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Chavez

© dpa

Referendum in Venezuela: Chavez ganz fidel

Die Venezolaner haben für eine Verfassungsreform gestimmt, die es Präsident Hugo Chavez erlaubt, sich beliebig oft zur Wiederwahl zu stellen. Was sind die Folgen?

Von Michael Schmidt

Hugo Chavez hat seinen Willen bekommen. Wieder einmal. 54,4 Prozent der venezolanischen Wähler erlaubten ihrem Staatschef am Sonntag per Verfassungsreferendum, so oft für das Präsidentenamt zu kandidieren, wie er möchte. Damit ist der Weg frei für eine dritte, möglicherweise auch vierte und fünfte Amtszeit des 54-Jährigen – vorausgesetzt, seine Partei nominiert und der Wähler bestätigt ihn. Dann könnte es der Putschist und ehemalige Fallschirmjäger seinem großen Vorbild und politischen Ziehvater Fidel Castro gleichtun. Kubas Revolutionsführer stand fast ein halbes Jahrhundert an der Spitze des Karibikstaates.

Ohne die Verfassungsänderung hätte Chavez Anfang 2013 nach zwei mal sechs Jahren den Präsidentensessel räumen müssen. Denn bisher waren in Venezuela nur zwei Amtszeiten erlaubt. Die Begrenzung war das Ergebnis eines historischen Lernprozesses. Allzu oft hatten die südamerikanischen Völker in der Vergangenheit unter selbstherrlichen Caudillos und Diktatoren wie dem rechtsautoritären Alfredo Stroessner in Paraguay zu leiden, die von der Macht nicht lassen wollten. Diese Einsicht ist in Caracas nun einer anderen geopfert worden: dass das grundsätzliche Umkrempeln eines Staates seine Zeit braucht.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses kündigte Chavez, seit zehn Jahren im Amt, seine erneute Kandidatur für 2012 an. „Mit dem heutigen Sieg beginnen wir die dritte historische Phase der bolivarischen Revolution von 2009 bis 2019“, rief er seinen jubelnden Anhängern vom Balkon des Präsidentenpalastes Miraflores in Caracas zu. Chavez fühlt sich berufen, das Werk des Befreiungshelden Simon Bolivar zu beenden. Der besiegte 1813 erst die Spanier und befreite dann die heutigen Länder Venezuela, Kolumbien, Bolivien sowie Ecuador von der Kolonialherrschaft.

Chavez „para siempre“ – Chavez für immer? Für Gegner seines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ist das ein Horrorszenario. Für andere das Beste, was dem Land passieren kann. Chavez, der bisher alle Generalstreiks, Putsche und Amtsenthebungsreferenden sowie neun Wahlen erfolgreich überstanden hat, würde, wenn er könnte, dem Land gern ein von Grund auf anderes, neues Gesicht geben. Er hat es umbenannt – in „Bolivarische Republik Venezuela“ –, ihm eine neue Verfassung, neues politisches Personal und eine Reihe moderner Sozial- und Armutsprogramme gegeben. Chavez’ Verdienst ist es, den Armen eine Stimme gegeben zu haben. Nach den neoliberalen neunziger Jahren war er es, der lautstark die Armut, die ungerechte Verteilung des Reichtums und die Ausbeutung nationaler Ressourcen durch multinationale Unternehmen auf die Agenda setzte.

Das Problem ist, dass der selbst ernannte Soldat des Volkes die jahrhundertealte Spaltung des Landes noch vertieft hat. Hier die vielen Armen, dort die wenigen Reichen, hier eine mächtige Elite, dort die lange Zeit ohnmächtige Bevölkerung, hier die Weißen, dort Schwarze, Indigenas und Mischlinge. So war es bisher. Und heute ist es nicht viel anders. Das Land ist politisch stärker polarisiert denn je. Auf der einen Seite stehen die Chavistas, bedingungslose Anhänger des Ex-Offiziers. Auf der anderen die Anti-Chavistas, nicht weniger bedingungslose Gegner des Präsidenten. Dabei gilt: Eine Opposition mit einem Führer und einem Programm gibt es eigentlich nicht – Opposition erschöpft sich in Venezuela darin, gegen Chavez zu sein. Zwischen den beiden Gruppen gibt es wenig Überschneidungen: Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, sie wohnen und leben in unterschiedlichen Stadtteilen. Chavez’ Gegner klagen über Diktatur und Despotismus. Seine Anhänger wittern US-Imperialismus, wo immer Kritiker auf den Plan treten. Das alles macht eine Verständigung nahezu unmöglich. Und eine Lösung der großen Probleme des Landes nicht leichter. Nicht nur die Integration des Südkontinents im Sinne des Chavez-Vorbilds Bolivar stockt – der Comandante hat bereits größte Schwierigkeiten, Einheit und Einigkeit auch nur im nationalen Rahmen einigermaßen zu gewährleisten. Bürgerliche Unterstützer, die Chavez 1998 noch hatte, weil er versprach, mit der korrupten Vorgängerregierung aufzuräumen, sind ihm längst abhandengekommen. Einstige Freunde und Wegbegleiter haben sich von ihm losgesagt.

Warum? Venezuela ist reich an Bodenschätzen wie Öl, Gold und Kohle. Doch die meisten der gut 26 Millionen Einwohner leben nach wie vor in Armut. Bisher hat es Chavez nicht vermocht, die Wirtschaft des Landes auf eine breitere Basis zu stellen. Nach wie vor ist das Öl die wichtigste Einnahmequelle, macht fast die Hälfte des Bundeshaushaltes aus. Doch die sprudelt immer spärlicher. Im Juli 2008 kostete ein Fass venezolanisches Erdöl knapp 130 Dollar, inzwischen ist der Preis unter die 40-Dollar-Marke gefallen. Chavez wird unpopuläre Einschnitte vornehmen müssen. Dem Staat fehlt schlicht das Geld, um beim Volk weiter mit üppigen Zuschüssen für Arme, Bildung und Gesundheit für sich zu werben. Und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Inflationsrate ist zuletzt auf mehr als 30 Prozent gestiegen. Die Bevölkerung leidet unter Versorgungsengpässen. Klientelismus und Korruption grassieren. Vielerorts regiert das Chaos: Eine weit verbreitete Kleinkriminalität und eine sich beängstigend rasch ausbreitende Gewaltkriminalität erschweren das Leben in den großen Städten. Mit anderen Worten: Es gibt viel zu tun. Nicht erst seit Sonntag hat Chavez das Mandat, es anzupacken.

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