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Politik: Reise zum katholischen Kontinent

Papst besucht für sechs Tage Brasilien – doch der Kirche in Lateinamerika laufen die Gläubigen davon

Berlin - Zwei Jahre hat es gedauert – jetzt verlässt Papst Benedikt XVI. erstmals Europa und reist nach Lateinamerika, wo die Hälfte aller Katholiken der Welt lebt. Trotzdem wird der am Mittwoch beginnende Besuch nicht einfach werden auf diesem Kontinent, der geprägt ist von Armut und Ungerechtigkeit, von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, von Korruption und Misswirtschaft. Die katholische Kirche wiederum steht unter wachsendem Druck: Junge protestantische Freikirchen und Sekten, meist mit Rückendeckung und Finanzhilfe aus den USA, machen ihr immer mehr Konkurrenz. Sie sind vor allem in den Armutsvierteln auf dem Vormarsch, wo ihr apolitisch-finanzielles Glücksprogramm gut ankommt.

„Es schmerzt jeden Priester, wenn er sieht, wie die Menschen weggehen“, räumt der deutschstämmige Erzbischof von Sao Paulo, Odilio Scherer, ein. Noch pointierter formulierte es der frisch ernannte brasilianische Kurienkardinal Claudio Hummes: „Ich weiß nicht, wie lange Lateinamerika noch katholisch sein wird.“ Beispiel Brasilien, wo sich Benedikt vom 9. bis 14. Mai aufhalten wird: Mit über 135 Millionen Katholiken existiert dort zwar die „größte Glaubensgemeinschaft der Welt“. Aber der Anteil der Katholiken schrumpft jedes Jahr um etwa ein Prozent: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha liegt er mittlerweile bei 64 Prozent – im Jahr 1980 waren es noch fast 90 Prozent. Benedikt XVI. strahlt dennoch Optimismus aus. Südamerika, das sei für ihn der „Kontinent der Hoffnung“, sagte der 80-jährige Pontifex Anfang Mai beim sonntäglichen Mittagsgebet auf dem Petersplatz.

Erster Höhepunkt ist am Freitag der Besuch in der Megametropole Sao Paulo. Die Elf-Millionen-Stadt ist nicht nur das Wirtschafts- und Finanzzentrum Brasiliens, es ist auch der größte industrielle Ballungsraum des Kontinents – und gilt zugleich als eine der gewalttätigsten Kriminalitätsregionen der Erde.

Am kommenden Sonntag wird Benedikt XVI. dann die Lateinamerikanische Bischofskonferenz im Wallfahrtsort Aparecida mit einer Grundsatzrede eröffnen. Die 170 Kardinäle und Bischöfe sowie 100 Delegierten stammen aus mehr als 20 Ländern von den Antillen bis Argentinien, von Brasilien bis Peru. Bei ihrem dreiwöchigen Großtreffen geht es um die kirchliche Zukunft des Subkontinents.

Aber es geht auch um den noch schwelenden Konflikt zwischen dem Vatikan und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die die Sorge für die Armen und Rechtlosen in den Mittelpunkt stellt. Seit der vatikanischen Maßregelung des salvadorianischen Theologen Jon Sobrino im März, die in Europa ein Protestschreiben von mehr als 80 Theologieprofessoren auslöste, ist das Thema innerkirchlich wieder akut. Schon als Präfekt der Glaubenskongregation war Ratzinger mit Befreiungstheologen wenig zimperlich umgegangen, auch wenn sich seine Haltung im Laufe der 80er Jahre etwas mäßigte. Später räumte er sogar ein, die Befreiungstheologie habe „die Frage der sozialen Verantwortung in die Seele geschrieben“ und eine wichtige Diskussion in Gang gebracht. Die Kirche in Lateinamerika muss „auf den Boden und nicht in die Wolken“ gucken, meint dazu der Befreiungstheologe Paolo Suess. Das gilt in seinen Augen auch für den Papst.

Zwar hat Benedikt XVI. seit Amtsbeginn öfters den Skandal von Hunger und Armut in der Welt angeprangert. Er hat Kriege und Ungerechtigkeit verurteilt und die „Option der Kirche für die Armen“ bekräftigt. Bislang jedoch waren seine Appelle eher allgemein gehalten – und nie konkret auf Lateinamerika bezogen. Das könnte sich in den nächsten Tagen ändern.

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