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Politik: Recht auf Leben, aber keine Würde

Justizministerin Zypries sieht Reagenzglas-Embryonen nicht als Menschen – Union und Grüne reagieren empört auf ihre Definition

Von Rainer Woratschka

Maria Böhmer ist erschüttert. Die Haltung von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) sei „weder mit dem Grundgesetz vereinbar noch mit dem Embryonenschutzgesetz“, donnert die Vizechefin der Unionsfraktion. Aber selbst beim Koalitionspartner ist man mächtig verstimmt. Sie sei nicht nur „sehr besorgt“, sondern richtig zornig, sagte Grünen- Politikerin Christa Nickels dem Tagesspiegel. Dass die ansonsten „geschätzte Ministerin“ einen derartigen Angriff auf das Menschenwürde-Konzept des Grundgesetzes fahren würde, hätte sie sich „nicht träumen lassen“.

Grund für die Erregung ist eine Rede, die Zypries am Mittwoch in der Humboldt-Universität zu rechtspolitischen Fragen der Bioethik gehalten hat. Darin sprach sie Reagenzglas-Embryonen rundheraus die Menschenwürde ab. „Solange sich der Embryo in vitro befindet, fehlt ihm eine wesentliche Voraussetzung dafür, sich aus sich heraus zum Menschen oder als Mensch zu entwickeln“, sagte die Ministerin. „Die lediglich abstrakte Möglichkeit, sich in diesem Sinne weiterzuentwickeln, reicht meines Erachtens für die Zuerkennung von Menschenwürde nicht aus.“

Die möglichen Folgen für die Fortpflanzungsmedizin erläuterte Zypries gleich selbst. Die Berufung auf die Menschenwürde bedeute absoluten Schutz. Das Recht auf Leben hingegen, das Zypries auch nicht eingepflanzten Embryonen zugesteht, gebe dem Staat „ Spielraum für Abwägungen mit den Grundrechten der Eltern und Forscher“. Der ist offenbar erwünscht: Um die von Forschern begehrten embryonalen Stammzellen zu gewinnen, müssen menschliche Embryonen getötet werden. Dies hat der Bundestag in seinem Stammzell-Kompromiss strikt verboten. Was laut Zypries aber nichts heißen muss: „Von Verfassung wegen“ sei eine Lockerung des Gesetzes „nicht untersagt“.

Zypries setzt sich damit klar von ihrer Vorgängerin ab. Herta Däubler-Gmelin (SPD) hatte die Tötung von Embryonen zu wissenschaftlichen Zwecken strikt mit dem Verweis auf den Grundgesetzartikel eins abgelehnt, wo es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Der forschungspolitische Sprecher der SPD, Jörg Tauss, spielt den Kurswechsel jedoch herunter. Es handle sich nur um eine „Klarstellung“, die nötig gewesen sei, sagte er dem Tagesspiegel. Bisher habe man bei jeder biopolitischen Frage „gleich die Menschenwürde bemüht“. Dabei sei es auch eine Geringschätzung des Grundgesetzgebotes, „wenn man den Menschen mit ein paar Eizellen gleichstellt“. Der Vorsitzende der Bioethik-Enquetekommission, Rene Röspel (SPD), sagte dieser Zeitung, es handle sich um „eine zulässige und nicht neue Position“, die er aber nicht teile. Bislang seien Juristen überwiegend der Ansicht, „dass dem Embryo ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle Menschenwürde-Status zukommt“. Wolfgang Wodarg (SPD) sagte, den Kurs bestimme nicht Zypries, sondern der Bundestag.

Grundlegende Werte seien aber nur zu halten, wenn Regierung und Bundestag Hand in Hand arbeiten, warnte Nickels. Wenn man Menschenwürde von der Möglichkeit selbstbestimmten Lebens abhängig mache, sei dies auch nicht folgenlos für Menschen, die nicht mehr im Vollbesitz ihres Bewusstseins und auf fremde Hilfe angewiesen seien. Als Beispiel nennt die Grünen-Politikerin Wachkoma-Patienten und schwer Behinderte. Und sie fragt: „Wo soll da ein Ende sein?“

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