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Was lässt sich gegen die Nahrungsmittelknappheit in weiten Teilen der Welt tun?

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Recht auf Nahrung: Rio+20 und der Kampf gegen den Hunger

Rund eine Milliarde Menschen leiden weltweit an Hunger. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat zum Abschluss des Rio+20-Gipfels nun ein ambitioniertes Programm gegen den Nahrungsmangel ausgerufen.

Monatelang ist im Vorfeld des Weltnachhaltigkeitsgipfels Rio+20 darüber gestritten worden, ob dort das Recht auf angemessene und ausreichende Nahrung im Abschlussdokument erhalten bleibt. Es steht da noch. Aber mehr auch nicht. Deshalb hat der Generalsekretär Ban Ki Moon zum Abschluss des Gipfels die „Null Hunger Wette“ ausgerufen. Nach dem Vorbild des brasilianischen „Null-Hunger-Programms“, das die Arbeiterpartei vor bald zehn Jahren unter dem damaligen Präsidenten Lula da Silva aufgelegt hatte, soll nun weltweit erreicht werden, dass die aktuell rund eine Milliarde Hungernder von diesem Übel befreit wird. Der neue Chef der Weltagrarbehörde FAO ist Brasilianer und hat gleich seine Erfahrung eingebracht. Die neue Chefin des Welternährungsprogramms (WFP), Ertharin Cousin, ist Amerikanerin. Auch sie beteiligt sich an dem Programm.

Ertharin Cousin hat auf ihren ersten Reisen erkannt, dass vor allem Schulspeisungsprogramme ein wirkungsvolles Mittel gegen den Hunger sind. In Haiti beispielsweise führt das warme Mittagessen und die Milch, die es dort gibt, dazu, dass immer mehr Kinder in die Schule kommen. Gleichzeitig schaffen die Schulspeisungsprogramme einen Markt für Kleinbauern, die dort einen sicheren Abnehmer haben. Das Selbstbewusstsein und die finanzielle Basis, die sie so erworben haben, „hat Milchbauern in Haiti nun einen Schritt weiter gehen lassen. Sie suchen sich nun ihre eigenen Märkte“, sagte Ertharin Cousin dem Tagesspiegel-Online. Sie kam gerade aus Haiti in Rio an und berichtete begeistern vom Käse und dem Joghurt, den die Bauern inzwischen herstellen und nicht mehr nur in den drei Monaten vermarkten, die die Schulen geschlossen sind. Mit dem neuen Präsidenten Haitis, Michel Martelly, stellte Cousin in Rio das Schulspeisungsprogramm vor.

Die Regierung, berichtet sie, wolle überall im Land kleine Molkereien aufbauen, damit die Bauern ihre Milch auch verkaufen können. „Die Milch wird morgens mit einem Motorrad abgeholt“, berichtet Cousin. Allerdings weiß die WFP-Chefin auch, dass ein warmes Mittagessen in der Schule allein zwar die Kinder am Leben erhält, sie aber noch nicht unbedingt weiter bringt. „Die Qualität der Schulbildung ist der Schlüssel“, sagt sie. Ohne eine Verbesserung der Ausbildung „können die Kinder, die Hoffnungen, die sie wecken, nicht erfüllen“. Deshalb arbeite das WFP nun mit der UN-Kinderorganisation Unicef zusammen, um Schulmaterial zu beschaffen. Die Lehrer und die Bildungsinhalte müssten aber von den Regierungen kommen. „Das ist eine staatliche Aufgabe.“

Der fatale Kreislauf soll gebrochen werden

Seit ein paar Jahren, vor allem im Angesicht von lang anhaltenden Nahrungsmittelkrisen, bemüht sich das WFP um eine neue Strategie. Mit Geld-für-Arbeit-Programmen werden beispielsweise in der notorisch vernachlässigten nordöstlichen Region Ugandas, in Karamoja, Wasserspeicher angelegt. Dort wird Regenwasser aufgefangen, das die Leute über die Trockenzeit bringen soll. Das Wasser wird zur Bewässerung von kleinen Gärten verwendet, mit denen die Nahrungsgrundlage während der traditionell mageren Zeit zwischen dem ersten Regen und der nächsten Ernte verbessert werden soll. In Karamoja ist das WFP mit minimalen Pausen seit geschlagenen 40 Jahren unterwegs. Es gibt für schwangere Fauen und Mädchen sowie für Kinder in den ersten zwei Jahren weiterhin Nahrungsmittelhilfe. Ein WFP-Experte in Karamoja beschreibt den Zirkel so: Eine unterernährte Frau bekommt ein unterernährtes Mädchen, das mit 13 oder 14 wieder ein unterernährtes Kind bekommt.

Dieser fatale Kreislauf soll gebrochen werden. Denn inzwischen gibt es eine Vielzahl von Studien, die darauf hinweisen, dass Kinder, die in den ersten zwei Jahren nicht genug zu essen hatten, diesen Rückstand auch geistig ihr Leben lang nicht mehr aufholen können. Auf der anderen Seite gibt es die Gemüsegärten, die für die Karamojong eine ziemliche Herausforderung sind. Sie sind nämlich Viehhirten und am Ackerbau eher uninteressiert. Eine Frau, die in ihrem Stückchen bewässertem Land ein schmackhaftes Blattgemüse zog, fragte die Besucher, ob sie ihr nicht eine fette deutsche Kuh mit einem Flugzeug schicken könnten. Denn ihr Vieh sei von einem konkurrierenden Viehhirtenstamm, den Pokot, gestohlen worden. Die Pokot leben überwiegend in Kenia, die Karamojong in Uganda. In Karamoja seien sie aber von der Regierung entwaffnet worden und könnten sich deshalb ihre Kühe nicht zurückerobern.

Ein ähnliches Programm wie in Karamoja läuft auch im immer wieder Dürre geplagten westafrikanischen Niger. Cousin berichtet, dass Frauen in einem weiteren Programm im mittelamerikanischen Nicaragua durch die Arbeitseinsätze gegen Geld zum ersten Mal über eigenes Geld verfügten. Ein Mann habe gesagt, nun könne er seine Frau um Geld bitten. „Solche Programme verändern die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern“, sagt Cousin. In Nicaragua beispielsweise seien die Frauen viel selbstbewusster geworden, im WFP-Projekt hätten ihre Männer das aber akzeptiert. Es hat auch schon Fälle gegeben, in denen die wirtschaftliche Stärkung der Frauen deren Männer in die Flucht geschlagen hat.

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