zum Hauptinhalt

Politik: Razzien bei russischen Großunternehmen: Putin will die Steuermoral heben - und praktiziert Willkür (Kommentar)

Niemand soll sagen, er hätte es nicht kommen sehen: Hinweise auf eine Treibjagd, wie Wladimir Putin sie momentan gegen das Kapital veranstalten lässt, fanden sich bereits in seiner Jahresbotschaft, die viele Beobachter blauäugig interpretierten, weil sie sich partout vom Glauben an den unvermeidlichen Sieg des Guten in Russland nicht trennen mögen. Die katastrophale Fehleinschätzung des Reform- und Demokratiepotenzials von Boris Jelzin droht, sich im Falle Putins zu wiederholen.

Niemand soll sagen, er hätte es nicht kommen sehen: Hinweise auf eine Treibjagd, wie Wladimir Putin sie momentan gegen das Kapital veranstalten lässt, fanden sich bereits in seiner Jahresbotschaft, die viele Beobachter blauäugig interpretierten, weil sie sich partout vom Glauben an den unvermeidlichen Sieg des Guten in Russland nicht trennen mögen. Die katastrophale Fehleinschätzung des Reform- und Demokratiepotenzials von Boris Jelzin droht, sich im Falle Putins zu wiederholen.

Angeblich will Putin mit der Steuerhinterziehung aufräumen, die in Russland eine Art Massensport ist. Allerdings trägt der Staat selbst durch jahrelange Verschleppung von Reformen selbst die Hauptschuld daran. Wer einen guten Steuerberater hat, so die landläufige Meinung, müsse 100 Prozent seines Gewinns an den Fiskus abführen, bei einem schlechtem würden 120 fällig. Doch wozu benötigt man, wenn es nur um die Erhöhung der Steuerdisziplin geht, Rollkommandos, die bei den jüngsten Firmendurchsuchungen eingesetzt wurden? Und was hat der Geheimdienst, der gleichfalls zum Einsatz kam, mit Steuern zu schaffen?

Sinnlos, dass Putin inzwischen vor "exzessiven Maßnahmen" warnt. Er weiß um die Erbsünde der russischen Untertanenseele, die in vorauseilendem Gehorsam stets bemüht ist, drakonischen Verfügungen der Obrigkeit noch eins draufzusetzen, um Punkte zu sammeln. Er wisse, so Putin daher Anfang Mai, dass in Russland stets der Präsident für alles verantwortlich gemacht wird. Dennoch wartet die Öffentlichkeit bislang vergebens auf das erlösende Machtwort aus dem Kreml.

Die jüngste staatliche Kampagne gegen manche Unternehmer ist zudem mit durchsichtigen politischen Interessen vermischt. So droht der Firmengruppe Interross ein Verfahren wegen angeblich unlauterer Vorgehensweise bei der Privatisierung von Staatseigentum. Einschlägige Vorwürfe waren auf Drängen des Kremls gegen Konzernchef Wladimir Potanin schon zu Jahresbeginn erhoben worden. Zwar hatten Gerichte damals bestätigt, dass bei dem Verkauf alles rechtens gewesen sei. Doch Potanin ist eng befreundet mit Anatolij Tschubais, dem geistigen Vorturner der Radikalreformer, die sich zunehmend von Putin distanzieren.

Noch eindeutiger ist die Faktenlage bei dem Konzern Gasprom, auch dort wird ermittelt. Bei Gasprom steht ein weiteres Opfer der gegenwärtigen Kampagne - der Konzern Media-Most - mit 487 Millionen US-Dollar in der Kreide. Durch die Kreditvergabe, so die Ermittler, hätten die Interessen des Staates, der an Gasprom 38% der Aktien hält, Schaden genommen.

Aus Sicht der Kremls erheblichen: Der Medienkonzern steht für unfreundliche Berichterstattung aus Tschetschenien und kritische Distanz zu Putin. Daher, so die Tageszeitung "Kommersant", hätten Kreml-Emissäre Gasprom gedrängt, für die Außenstände von Media-Most dessen Filetstück zu verlangen und auf Linie zu trimmen - den TV-Sender NTW. Es geht, kurzum, darum missliebige Medien von der Bühne zu räumen.

Pikant ist dabei ein Detail. Offiziell fahnden die Ermittler bei Gasprom und Media-Most unter anderem nach Beweisen für Rechtsbeugung beim Kauf einer Videofirma in St. Petersburg. Sollten sie fündig werden, wird nur das in Russland zur Staatsräson erhobene Gottkönigtum Putin davor bewahren, im Schwitzkasten des gerichtlichen Zeugenstandes zu landen. Als Vizebürgermeister der Newa-Stadt hatte nämlich er selbst den Deal Anfang der 90er abgesegnet.

Mit den Übergriffen löst sich jedenfalls das Rätsel Putinscher Sophismen zu "Freiheit und realer Freiheit des Wortes." Letztere stehe in Russland noch aus, weil, so Putin kürzlich, die Medien vom Kapital abhängig seien. Immer, hält Radikalreformer Boris Nemzow dagegen, hätten Medien einen Eigentümer gehabt und das sei gut so. Wichtig sei, dass nicht alle einem allein gehören.

Genau das aber droht. Nur mit Medien, die erneut im Takt der Kremluhr ticken, kann Putin die Entmachtung von Parlament und Regionen erfolgreich verwirklichen, um sich dann eine neue Verfassung zu geben. Putin ist mit der Forderung nach der "Diktatur des Gesetzes" angetreten. Nun folgt offenbar das Gesetz der Diktatur.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false