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Politik: Regierung in Bagdad vor dem Ende

Immer mehr Volksgruppen ziehen Minister zurück – Parlament blockiert Verabschiedung von Gesetzen

Der Irak steht offenbar am Rande des politischen Zusammenbruchs. „Wir erleben die gefährlichste politische Krise, seit sich der neue Irak 2005 zu einer demokratischen Verfassung durchgerungen hat.“ Die Worte des stellvertretenden irakischen Premierministers Barham Salih könnten kaum alarmierender klingen. In der Bevölkerung schwindet die Hoffnung, dass die neue Führung ihres Landes Chaos und Terror im Irak in den Griff bekommt. Alle Anzeichen lassen das Gegenteil erkennen. Premier Nuri al Maliki, schon lange von den Amerikanern ob seiner mangelnden Führungsfähigkeiten kritisiert, ringt um sein politisches Überleben. Seine Regierung und mit ihr das gesamte mühselig mit Hilfe der USA erarbeitete politische Quotensystem, das religiösen und ethnischen Gruppen entsprechend ihrer Stärke eine politische Beteiligung sichert, sind in Auflösung begriffen.

Am Samstagabend versuchte US-Präsident George W. Bush per Telefon, die Streithähne in Bagdad zur Ordnung zu rufen. Der amerikanische Präsident habe zu diesem Zweck mit dem irakischen Präsidenten Dschalal Talabani und dessen zwei Stellvertretern telefoniert, hieß es am Sonntag. Washington hatte die Regierung in Bagdad zuvor immer wieder aufgefordert, bis spätestens Juli wichtige Gesetze über die Aufteilung des Ölreichtums, die Wiederzulassung von Angehörigen der Baath-Partei des gestürzten Diktators Saddam Hussein zu Regierungsposten sowie die Festsetzung von Daten für Regionalwahlen im Parlament zu verabschieden. Sie sollten die Basis für eine nationale Versöhnung schaffen. Doch die Abgeordneten brachen unverrichteter Dinge in die Ferien auf.

Verzweifelt appellierte Maliki in den vergangenen Tagen an die „Irakische Konsensfront“, den mit 44 Abgeordneten größten Block arabischer Sunniten im Parlament, die Regierung nicht wie angekündigt zu verlassen. Durch den Auszug der Front sitzen nur noch zwei arabische Sunniten in der Regierung. Nachdem bereits der Block des Schiitengeistlichen Muktada al Sadr vor wenigen Monaten seine fünf Minister aus der Regierung zurückgezogen hatte, ist nun ein Viertel der Ministerposten unbesetzt. Maliki könnte pro forma weiterregieren, wenn nicht auch noch die laizistischen Schiiten unter dem früheren Premier Iyad Allawi ihre Drohung wahrmachen und dem Premier ihre Unterstützung versagen. In jedem Fall aber hat der Regierungschef bereits jede Glaubwürdigkeit verloren.

Die „Irakische Konsensfront“ entschied sich zum Boykott, nachdem Maliki elf ihrer Forderungen nicht erfüllt hatte, darunter eine allgemeine Amnestie und die Auflösung der Milizen. Maliki würde damit jedoch sein Amt als Regierungschef riskieren, da er von den schiitischen Parteien, die die schlagkräftigsten Milizen unterhalten, abhängt. „Jeder politische Block arbeitet heute nur noch für seine Interessen“, klagt der irakische Politologe Hadi Aliwa.

Die Entscheidung der „Konsensfront“ ist umso schwerwiegender, da sie noch eine andere Hoffnung auf einen politischen Ausweg aus der nationalen Krise zerstört. Auf Drängen der Amerikaner versuchen einige Parteien im Parlament einen „Block der Gemäßigten“ zu bilden, der das Land aus der politischen Lähmung führen soll. Dem Block sollte sich auch die „Islamische Partei“ von Vizepräsident Tarik al Hashimi anschließen, die der Konsensfront angehört. Ohne Beteiligung arabischer Sunniten hat dieser neue Block jedoch nicht die nötige Legitimität, um durchgreifende Entscheidungen auf den Weg zu bringen. Der Premier hat nun nur noch zwei Optionen: eine Regierung unabhängiger Technokraten zu bilden oder zugunsten einer qualifizierteren Persönlichkeit zurückzutreten.

Birgit Cerha[Salmiya (Kuwait)]

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