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Jeder will der lachende Dritte sein: Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer.

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Regierungskoalition: Jeder gegen jeden

CDU, FDP und CSU müssen sich zusammenraufen. Das erscheint umso schwieriger, betrachtet man, worüber die Koalition streitet und wo die Fronten verlaufen.

Von Robert Birnbaum

Im wirklichen Leben gehen Paare, die sich nur noch streiten, über kurz oder lang zum Scheidungsanwalt. Im politischen Leben der Republik ist der radikale Schnitt – Trennung, Neuwahl, neues Bündnis – schon deshalb selten, weil das Grundgesetz ihn erschwert. Doch auch das politische Kalkül lässt führende Politiker der Koalition am Montag unisono den Gedanken zurückweisen, den Wählerauftrag nach noch nicht einmal einem Jahr an den Wähler zurückzureichen. Am klarsten ist die Rechnung bei der FDP. Acht Monate in der Wunschkoalition haben die Partei auf einstellige Umfragewerte dezimiert. Die Enttäuschten lassen sich nicht schnell zurückgewinnen, schon gar nicht mit einer Neuauflage von Guido Westerwelles Verheißungswahlkampf. Die Freidemokraten könnten bestenfalls hoffen, als kleinster Partner einer Dreierkoalition der Opposition zu entgehen. Aber selbst in diesem besten schlechten Fall bliebe von ihren politischen Zielen nicht mehr viel übrig. Für die CDU kann der Gedanke etwas verlockender erscheinen, den schwierigen Partner FDP loszuwerden und ein neues Glück zu suchen. Aber Angela Merkel ist nicht für Risikomanöver bekannt. Überdies müssten auch die Christdemokraten befürchten, massiv Stimmen zu verlieren. Denn so groß in der CDU-Wählerschaft der Zorn über das hilflose Gezerre und Gezänke in Berlin ist – weit größer könnte die Enttäuschung werden, wenn das von vielen herbeigesehnte Projekt einer bürgerlichen Regierung scheitern würde. In abgeschwächter Form gilt das auch für die CSU. Allerdings unterstellen Politiker der anderen Koalitionsparteien dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, dass er einer Katastrophe in Berlin gute Seiten abgewinnen könnte. Die FDP so zu schwächen, dass die CSU 2013 in Bayern wieder allein regieren kann, ist aus Seehofers Lokalperspektive kein unplausibles Ziel. Dass die Opposition mit dem Ruf nach Neuwahlen spielt, gehört – nun ja, zum Spiel. Ernst kann es der SPD aber eigentlich auch nicht sein. Die Sozialdemokraten profitieren in den Umfragen bisher kaum vom Desaster der Regierenden. Das unterscheidet sie von den Grünen, die offenbar enttäuschte bürgerliche Wähler zusehends an sich ziehen können. Doch selbst wenn Angela Merkel Neuwahlen einem Schrecken ohne Ende vorzöge – der Weg ist schwierig. Gerhard Schröders Trick, sich durch eine vorsätzlich verlorene Vertrauensfrage selbst zu stürzen, wird kaum ein Bundespräsident ein zweites Mal legitimieren. Merkel müsste die FDP – oder die CSU – derart reizen, dass die ihr im Bundestag die Gefolgschaft aufkündigen. Ein ernsthaftes Interesse daran hat die Kanzlerin, siehe oben, derzeit nicht. So bleibt nur Zusammenraufen. Aber das ist, siehe unten, in vielen offenen Fragen verflixt schwierig.

UNION GEGEN UNION

Zwei der schärfsten inhaltlichen Konflikte der schwarz-gelben Regierung sind gar nicht zwischen den Partnern umstritten – die Bruchlinie geht mitten durch die Union. In beiden Fällen geht es um historisch-emotional belastete Fragen: den Ausstieg aus der Atomkraft und den Ausstieg aus der Wehrpflicht. In beiden Fällen spielen aber auch persönliche Querelen eine wichtige Nebenrolle.

Der Atomstreit ist sogar regelrecht die Folge einer Personalentscheidung. CDU und CSU fanden den rot-grünen Atomausstieg immer schon falsch und sind mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, aus dem Ausstieg auszusteigen. Doch Kanzlerin Merkel machte Norbert Röttgen zum Umweltminister. Der CDU- Minister will die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke möglichst kurz halten. Parteifreunde aus Akw-Standortländern und die CSU haben Wahlkampf und Koalitionsvertrag anders verstanden.

Einer von Röttgens schärfsten Widersachern ist Unionsfraktionschef Volker Kauder, der mit seinem Ex-Geschäftsführer obendrein noch eine ganz persönliche Rechnung offen hat – Röttgen hat einmal versucht, Kauder hinter dessen Rücken abzulösen. Aktueller Austragungsort des Konflikts ist die Brennelementesteuer: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will sie in jedem Fall einführen, Kauder nur, wenn die Laufzeiten verlängert sind.

Auch der zweite unionsinterne Konflikt hat eine stark persönliche Note. Dass Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Wehrpflicht abschaffen will und eine kleinere, dafür aber möglichst effektive Berufsarmee anstrebt, das verlangt von den Wehrpflichtparteien CDU und CSU schon viel Bereitschaft zum Umdenken. Doch Guttenberg hat sich durch die Überfallmethode, mit der er seinen Vorschlag durchzusetzen versucht hat, zusätzlich Widersacher geschaffen. Die Kanzlerin sah sich genötigt, den stürmischen jungen Mann in die Schranken zu weisen. Und in der Fraktion formiert sich nach der ersten Verblüffung der Widerstand. Gerüchte, Guttenberg habe im Zusammenhang mit dieser und anderen Streitereien über Rücktritt nachgedacht, stärken seine Position nicht unbedingt. Denn selbst von Hoffnungsträgern lassen sich Parteien und Fraktionen nur ungern Alleingänge aufzwingen. Ob Guttenberg aber eine Mehrheit in der CDU/CSU gewinnen kann, ihm nachträglich zu folgen, ist alles andere als sicher. bib

FDP GEGEN FDP

„Die Lage der FDP ist nun gegenwärtig nicht so, dass wir damit zufrieden wären“, räumte FDP-Generalsekretär Christian Lindner am Montag im ZDF ein und kündigte nicht weniger als die Neuaufstellung seiner Partei an. Denn seit die Umfragewerte der FDP abstürzen, kommt aus den Ländern offene Kritik am ihrem Chef Guido Westerwelle. Noch im Herbst konnte er auf einem Bundesparteitag für den Koalitionsvertrag hundertprozentige Zustimmung erzielen – nun redet mit Jörg-Uwe Hahn der erste FDP- Landesvorsitzende offen über die Möglichkeit, Westerwelle an der Parteispitze abzulösen.

Das verlangt der Kreisverband Limburg mit der Begründung, Westerwelle habe die FDP durch seine Fehler in eine existenzielle Krise gestürzt. Hahn kritisierte am Wochenende, der „hervorragenden Oppositionsführer“ Westerwelle habe seinerzeit vergessen, an den Tag nach dem Wahlsieg zu denken – und erwog, den Limburger Antrag zu unterstützen. Nachdem Lindner Hahns Gedanken zunächst als „Beitrag zur Analyse der Lage“ abgetan hatte, wies er ihn und andere Kritiker später mit scharfen Worten zurecht: „Die schwierige Situation der FDP allein bei Guido Westerwelle abzuladen, ist völlig unangebracht.“ An den Entscheidungen vor und nach der Bundestagswahl seien „Herr Hahn und andere in den Gremien beteiligt“ gewesen – hier dürfe „sich keiner öffentlich einen schlanken Fuß machen“. Ende Juni wollen die Liberalen auf einer Klausurtagung über ihre Strategie beraten und die Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm beraten.

Mit der Nominierung von Joachim Gauck als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten haben SPD und Grüne weiteren Streit in die FDP getragen: Der Ex-Stasi-Beauftragte ist mit seinem Freiheitspathos auch für Liberale gut wählbar. Und die Kritik, dass der Koalitionskandidat Christian Wulff (CDU) eben nur der Kandidat der CDU sei und die FDP dem Vorschlag aus der Union zu schnell zugestimmt habe, zielt wiederum auf Westerwelle. Etliche FDP-Landespolitiker nutzen die Lage, um die Unabhängigkeit ihrer Partei gegenüber der Union zu betonen oder ihre Zustimmung für Wulff in der Bundesversammlung vom Entgegenkommen des Koalitionspartners abhängig zu machen. Vom Ausgang der Präsidentenwahl hängt nicht weniger ab als der Fortbestand der Koalition. Da die Zahl der offenen Dissidenten in der Präsidentenfrage noch relativ klein ist, rückt Lindner inzwischen vom Ziel einer einheitlichen Stimmabgabe der Liberalen am 30. Juni ab und preist einzelne FDP-Voten für Gauck als Ausdruck liberaler Meinungsvielfalt. hmt

FDP GEGEN UNION

In scharfer Form hat Vizekanzler Guido Westerwelle für die FDP ein Veto eingelegt, als auf der Sparklausur des Kabinetts Innenminister Thomas de Maizière (CDU) zusätzliche Einnahmemöglichkeiten durch eine Anhebung der Vermögenssteuern ansprach. Die Liberalen fürchten den vollständigen Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Ihr zuvor mantraartig vorgetragenes Steuersenkungsversprechen hatte die Kanzlerin nach der desaströsen NRW-Wahl für erledigt erklärt.

Brennelementesteuer und Bankenabgabe tragen die Liberalen mit. Aber höhere Einkommensteuern, Mehrbelastungen bei der Mehrwertsteuer oder einen höheren Solidarbeitrag blockierten sie kompromisslos. Nur um den Preis eines Koalitionsbruches könnte sich die Union hier durchsetzen. Die Drohung gilt, auch wenn Westerwelle sie in seinem jüngsten Interview nicht offen ausspricht – erst einmal sind Signale der Beruhigung nötig. Der Druck der FDP-Basis, die sich von Merkel gedemütigt fühlt, ist enorm.

Und in Steuersachen ist sich die Union schließlich selbst nicht einig: Auch CSU- Chef Horst Seehofer blockiert an der Steuerfront, obwohl selbst einzelne CSU-Bundesminister mehr soziale Balance innerhalb des Sparpakets durch Belastung für Besserverdienende gern gesehen hätten. In der CDU gibt es viele Stimmen bis hin zum Wirtschaftsrat, die eine solche Beteiligung von Vermögenden für notwendig halten. Unklar ist, ob sich die Hoffnungen mancher CDU-Politiker erfüllen, dass im Herbst eine dann stabilere und selbstbewusstere FDP in der Steuerfrage eher zu Kompromissen bereit sein könnte. hmt

FDP GEGEN CSU

Am heftigsten verkeilt haben sich die kleinen Koalitionspartner in der Gesundheitspolitik. Die FDP hat ein Konzept vorgelegt, das auch Arbeitgebern und Steuerzahlern etwas abverlangt hätte. Die CSU lehnte es rundum und rüde ab. Nun sind alle beleidigt: Die als „Gurkentruppe“ beschimpfte Ministeriums-FDP um Gesundheitsminister Philipp Rösler, weil die Bayern noch nicht mal Gegenvorschläge liefern. Und die mit einer „Wildsau“ verglichene CSU, weil plötzlich auch die andern zu Kraftausdrücken greifen und sich partout nicht von der Kopfpauschale abbringen lassen. Nun hat sich die CDU erbarmt und – damit die geplante Expertenklausur am kommenden Wochenende nicht vollends schiefgeht – ein eigenes Konzept erstellt. Denn eine Lösung muss her; dem Gesundheitssystem droht im nächsten Jahr ein Rekorddefizit von elf Milliarden Euro.

Die Schwierigkeiten liegen schon in der personellen Konstellation: Die FDP stellt den Gesundheitsminister und die CSU mit Horst Seehofer einen Chef, der dieses Ressort auch mal geleitet hat und also alles besser weiß. Hinzu kommt, dass sich die Generalsekretäre Alexander Dobrindt (CSU) und Christian Lindner (FDP) weder riechen können noch etwas schenken wollen. Und dass Seehofer mit Landesminister Markus Söder immer wieder einen Rambo vorschickt, der den Rivalen im Bundesministerium demontieren möchte. Überlagert wird das Ganze vom unendlichen Streit über die Gesundheitsprämie. Die Kopfpauschale kommt Seehofer schon deshalb nicht in die Tüte, weil er vor Jahren dem Widerstand dagegen fast seine Karriere geopfert hätte.

Das Ministerium gehe aber davon aus, dass sich auch die CSU an der Klausur „konstruktiv“ beteiligen werde, richtete Röslers Sprecher am Montag aus. Allerdings sehen die Christsozialen allein beim Minister eine Bringschuld. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf die Forderung, das System effizienter zu machen. Konkret wird CSU-Experte Johannes Singhammer nur in zwei Punkten: Er wünscht die schnelle Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, um teure Betrügereien vereiteln zu können. Und er dringt darauf, die Praxisgebühr konsequenter zu erheben – etwa von Patienten, die bisher wegen eines Hausarztvertrags mit ihrer Krankenkasse befreit sind.

Zumutungen für Kliniken und niedergelassene Ärzte will keiner der Rivalen aussprechen. Das übernimmt nun die CDU. Ihr neues Konzept sieht Einsparungen von 2,2 Milliarden Euro vor. Zusammen mit dem Arzneisparpaket könnte man so die anvisierten vier Milliarden erreichen. Der Honoraranstieg für niedergelassene Ärzte soll nur halb so hoch ausfallen, wie er es aufgrund des Krankenstands der Bürger eigentlich müsste. Ebenso viel – eine halbe Milliarde Euro – soll das Einfrieren der Berechnungsgrundlage für Zahnarzt- und Klinikausgaben, die sogenannte Grundlohnsumme, bringen. Zusatzleistungen in Kliniken sollen geringer bewertet werden, die Großhandelsmarge der Pharmafirmen sinken, Apotheker den Kassen mehr Rabatt gewähren. Die Verwaltungskosten der Kassen aber bleiben, wie sie sind: 118 Euro pro Versichertem.

Viel Klein-Klein, um den Streit im Grundsatz zu überdecken. Die Gesundheitsklausur sei der Testfall, heißt es in der FDP: „Davon hängt das Schicksal der Koalition ab.“ Und dass eine Situation entstehen könne, bei der „ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende“. raw

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