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Medwedew

© AFP

Putin vs. Medwedew: Russischer Offenbarungseid

Zunehmende Differenzen zwischen Medwedew und Putin: Der Konjunktureinbruch zwingt den Präsidenten zu Offenheit. Putin hingegen ist mit dem wirtschaftlichen Krisenmanagement hoffnungslos überfordert.

Auf den ersten Blick waren die Bilder so wenig prickelnd wie der Inhalt des Interviews, das Dmitri Medwedew dem russischen Staatsfernsehen zur besten Sendezeit am Sonntagabend gab. Anchorman Jewgeni Rewenko saß auf der Sesselkante und stellte dem Kreml-Herrscher in beflissen vorgebeugter Haltung vorher abgekartete Fragen zu den Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise für Russland und den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung.

Zuvor hatte der Sender angekündigt, der Präsident werde künftig regelmäßig den Dialog mit den Massen suchen und dabei „offen und wahrheitsgetreu“ zu Problemen Stellung nehmen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Das ist neu in der jüngsten Geschichte Russlands. Denn bisher waren die gleichgeschalteten Medien dazu da, Erfolge ins rechte Licht zu setzen und Misserfolge, so sie sich partout nicht mehr unter den Teppich kehren ließen, nach allen Regeln der Kunst schönzureden. Medwedew brach damit und schenkte reinen Wein ein: Mit einem Aufschwung sei frühestens 2010, womöglich später zu rechnen, die verfügbaren Ressourcen müssten daher sehr sparsam eingesetzt werden. Sogar die ambitionierten Programme zur Modernisierung der maroden Infrastruktur müssten nicht nur „auf morgen, sondern auf übermorgen“ verschoben werden.

Neu war auch, dass Medwedew den Offenbarungseid in seiner Privatresidenz leistete. Interviewer und Interviewter saßen dabei in gleich großen Sesseln, zwischen ihnen stand ein runder Tisch. Putin hatte das Kamerateam bei ähnlichen Anlässen stets in den Kreml zitiert.

Schon vor dem Interview hatte Medwedew Signale ausgesandt, die Experten wie Laien verwirren: Unbehelligt durften Regimekritiker am Wochenende der Mit te Januar ermordeten Menschenrechtler gedenken, Anwalt Stanislaw Margelow und Anastasija Baburowa von der kritischen „Nowaja Gaseta“. Mit deren Chefredakteur und Michail Gorbatschow, dem Miteigentümer des Blattes, hatte Medwedew Ende Januar ein fast einstündiges Gespräch, das Gorbatschow als „sehr offen und direkt“ lobte. Für Ende Februar genehmigte die Moskauer Stadtregierung sogar eine Protestdemo des neuen Oppositionsbündnisses „Solidarnost“, das offen den Rücktritt von Ministerpräsident Wladimir Putin und vorgezogene Parlamentsneuwahlen fordert.

Wladimir Milow, einer der „Solidarnost“-Führer und früher Vizeenergie minister, erklärt das Phänomen mit wachsenden Differenzen im Tandem Medwedew/Putin. Der russische Ministerpräsident sei kein Wirtschaftsfachmann und mit dem Krisenmanagement hoffnungslos überfordert. Nach der Meinung Milows sind zwei Entwicklungen möglich: politische und wirtschaftliche Liberalisierung auf einem schrittweisen Weg oder eine Light-Variante des Augustputsches von 1991. Den Part von Altstalinisten, die vor knapp 18 Jahren Gorbatschow entmachten wollten, würde dabei das Großkapital übernehmen. Welches der beiden Szenarien eintrete, hänge vor allem von der Entwicklung der Öl- und Gaspreise ab, durch die sich der russische Haushalt finanziert.

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