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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag.

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Update

Regierungserklärung von Merkel: Verzweifelter Kampf um Kehrtwende

"Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß", sagt Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung zur Zukunft der deutschen Atomkraftwerke. "Keine Lügen mehr", fordert hingegen die Opposition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die zumindest vorläufige Abschaltung der sieben ältesten Atomkraftwerke und des Atommeilers Krümmel gegen Kritik verteidigt. „Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß“, sagte Merkel am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Weitergehenden Forderungen der Opposition hielt sie entgegen, ein Industrieland wie Deutschland könne nicht sofort auf Kernkraft verzichten.

„Wenn in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich (...) wurde, dann verändert das die Lage“, sagte sie. Deswegen habe die Bundesregierung gehandelt. „Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit.“ Merkel betonte, sie lehne es weiter ab, Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten und Strom aus anderen Ländern mit womöglich geringeren Standards zu beziehen.

Die vorläufige Abschaltung sei die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage. Juristische Tricks könnten nicht unterstellt werden. Nach dem dreimonatigen Atom-Moratorium werden entschieden. „Alles kommt auf den Prüfstand.“ Möglicherweise würden Anlagen schneller vom Netz genommen. Die Koalition kehre aber nicht zum rot-grünen Atomausstieg zurück.

„Wir wollen so schnell wie möglich das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen“, sagte Merkel. Sie forderte eine Beschleunigung des Stromnetzausbaus zugunsten erneuerbarer Energien.

Zuvor sprach Merkel den Menschen in Japan ihre Anteilnahme aus, versprach weitere Hilfe und unterstützte Spendenaufrufe. „Die Katastrophe in Japan hat ein geradezu apokalyptisches Ausmaß, und uns fehlen die Worte.“ Sie sagte: „In dieser Lage ist es unverzichtbar, dass wir den Menschen in Japan zeigen: Sie sind nicht allein.“

Gabriel: Merkel hat "Sicherheit gegen Geld getauscht"

„Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht.“, antwortete SPD-Chef Sigmar Gabriel. Gabriel warf ihr zudem Kumpanei mit der Atomwirtschaft vor. Die im vergangenen Jahr beschlossene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke sei „mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer dingfest gemacht“ worden, sagte Gabriel am Donnerstag im Bundestag.

„Die äußerste Gefahrenvorsorge, die müssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie immer machen.“ Im Herbst dann habe Merkel mit den Atomkonzernen die Laufzeitverlängerung ausgehandelt. „Mit Herrn Hennenhöfer haben Sie ausgerechnet einen Cheflobbyisten der Atomwirtschaft zum obersten Aufseher der Reaktorsicherheit in Deutschland gemacht. Wenn Sie auch nur einen Funken Glaubwürdigkeit zurückerobern wollen, dann müssen Sie den sofort entlassen.“, sagte der SPD-Chef und forderte ein „Ende der Lügen“.

Gabriel warf der Bundeskanzlerin vor, die seit Langem notwendige Abschaltung der ältesten Atomkraftwerke bislang hartnäckig verweigert zu haben. Er habe die Kanzlerin bereits in der Vergangenheit aufgefordert, die ältesten Atomkraftwerke schneller vom Netz zu nehmen. „Sie haben das verweigert“. Gabriel, der in der großen Koalition unter Merkel Bundesumweltminister war, warf der Kanzlerin vor, sie selbst habe seinerzeit verlangt, die Laufzeiten der Atommeiler Biblis A und Neckarwestheim I zu verlängern. „Sie haben mich schriftlich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden Atomkraftwerke zu verlängern.“

Nun sei völlig unsicher, wie Merkel nach Ende des dreimonatigen Atom-Moratoriums entscheide. Die Kanzlerin sei unzuverlässig und schade der Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt. Die SPD fordert ein Ausstiegsgesetz mit der dauerhaften Abschaltung der sieben ältesten AKWs und einem Verfall der Reststrommengen.

Gysi: "Lobbyistenpolitik gefährdet Demokratie"

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hat eine Grundgesetzänderung gefordert, um die Nutzung der Atomkraft für militärische und zivile Zwecke grundsätzlich auszuschließen. „Wir alle dürfen und müssen eine einzige logische Konsequenz ziehen: Der 11. März 2011 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeläutet haben“, sagte Gysi am Donnerstag im Bundestag.

Eine solche Verfassungsänderung sei möglich, wie eine entsprechende Klausel in Österreich zeige. Die acht ältesten AKW und Krümmel müssten sofort dauerhaft stillgelegt werden, die anderen neun AKW unverzüglich vom Netz gehen. „Wir fordern einen Strompreisstopp und die Wiedereinführung der Strompreisregulierung durch die Politik“, sagte Gysi weiter.

Bei der Laufzeitverlängerung der Koalition, die noch nicht vom Tisch sei, sei es um nichts anderes gegangen als um Extraprofit der Atomkonzerne in Höhe von 21 Milliarden Euro. „Diese Lobbyistenpolitik gefährdet unsere Demokratie.“ Bei der Abkehr von diesem Kurs gehe es deshalb auch um die Rettung der Demokratie.

Auch die Grünen verlangen einen Atomausstieg so schnell wie möglich - rascher als noch als unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossen. Die ältesten Atomkraftwerke und der bereits abgeschaltete Pannenreaktor Krümmel müssten jetzt endgültig, und nicht nur vorübergehend vom Netz genommen werden, sagte Fraktionschef Jürgen Trittin am Donnerstag im Bundestag.

Trittin räumte ein, dass eine solche Umstellung unbequem sei und die Energieversorgung „nicht billiger“ mache. Auch die Grünen müssten sich umstellen und zum Beispiel die verstärkte Nutzung von Biogas akzeptieren. Er fügte aber hinzu: „Aber das alles ist billiger, als die Kosten, die eine Katastrophe wie in Fukushima kostet.“

Das von der Regierung verkündete dreimonatige Atom-Moratorium nannte Trittin unzureichend. Eine ernsthafte Sicherheitsüberprüfung von Anlagen sei in drei Monaten nicht zu schaffen. Auch wolle die Bundesregierung nicht wirklich schneller aus der Kernkraft aussteigen, sondern halte an ihrem Energiekonzept mit Laufzeiten von 2040 fest, rügte der Grünen-Politiker.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) hat die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke verteidigt. „Ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben“, sagte Kauder am Donnerstag im Anschluss an die Regierungserklärung. Natürlich gebe es aber ein Restrisiko. Es müsse daher die Frage geklärt werden, wie weit man dies zu tragen bereit sei. (dpa/dapd/rtr)

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