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Raketenabwehr: Putin schlägt USA Kooperation vor

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den USA überraschend die Zusammenarbeit bei einem Raketenabwehrsystem in Irans Nachbarland Aserbaidschan vorgeschlagen.

Ganz Europa könnte vor einer Bedrohung aus dem Iran geschützt werden, sagte Putin nach einem Treffen mit US-Präsident George W. Bush am Rande des G-8-Gipfels in Heiligendamm. Die USA müssten bei einer gemeinsamen Nutzung eines Radarsystems in Aserbaidschan aus Moskauer Sicht nicht mehr das geplante Raketenabwehrsystem in Mitteleuropa aufbauen - und Russland würde dann weiterhin darauf verzichten, seine Raketen auf konkrete Ziele in Europa zu programmieren. Bush nannte das Angebot eine "interessante Idee". Nun sollen bilaterale Arbeitsgruppen der Verteidigungs- und Außenministerien das Thema erörtern.

Erste Stufe des Plans wäre die gemeinsame Nutzung der bereits bestehenden aserbaidschanischen Radaranlage Gabala. Der Aufbau eines automatischen Raketenabwehrsystems sollte nach Vorstellungen Putins nicht sofort erfolgen. Sobald ein Land, zum Beispiel der Iran, eine Langstreckenrakete teste, würden dies Russen und Amerikaner mitbekommen. "Vom ersten Test einer Rakete bis zur Indienstnahme werden mindestens drei bis fünf Jahre vergehen. Diese Zeit reicht, um jedes Raketenabwehrsystem aufzubauen", sagte der Kremlchef.

Russen erkennen potenzielle Gefahr an

Mit der Annahme des russischen Vorschlags könne man "auch ausschließen, dass Trümmer von Raketen auf europäische Länder fallen, da sie im Meer niedergehen würden", sagte Putin. Es blieb zunächst offen, ob die mögliche Raketenabwehranlage in Aserbaidschan nach Moskauer Vorstellung eine russische oder eine gemeinsame sein soll.

US-Sicherheitsberater Stephen Hadley sagte, für die USA sei wichtig, dass Putin nun die Notwendigkeit eines Abwehrsystems grundsätzlich akzeptiere. "Der russische Präsident sagte zum US-Präsidenten, dass sie (die Russen) eine potenzielle Gefahr anerkennen und dass wir einen Dialog über die Natur der Gefahr brauchen."

Überraschende Wendung

Russland hatte bislang jegliche absehbare Raketengefahr für Europa aus dem Iran verneint und sich durch die amerikanischen Pläne für eine Radarstation in Tschechien und eine angebundene Raketenabwehranlage in Polen bedroht gesehen. Damit ist Putins Vorschlag eine überaus überraschende Wendung.

Das Angebot schlage eine "Brücke" über die bisherigen bilateralen Differenzen, sagte der US-Sicherheitsberater. Putin habe gemeinsamen Arbeitsgruppen zugestimmt, die sich mit allen, auch den amerikanischen Vorstellungen über ein Raketenabwehrsystem beschäftigen sollen.

Konstruktives Treffen der Präsidenten

Der Streit hatte in den vergangenen Tagen Erinnerungen an den Kalten Krieg geweckt. Putin drohte vor dem G-8-Gipfel in einem Interview, Russland könnte seine Raketen auf neue Ziele in Europa ausrichten. Bush kritisierte daraufhin die Demokratie in Russland als mangelhaft. Beiden Seiten betonten, das Treffen der Präsidenten in Heiligendamm sei konstruktiv und ohne Konfrontation verlaufen.

Die noch im Kalten Krieg 1985 gebaute Radarstation Gabala wird derzeit von Russland bei Aserbaidschan gemietet. "Ich habe gestern mit dem aserbaidschanischen Präsidenten darüber gesprochen. Sein Einverständnis würde es uns erlauben, die Station gemeinsam zu nutzen", sagte Putin. Schon Mitte Mai hatte es Berichte gegeben, wonach der russische Außenminister Sergej Lawrow in Aserbaidschan über eine mögliche gemeinsame Nutzung der Radarstation gesprochen habe. Sie waren jedoch weitgehend unbemerkt geblieben.

Tschechien begrüßt Putins Verhandlungsbereitschaft

Der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek warnte, sollten die USA im Gegenzug auf die geplante Radaranlage in Tschechien verzichten, könnte dies ein Versuch von Putin sein, Mitteleuropa als russische Einflusssphäre wiederzugewinnen. Grundsätzlich aber sei die Bereitschaft von Putin, über das umstrittene System zu verhandeln, ein Durchbruch.

Der Moskauer Militäranalyst Alexander Chramtschichin betonte, dass die Radarstation in Aserbaidschan nur nach Süden ausgerichtet sei. Es sei technisch unmöglich, die Anlage zur Überwachung Russlands zu nutzen. Daher lasse sich mit Putins Vorschlag sehr gut prüfen, welche Absichten die Amerikaner in Wirklichkeit hätten. Der frühere Generalstabschef der russischen Raketenstreitkräfte, Viktor Jessin, sagte der Nachrichtenagentur Interfax: "Damit wären viele russische Probleme mit den USA und viele US-Probleme mit dem Iran auf einen Schlag gelöst." (mit dpa)

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