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Politik: Rechtsextremistische Gewalt: Der lange Marsch von rechts

Als Deidre Berger 1993 für einen amerikanischen Radiosender über den Brandanschlag in Solingen berichtete, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, hörte sie immer wieder, es handele sich nur um Einzeltäter. "Niemand in der Stadt wollte anerkennen, dass es dort eine rechtsextreme Szene gab", berichtet Berger, die heute das Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) leitet.

Als Deidre Berger 1993 für einen amerikanischen Radiosender über den Brandanschlag in Solingen berichtete, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen, hörte sie immer wieder, es handele sich nur um Einzeltäter. "Niemand in der Stadt wollte anerkennen, dass es dort eine rechtsextreme Szene gab", berichtet Berger, die heute das Berliner Büro des American Jewish Committee (AJC) leitet. Inzwischen habe man in Deutschland erkennen müssen, dass rechtsextreme Gewalt nach der Vereinigung keineswegs nur vorübergehend aufflackerte, sagte Berger auf einer gemeinsamen Konferenz von AJC und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Rechtsextremismus sei eine Begleiterscheinung von Industriegesellschaften, betonte Richard Stöss vom Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung an der FU Berlin.

Seit Mitte der 50er Jahre blieb das rechtsextreme Potenzial in der bundesdeutschen Bevölkerung mit 10 bis 15 Prozent konstant. Heute gehe man davon aus, dass 13 Prozent der Deutschen latent rechtsextrem eingestellt sind. "Wir werden diese Zahl vielleicht senken, aber nicht auf Null drücken können", sagte Stöss. Nach Ansicht von Bernd Wagner, dem Leiter des Zentrums für demokratische Kultur, verstärkt sich völkisches Denken in Deutschland insgesamt. Daher hätten rechtsextreme Gruppen das Gefühl, in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. In diesem Zusammenhang kritisierte Wagner auch den Begriff "Leitkultur": "Eltern von Neonazis haben erzählt, dass ihre Kinder aus dieser Debatte eine Legitimation ziehen."

Symptome und Ursachen des Rechtsextremismus gleichen sich nach Angaben von Stöss in Europa mehr und mehr an. Doch verlässliche europäische Daten über rechtsextreme Gewalttaten gibt es bislang nicht. Und wie gehen andere Länder mit rechten Gruppierungen um? Steve Pomerantz vom FBI berichtete, dass es in den USA seit dem Aufstieg des Ku-Klux-Klans in den 1860er Jahren immer rechtsextreme Gruppen gegeben hat. Im Unterschied zu Deutschland sehen die amerikanischen Gesetze nicht die Möglichkeit vor, diese Organisationen zu verbieten. Auf der anderen Seite werden aber rassistische Gewalttaten als so genannte "hate crimes" verfolgt: Der Gesetzgeber sieht höhere Strafen für ein Verbrechen vor, wenn es aus rassistischen Motiven begangen wurde. Die Jugendlichen, die in Guben den Algerier Farid Guendoul zu Tode hetzten, wären nach diesem Prinzip härter bestraft worden. In den USA sind außerdem zivilgesellschaftliche Initiativen ausgeprägter als in Deutschland. "Hier ruft die Politik nach mehr Zivilcourage, doch in vielen Kommunen ist der Aufbau einer Zivilgesellschaft ein unbequemes Thema", kritisierte Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung.

"NPD-Verbot greift zu kurz"

Eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zu aktuellen Entwicklungen im deutschen Rechtsextremismus kommt indes zu dem Ergebnis, dass ein NPD-Verbot zu kurz greife. Die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten würde dadurch nicht zurückgehen. Zugleich gelte es dem Eindruck entgegenzuwirken, DVU und Republikaner seien in ihren politischen Zielsetzungen nicht ebenfalls extremistisch. Aufgrund des mangelnden Rückhalts in der Bevölkerung würden rechtsextremistische Gewalttäter "kaum eine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat" darstellen, so der Politologe Steffen Kailitz, der Autor der Studie.

Die Demokratie sei erst dann gefährdet, wenn der Staat seine Bürger nicht mehr vor rechtsextremistischer Gewalt schützen könne. Die Übergriffe rechter Schläger auf Minderheiten sind für Kalitz noch kein Anzeichen für eine Demokratiegefährdung.

Zunehmend würden vor allem bei der NPD "antikapitalistische Parolen" in den Vordergrund rücken. Einleitend betont die Studie, es mache "keinen Sinn", vom Rechtsextremismus zu sprechen, "die Existenz eines Linksextremismus aber zu leugnen". Vor zwei Wochen hatte die Stiftung eine Studie zur PDS vorgestellt.

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