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Politik: Reich, aber unterentwickelt

Von Andrea Nüsse, Amman Der Trick ist simpel: Lässt man das Durchschnittseinkommen als Faktor weg, schneidet die arabische Welt im Entwicklungvergleich viel schlechter ab als andere Weltregionen. Denn der arabische Ölreichtum verzerrt die Wahrnehmung des Fortschritts in dieser Region.

Von Andrea Nüsse, Amman

Der Trick ist simpel: Lässt man das Durchschnittseinkommen als Faktor weg, schneidet die arabische Welt im Entwicklungvergleich viel schlechter ab als andere Weltregionen. Denn der arabische Ölreichtum verzerrt die Wahrnehmung des Fortschritts in dieser Region. Nimmt man dafür alternative Indikatoren auf wie einen „Freiheitsfaktor“, der bürgerliche und politische Rechte misst, den Zugang zu Informationstechnologien, die Art des vermittelten Wissens und die Integration von Frauen zeigt sich realistischer, woran die arabische Welt krankt. Und warum sie auch wirtschaftlich nicht vorankommt. Dies hat der Hauptautor des ersten Berichts über die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt, Nader Fergany, getan. Die Studie wird an diesem Dienstag in Kairo von der UN-Organisation für Entwicklung (UNDP) vorgestellt.

Das Ergebnis wird den Regierenden in der arabischen Welt nicht gefallen. Der Bericht sei keine „Abhandlung von Außenseitern, sondern ein ehrlicher, wenn auch kontroverser Blick in den Spiegel“, kommentiert der UNDP-Administrator Malloch Brown. Die Studie über die 22 Mitgliedsländer der Arabischen Liga mit ihren 280 Millionen Einwohnern im Jahr 2000 zeigt, dass bürgerliche und politische Freiheiten und Mitspracherechte hier weniger entwickelt sind als in allen anderen sieben Weltregionen. Damit fallen sie noch hinter die afrikanischen Staaten südlich der Sahara zurück. Die Zivilgesellschaft wird von staatlichen Bürokratien an der Entwicklung gehindert, die „institutionelle Unterentwicklung“ wird deutlich in der Art, wie Regierungen gewählt, überwacht und abgesetzt werden. Viele Rechte seien zwar auf dem Papier und in Verfassungen niedergelegt, würden aber nicht respektiert, kritisieren die Autoren. Als positiv wurden die jüngsten Entwicklungen in Kuwait und Katar genannt, wo Parlamentswahlen stattfanden, sowie in Bahrein, wo kürzlich per Volksentscheid die „Charta der nationalen Aktion“ abgesegnet wurde, die bürgerliche und politische Rechte garantiert.

Auch der Bildung in der arabischen Welt stellen die Autoren ein schlechtes Zeugnis aus. Trotz aller Fortschritte gibt es noch immer 65 Millionen Analphabeten, davon zwei Drittel Frauen. Zehn Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Insbesondere die Dualität zwischen öffentlichem und privatem Bildungssystem macht Sorge. Da die Ausgaben für das öffentliche Bildungssystem seit 1995 zurückgeschraubt wurden, sank das Niveau deutlich und kann die Erfordernisse des Arbeitsmarktes nicht erfüllen. Bildung wird mehr und mehr an Einkommen gekoppelt und verliert ihre Rolle als Mittel des sozialen Aufstiegs.

Nach Ansicht der Autoren steht die arabische Welt an einem Scheideweg. Die Standards der „menschlichen Entwicklung“ könnten nur verbessert werden durch legale Reformen, die eine „offene und verantwortungsvolle Regierungsführung“ (good governance) einleiten, durch die „Ermächtigung von Frauen“ und die Verbesserung der Wissenserweiterung. Wenn hier keine fundamentalen Veränderungen einsetzen, werde die arabische Welt auf absehbare Zeit in ihrer „Trägheit“ verharren, die „Leistung verhindert und Entwicklung lähmt".

Interessant ist, dass die Autoren überhaupt nicht auf die Rolle der Religion eingehen. Doch gerade bei der Benachteiligung von Frauen und den zahlreichen Denktabus in der arabischen Welt scheinen nicht nur gesellschaftliche Traditionen, sondern auch die teilweise sehr konservative Islam-Auslegung eine Rolle zu spielen. Genügend Material für eine Nachfolgestudie.

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