pro DM bis hin zur Partei Rechtsstaatliche Offensive und zu Kleinorganisationen wie Elternpartei und Christliche Mitte.

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