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Ein Tag zum Küssen: Ein Paar in Dublin feiert den Ausgang des Referendums, bei dem sich eine Mehrzahl der Iren für eine Verfassungsänderung aussprach, die die Homo-Ehe in Irland möglich macht.

© Cathal McNaughton/Reuters

Referendum in Irland: Warum die Iren für die Homo-Ehe gestimmt haben

Erzkatholisch, durchdrungen von Demographie-Angst, ländlich geprägt. Dass Irland bei diesen Voraussetzungen für die Homo-Ehe gestimmt hat, ist eine Sensation - aber erklärbar. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Dieses Land ist zersiedelt. Es hat sich über die Jahrhunderte auch wegen der vielen großen und kleinen Kriege so ergeben, dass ein - im internationalen Vergleich - deutlich mehr Menschen in Dörfern leben als in der Stadt. Zudem sind die Regionen konfessionell gespalten: Hier eine große Mehrheit Katholiken, in der anderen Ecke protestantische Christen. Und auf dem Lande war und ist es bis heute doch im Prinzip so: Da kennt jeder jeden, man hält zusammen in der kleinen Gemeinschaft, man definiert sich über den dorfeigenen Sportclub, das Vereinsheim, die Kneipe. Warum? Weil dort junger Mann auf junge Frau trifft. Das sichert seit jeher das Überleben dieser kleinen Gemeinschaft und man stelle sich vor, irgendwann würden nur noch Männer mit Männern und Frauen mit Frauen gehen: Kein Nachwuchs! Und das soll auch noch vom Staat begrüßt, toleriert und rechtlich gleichgestellt sein? So etwas darf es nicht geben und gibt es auch nicht: in Deutschland.

Der Ausgang des Referendums über die Homo-Ehe ist eine kulturelle Sensation

Die Republik Irland ist historisch, strukturell und soziologisch vergleichbar verfasst. Daher dürfte in diesem Geiste auch eine Minderheit der Iren gegen die völlige Gleichstellung homosexueller Paare gestimmt haben, eine klare Mehrheit aber - offenbar aus den Städten - stimmte dafür. Das ist kulturell eine Sensation. Aber erklärbar. Denn durch dieses kleine Land ging in den wenigen vergangenen Jahren nicht nur ein Ruck.

Irland ist ein kleines Land und damit viel stärker ins Ausland orientiert. Bis heute stehen überall auf den Weiden Ruinen von Steinhütten, hinterlassen von den zwei Millionen, die wegen der Hungersnot infolge der Kartoffelfäule ab 1845 gen England, Amerika und Australien flohen. Traditionell zieht fast jeder junge Ire und jede Irin nach der Schule für ein bis drei Jahre zum Studium oder später zum Arbeiten in diese Weltecken mit starken irischstämmigen Communities: nach Liverpool, Boston, New York und Sidney, große Städte mit Regenbögen.

Fast alle jungen Leute gehen für ein paar Jahre ins liberale Ausland

Auf die Rückkehrer warten seit den 1990er und 2000er Jahren die großen Arbeitgeber Irlands, die liberalen US-Tech-Firmen von IBM über Microsoft, Amazon bis Apple, die wegen der Niedrigsteuerpolitik und der englischen Sprache ihre Europazentralen auf der kleinen Insel aufbauen. Das lockte auch erstmals in der Geschichte Migranten in nennenswerter Zahl auf die Insel. Zeitgleich erschütterten mehrere Untersuchungsberichte über sexuellen Missbrauch in katholischen Schulen, Gemeinden und Kinderheimen die kleine, zu 90 Prozent katholische Urbevölkerung. So hat die katholische Kirche binnen eines Jahrzehnts für die Mehrheit jede Autorität verloren - und neue Weltbilder gewonnen, gewinnen müssen. Und die verblieben Strenggläubigen erleben nun auch noch erstmals einen Papst, der Homosexuelle zumindest nicht für kranke Teufel hält.

Die katholische Kirche hat durch zahlreiche Missbrauchsskandale ihre moralische Autorität verloren

Dann kam die Euro-Finanzkrise ab 2008, die die letzten sicher geglaubten Verhältnisse auf der Insel noch einmal durcheinander wirbelte: Herrschte noch vor fünf Jahren Depression allerorten, ist dieser Tage überall spürbar, dass sich in Irland etwas bewegen muss - und bewegt: Am Donnerstag zum Beispiel, einen Tag vor der Abstimmung über die Homo-Ehe, meldete das Dubliner Statistikamt erstmals seit Jahren wieder eine Arbeitslosenquote von unter zehn Prozent und ein erwartetes Wirtschaftswachstum von 4,0 Prozent für 2015. Das wäre die Spitze in der EU.

Vor diesem Hintergrund des Aufbruchs schritten die Iren zur Urne, motiviert auch von den meisten Verbänden, Sportvereinen, Gewerkschaften, Parteien und einer liberal-konservativen Regierung, die angeführt wird von dem katholischen Kirchgänger und Premier Enda Kenny. Sie alle warben für „Yes“, für eine gerechte und offene Gesellschaft für 4,6 Millionen Menschen.

Es ist nachvollziehbar und auch beruhigend, dass ein Land mit 81 Millionen Bürgern nicht so schnell ins Schlingern und damit in Bewegung kommt. Doch die Richtung, die die Iren in dieser Frage vorgeben, die stimmt.

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