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Das war einmal: Der G-8-Gipfel 2013.

© dpa

Putin und der Westen: Weniger Misstrauen wäre viel

Die EU und die USA müssen sich bei Russland auf eine längere Phase der Abschottung einstellen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Kommt der Vormarsch der von Russland unterstützten Rebellen in der Ostukraine nach dem Fall von Debalzewe zum Stillstand? Oder suchen die Separatisten, vom Erfolg beflügelt, neue Ziele, etwa in Richtung Mariupol? Was ist aus den ukrainischen Soldaten geworden, die in Debalzewe eingekesselt waren? Angeblich sind nur 3000 von ihnen, unter Zurücklassung der Waffen, abgezogen. Und die übrigen 5000? Sind sie gefangen, gefallen oder von Rebellentruppen eingeschlossen? Eine Woche nach dem Nicht-Inkrafttreten des für den vergangenen Sonntag vereinbarten Waffenstillstands ist unklar, welche Stoßrichtung Putins Politik nehmen wird – denn dass er es ist, der die Kampfstrategie bestimmt, ist seit dem Gipfel von Minsk noch klarer als zuvor.
Ungewiss hingegen ist, auf welcher Basis die Europäische Union, der Westen, künftig mit dem Russland Putins umgehen kann. Angela Merkel und François Hollande sind mit ihrem Gipfelengagement ein hohes politisches Risiko eingegangen. Niemand wird sie dafür kritisieren, sollte der von ihnen initiierte Versuch einer friedlichen Beilegung des Konfliktes scheitern. Unbestritten aber ist, dass sich die Russlandpolitik des Westens völlig neu orientieren muss, sowohl in der Wahl der Ziele als auch der Mittel, wenn die Rebellen weiter marschieren und Russland eine Überwachung der ukrainischen Ostgrenze durch OSZE-Kontingente und Beobachtungsdrohnen weiter verhindert.
Wenn Wladimir Putin jemals ein echtes Interesse an der sowohl von ihm als auch von Angela Merkel immer wieder beschworenen Vision einer Partnerschaft und eines Wirtschaftsraumes von Wladiwostok bis Lissabon gehabt haben sollte, muss ihm nun klar sein, dass sich eine solche Partnerschaft niemals auf dem Fundament einer gewaltsam veränderten europäischen Grenze begründen lässt.

Das alles ist ja nur eine fixe Idee der russischen Propaganda, ein Popanz

Man kann verstehen, dass eine nicht nur zur Europäischen Union, sondern auch zur Nato gehörende Ukraine für diesen Mann eine Horrorvorstellung sein muss, ein Mann, der den Zusammenbruch der Sowjetunion nach eigenem Bekunden als die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts empfunden hat. Als Schmach wohl auch, die getilgt werden muss – das hat Putin immer wieder gesagt. Sewastopol auf der Krim, der Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, künftig auf dem Territorium eines Nato-Staats? Ständige, und nicht mehr nur, wie nach den internationalen Verträgen derzeit erlaubt, lediglich zeitweise Präsenz von Kriegsschiffen aus Nichtanliegerstaaten auf dem Schwarzen Meer? Wer in den letzten Wochen die nervösen Reaktionen der nordeuropäischen Nato-Staaten auf die provozierend an ihren Hoheitsgrenzen entlangführenden Flüge russischer Bomber und Jagdflugzeuge registriert hat, kann, ja muss verstehen, dass eine permanente maritime Präsenz etwa der US-Flotte vor der Krim das russische Militär alarmieren könnte.
Aber das alles ist ja nur eine fixe Idee der russischen Propaganda, ein Popanz, aufgebaut, um die Situation zu dramatisieren und um Vorwände für militärisches Eingreifen zu schaffen. Seit sowohl Deutschland als auch Frankreich sich 2008 eindeutig gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ausgesprochen haben, ist das Thema erledigt. Den Regierungen in Paris und London war schon damals klar, dass sich die Nato mit einer Mitgliedschaft der Ukraine einen schwelenden Konflikt zwischen dem europafreundlichen Landesteil im Westen und dem prorussischen im Osten der Ukraine ins Bündnis holen würde. Es zählt aber von jeher zu den Aufnahmekriterien des Nordatlantikpaktes, nur Mitglieder zu assoziieren, die von einem einheitlichen politischen Willen dazu getragen werden.

Dass es jetzt, nach der Invasion der grünen Männchen in der Ukraine, eine Chance gibt, ist unwahrscheinlich

Putin hat dem Westen immer wieder vorgeworfen, er habe die Hand nicht ergriffen, die er bei seiner Rede vor dem Bundestag im September 2001 ausgestreckt hatte, als er erstmals von der kontinentalen Partnerschaft gesprochen hatte. Der heutige Präsident Russlands hat bis heute nicht verstanden, dass es nicht nur an der zugegebenermaßen wenig kooperativen Haltung des amerikanischen Präsidenten George W. Bush lag, dass die Ernsthaftigkeit des Moskauer Angebotes nie geprüft wurde. Aber Putin sprach zwei Wochen nach den verheerenden Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon. Weder in Amerika noch in Europa hatte jemand in diesen Tagen Augen und Ohren für mögliche neue Ost-West-Initiativen.

Dass es dafür jetzt, nach der Invasion der grünen Männchen in der Ukraine, eine Chance gibt, ist überaus unwahrscheinlich. Die Europäische Union und die USA müssen sich vielmehr darauf einrichten, dass nach einer kurzen Zeitspanne der Annäherung wieder eine längere Phase der Abschottung begonnen hat. Dies zu ändern, wird nicht reichen, dass Russland sich an das Minsk-II-Abkommen hält. Ob es das tut, ist ohnedies fraglich. Beim Abschluss der KSZE-Vereinbarungen vor 40 Jahren war viel von vertrauensbildenden Maßnahmen die Rede. Die aber wären die Voraussetzung für einen Plan B, für einen neuen Versuch der Annäherung.

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