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Auch dieser 20-jährige Angeklagte soll Flaschen auf Polizisten geworfen haben.

© Axel Heimken/dpa

Prozesse um Ausschreitungen in Hamburg: Die sonderbaren Wege zur Gewalt bei G20

Der eine gewohnheitskriminell. Der andere im Liebesrausch. Ein Dritter betrunken. Die ersten Prozesse um die Gewalt beim G-20-Gipfel zeigen, dass nicht nur linke Randalierer die Täter waren.

Nach jedem Treffer klatschten sie sich ab. Es war ein Riesenspaß. Vor ihnen die Polizisten, hinter ihnen die johlenden Zuschauer, in deren Schutz sich die beiden Freunde zurückziehen konnten. Wurf, Abklatschen, zurück in die Menge. Yannick M.s Freund hatte ein Depot aus 17 Flaschen vor sich aufgebaut, er selbst hob ein paar davon auf, eine nach der anderen, und warf sie auf die Polizisten. Abklatschen. Zurück. „Es war wohl Abenteuerlust“, sagt Yannick M.

Zwei Monate später sitzt der 20-Jährige so kleinlaut auf der Anklagebank im Hamburger Jugendschöffengericht, dass seine ersten Sätze kaum zu verstehen sind. Er piepst fast vor Anspannung. Äußerlich ist er ein männlich-tougher Typ, mit muskulösem Oberkörper und kurzgeschorenem Nacken. Aus seinem Blick aber spricht Angst. Seit den G-20-Gipfeltagen im Juli sitzt er in Untersuchungshaft.

Yannick M. ist einer der jungen Männer, die während des Staats- und Regierungscheftreffens in Hamburg die Stadt zur Ausnahmezone machten. Am Abend vor dem Gipfelbeginn im Stadtteil Altona, auf der seit jenen Tagen landesweit bekannten Straße Schulterblatt, hat er leere Flaschen auf Polizisten und Polizeiwagen geworfen, immer aus der Anonymität der Masse heraus, maskiert mit einem schwarzen T-Shirt vor dem Gesicht. Er hörte nur auf, weil er in der Menge seinen Freund verlor. Auf dem Weg zum S-Bahnhof Sternschanze nahm die Polizei ihn fest.

Sind das wirklich die Leute, die eine ratlose Stadt hinterließen?

Egal, wo die Ausschreitungen während des G-20-Gipfels zur Sprache kommen – die Rede ist dann oft vom sogenannten schwarzen Block, der dafür verantwortlich sei. Manchmal wird der Begriff durch das Synonym „gewaltbereite Autonome“ ersetzt, gemeint ist immer dasselbe: vermeintlich Linksradikale, für die Gewalt politisches Programm sein soll.

Der schwarze Block war es laut Hamburger Polizei, der die „Welcome to Hell“-Demonstration am Vorabend des Gipfels eskalieren ließ, der schwarze Block war es demnach auch, der das Schulterblatt verwüstete. Aber sind das wirklich die Leute, die nach den Gipfeltagen eine zerstörte Straße und eine so wütende wie ratlose Stadt hinterließen?

51 mutmaßliche Randalier kamen während des G-20-Treffens in Untersuchungshaft. Ein Dutzend davon stand bisher vor Gericht. Durch sie hat die Öffentlichkeit erste Konturen all der Flaschenwerfer und Barrikadenbauer wahrnehmen können. Zehn Täter - und zehn unterschiedliche Tätertypen. Die Zwischenbilanz nach den ersten Wochen der juristischen Aufarbeitung zeigt: Längst nicht alle von ihnen sind der linken Szene zuzurechnen. Manche wussten angeblich nicht einmal vom Treffen der Staats- und Regierungschefs in Hamburg.

Um politischen Protest ging es zumindest für diese Männer nicht. Stattdessen spielte Gruppendynamik eine Rolle. Alkohol. Die Inszenierung von Männlichkeit und Macht. Ganz vorn mit dabei waren Leute wie Yannick M., der sagt, dass er an jenem Abend eigentlich nur zum Trinken ins Schanzenviertel gekommen war. „Als ich das vor der Roten Flora“ - der Autonomenzentrale auf dem Schulterblatt - „mitbekommen habe, wollte ich eben mal schauen, was da so geht.“

Er sei als „politischer Weltbürger“ nach Hamburg gekommen

Oder Tamas K. Der obdachlose Punker saß betrunken am Millerntor, als dort die Abschlusskundgebung der letzten G-20-Demo am Samstag stattfand. 2,95 Promille hatte er im Blut. Als er eine Gruppe Polizisten sah, hob er eine Bierflasche auf, warf sie und setzte sich wieder.

Es gibt aber auch Flaschenwerfer wie Rafael G. Der Schweizer ist ein bürgerlicher Typ. In Zürich ist er eine Art Halbprominenter, er betreibt dort das Lokal „Zum goldenen Fass“ im Ausgehviertel Kreis 4. Als er es 2014 miteröffnete, berichteten die örtlichen Zeitungen über das sympathische Gründerteam.

Auf der Anklagebank sitzt der 29-Jährige Anfang September im dunkelblauen Lammwollpullover mit V-Ausschnitt, darunter trägt er ein kariertes Hemd. Er sagt, er sei als „politischer Weltbürger“ nach Hamburg gekommen, er habe „berechtigte politische Interessen vertreten“ wollen. Hätte man ihm zuvor erzählt, dass er einmal als Gewalttäter vor Gericht stehen würde, hätte er vielleicht gelacht. Aber am 5. Juli, nach der „Lieber tanz' ich als G 20“-Demonstration, hat er Polizisten mit Flaschen beworfen.

"Ich habe mich von der Situation mitreißen lassen“

Eigentlich war gar nichts los. Rafael G. hatte getrunken und getanzt, nun zog er mit Freunden noch durch die Innenstadt. In der Caffamacherreihe stand die Gruppe plötzlich Polizisten gegenüber, und G. hat sich gebückt, leere Flaschen aufgehoben. „Ich habe mich von der Situation mitreißen lassen“, sagt er. Er blickt dem Richter ins Gesicht. „Ich bin in eine Situation geraten, in der ich einen schweren Fehler begangen habe.“ Doch wieso?

Der Staatsanwalt, der in seinem Fall die Anklage vertrat, ordnete Rafael G. in die Gruppe „erlebnisorientierte Jungerwachsene“ ein. Das sind für ihn Leute, für die Veranstaltungen wie die G-20-Proteste Spektakel sind, Events, nichts anderes als ein Musikfestival. Für die es ums Dabeisein geht, um die Party und den Wunsch nach Grenzüberschreitung, und die dann eben auch Gewalt gegenüber Polizisten verüben, wenn es sich ergibt.

Der Staatsanwalt hat bei seinen Ermittlungen drei Tätergruppen ausgemacht: jene erlebnisorientierten Jungerwachsenen. Dann die Mitglieder des schwarzen Blocks. Und zuletzt schlichte Gewohnheitskriminelle ohne politischen Hintergrund. Leute wie Yannick M. Gegen ihn gibt es parallel noch eine zweite Anklage. Im September hatte er auf der Reeperbahn einen Mann zusammengeschlagen und ins Gesicht getreten.

Für die Polizisten sei es aber egal, aus welchem Motiv heraus sie beworfen werden, sagt der Ankläger. Und auch eine Amtsrichterin sagt, es komme für die Strafbarkeit nicht darauf an, dass sich der Flaschenwerfer ideologisch mit dem schwarzen Block identifiziert.

Bislang standen nur Täter vor dem Amtsgericht, die während der Krawalle in Untersuchungshaft kamen. Da müssen die Gerichte möglichst zügig verhandeln, um die Haftdauer nicht zu lang werden zu lassen. Deshalb waren die meisten bislang Angeklagten Ausländer - bei ihnen besteht Fluchtgefahr und damit ein Grund für die Untersuchungshaft. Eine Ausnahme ist Yannick M. Der ist Hamburger und wurde verhaftet, weil er keinen festen Wohnsitz hat.

Die Ermittlungen der Polizei dauern an

Im Moment sind noch 26 Tatverdächtige in Haft. Ihre Prozesse sind erst der Anfang. Die Ermittlungen der Polizei dauern an. Die 170-köpfige Sonderkommission Schwarzer Block der Polizei wertet gerade den größten Berg an Bildmaterial in der Kriminalgeschichte aus, wie ihr Leiter Jan Hieber sagt. Mehr als 2000 Ermittlungsverfahren laufen bereits, am Ende könnten es mehr als 3000 werden. Die Gerichte stellen sich auf hunderte Strafverfahren ein.

Vor allem stehen noch Prozesse gegen mutmaßliche Gewalttäter aus der linken Szene aus. Gegen jene Gipfel-Gegner zum Beispiel, die am Morgen des 7. Juli im G-20-Protestcamp Vorhornweg aufgebrochen und am Rondenbarg festgenommen worden waren. Dabei sind etliche verletzt worden, die Polizei begründete ihren Einsatz damit, die Gruppe habe Steine geworfen. Auf Videos war davon aber kaum etwas zu sehen, bei späteren Durchsuchungen indes stieß die Polizei auf Brandbeschleuniger, Hämmer, Skimasken, Stahlseile, Zwillen und Steine. Elf Haftbefehle erließ das Amtsgericht damals.

Die meisten der Täter, die bereits verurteilt sind, haben Bewährungsstrafen bekommen. Alle, die aus der Untersuchungshaft entlassen wurden, haben sich reuig gezeigt. Der Restaurantbesitzer aus Zürich, ein Jahr auf Bewährung gab es für ihn. Ein Verwaltungsangestellter aus Bilbao, ein Jahr und sechs Monate. Ein Barkeeper aus Prag. Oder Simon D., ein 21-jähriger Franzose, der eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten bekam. „Ich habe in den Wochen der Haft viel über die Einsamkeit gelernt“, sagt er bei seiner Verurteilung. „Ich habe den festen Vorsatz gefasst, nie wieder etwas zu tun, was mich in diese Hölle bringen könnte.“

Für zwei Flaschenwürfe soll er zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis

Vielleicht ist es die Reue, die bei Peike S. gefehlt hat. S. ist ein hochgewachsener Mann mit Piercings und Zopf, der im roten Kapuzenpullover Ende August vor dem Richter sitzt. In Amsterdam soll der 21-Jährige, der in der Schule als hochbegabt galt, in der Hausbesetzerszene aktiv sein. Vorstrafen hat er keine. Dennoch soll S. für zwei Flaschenwürfe zwei Jahre und sieben Monte im Gefängnis sitzen.

Nur zwei weitere Angeklagte sind bislang ebenfalls zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ein Asylbewerber, der illegal in Hamburg lebte. Und Tamas K., der Punker vom Millerntor. Er ist erheblich vorbestraft. In Ungarn hat er wegen Totschlags im Gefängnis gesessen. Er kommt für 16 Monate ins Gefängnis - halb so lange wie Peike S.

Was unterscheidet Peike S. von den anderen Flaschenwerfern? Unterscheidet ihn überhaupt irgendetwas? Hatte er schlicht das Pech, vor dem Amtsrichter gelandet zu sein, vor dem er saß?

S. war der erste mutmaßliche G-20-Gewalttäter, der vor Gericht stand. Und: Die Staatsanwaltschaft rechnet ihn dem schwarzen Block zu - er ist zumindest einer der wenigen Angeklagten, die direkt aus einer Demonstration heraus verhaftet wurden. Nachdem am Vorabend des Staatstreffens die „Welcome to hell“-Demonstration aufgelöst worden war, befand er sich in einer Gruppe Demonstranten, die versuchte, einen neuen Protestzug zu formieren. Im Schanzenviertel kam es zu Scharmützeln mit der Polizei, und Peike S. warf.

Er war aber nicht nur der erste Angeklagte. Er war auch der bisher einzige, der sich durch Schweigen verteidigt hat. Das ist sein gutes Recht. Es darf ihm nicht zum Nachteil gereichen. Ein Geständnis kommt vor Gericht aber einfach besser an. Die anderen Angeklagten, so scheint es, haben daraus gelernt. So gut wie alle distanzieren sich von ihrer Tat.

Naomi habe ihn nach Hamburg geführt, beteuert er

Simon D. ist 21 Jahre alt. Wer ihn Anfang September in Saal 201 des Amtsgerichtes Altona sitzen sieht, könnte denken, er sei nicht von dieser Welt. Mit verträumtem Gesicht sitzt er da, im karierten Hemd, und lächelt den Richter so offenherzig an, als habe man sich zum Schwätzchen verabredet. Er erzählt mit Eifer, dass er Landwirt werden möchte, obwohl seine berufliche Vita bislang eher nicht in diese Richtung wies. Überhaupt hat er noch sehr viel vor im Leben, was alles mehr nach Traum als nach Wirklichkeit klingt.

Und er erzählt von Naomi. Naomi ist ein Mädchen, zu dem er kaum mehr sagen kann, als dass es so heißt. Aber Naomi habe ihn nach Hamburg geführt, beteuert Simon D., nicht die Politik. In der Woche vor dem G-20-Gipfel hätten sie sich auf einem Festival in Portugal kennengelernt. Naomi sei dann nach Hamburg weitergereist, ohne dass sie ihre Telefonnummern ausgetauscht hätten. Simon D., schwer verliebt, reiste hinterher.

Auch auf der „Welcome to hell“-Demonstration, wo er irgendwann die Flaschen warf, habe er eigentlich nur nach Naomi gesucht. Dann habe er gesehen, wie Polizisten auf Demonstranten einprügelten. Aus Wut habe er Flaschen vom Boden aufgehoben und auf eine Gruppe uniformierter Polizisten geschleudert. „Ich bin mir der Dummheit meiner Handlung durchaus bewusst“, sagt D. Und: „Das war die Verflechtung der Liebe.“

Der Richter glaubt ihm. Für D. spräche, dass er bei seiner Verhaftung ein T-Shirt trug mit der Aufschrift: „Ich möchte dich wiedertreffen, Naomi“. Außerdem hatte er eine rosafarbene Tasche dabei. „Sie sahen eher aus wie ein Paradiesvogel als wie jemand, den wir als Teilnehmer des schwarzen Blocks bezeichnen“, sagt der Richter in seinem Urteil.

Doch er belässt es nicht dabei. Es sei bemerkenswert, ergänzt der Amtsrichter, „wie Sie vom politisch denkenden Menschen, der eigentlich eine Frau sucht, zum flaschenwerfenden Krawallmenschen wurden“.

Elke Spanner

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