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Politik: Publizist Arnulf Baring verlangt vom Kanzler mehr Realitätssinn (Kommentar)

Die Regierung von Gerhard Schröder ist in Schwierigkeiten. Für seinen Sparkurs findet der Bundeskanzler bei den Wählerinnen und Wählern kaum Zustimmung.

Die Regierung von Gerhard Schröder ist in Schwierigkeiten. Für seinen Sparkurs findet der Bundeskanzler bei den Wählerinnen und Wählern kaum Zustimmung. Das Hauptargument gegen ihn lautet, er missachte die soziale Gerechtigkeit. Was kann er jetzt noch tun, um Erfolg zu haben? Kann und soll er überhaupt noch Erfolg haben?

Der Anfang dieser Kanzlerschaft war lamentabel. Die Regierung wirkte illusionär, als ahne sie nicht, was auf sie, auf das Land zukomme. Demonstrative Konsumfreude passte ebensowenig in die Landschaft wie die fröhliche Behauptung, das Regieren mache Spaß.

Aber dann gelang es elegant, die Grünen an Realitäten des Regierens zu gewöhnen, außerdem Oskar Lafontaine los zu werden. Freilich rächte es sich bei den diesjährigen Landtagswahlen, dass man die ernste Lage nicht sofort nach dem Sturz Kohls offengelegt, die überfällige Konsolidierung nicht schon im Herbst 1998 beherzt angepackt hatte. Ganz im Gegenteil wurden damals die bescheidenen Reformen der CDU/FDP-Koalition leichtfertig rückgängig gemacht.

Doch dann ließ der Kosovo-Krieg den Kanzler wachsen. Das programmatische Blair-Schröder-Papier skizzierte die Themen, vor die sich jede Regierung heute gestellt sieht. Entsprechend wiederholt Schröder seit Monaten beharrlich gemeinsam mit Hans Eichel, es gebe zum Sparkurs auf viele Jahre hinaus keine Alternative. Das ist völlig richtig. Große Einschränkungen sind unvermeidlich, wenn unser Land, das seit Jahrzehnten seit über seine Verhältnisse gelebt hat, seine Zukunft sichern, die Lebenschancen der heranwachsenden Generationen schützen will. Angesichts unseres weitverzweigten Wohlfahrtsstaates, in dem Sozialausgaben den weitaus größten Posten ausmachen - jede dritte Mark des Bruttoinlandsproduktes wird sozial umverteilt - wirkt es grotesk, wenn in den Parteien neuerdings lautstark zu hören ist, Deutschland fehle soziale Gerechtigkeit.

Vater Staat hat leider ausgedient. Er ist unter den neuen Bedingungen nur noch beschränkt leistungsfähig. Seine Sicherungssysteme werden auf mittlere Sicht lediglich Grundversorgungen garantieren können. Wir alle müssen umlernen. Die Bürger müssen künftig weitgehend selbst für Gesundheit, Familie, Altersversorgung sorgen - was natürlich voraussetzt, dass kräftige Steuersenkungen das ermöglichen.

Der Kanzler muss Realitätssinn beweisen und gleichzeitig Zuversicht verbreiten. Unsere Probleme lassen sich lösen, so bald man sie ernsthaft angeht. Übersteht Schröder politisch die nächsten sechs Monate, hat er durchaus Chancen, 2002 wieder gewählt zu werden. Der Autor ist Publizist und emeritierter Professor für Zeitgeschichte.

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