zum Hauptinhalt

Reisen in Zeiten von Terror: Die kalten Augen der DDR-Grenzer sind zurück

Wer verreist, wird durch die Gängelungen und Leibesvisitationen seiner Würde beraubt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Zwei Tage noch bis zum Fest – dürfen Sie zu Hause bleiben? Glück gehabt. Schließlich ist dies die erste Großreisezeit nach den Pariser Anschlägen, und wen internationale Verwandtschaft über die Feiertage ins Ausland zwingt, bekommt zu spüren, was sie im banalen Alltag von den oft zitierten europäischen Werten übrig gelassen haben. Was seit nun 14 Jahren, seit 9/11, unter dem Etikett „Sicherheitsmaßnahmen“ jeden Flug sauer macht, ist noch weiter an die Grenze des Erträglichen gerückt.

Das Personal tut „nur meine Pflicht“

Reisen, billig oder nicht, wird mittlerweile mit dem Verlust jeder Privatheit bezahlt. Nagelscherchen, die als kuriose Konsequenz aus 9/11 lange in keinen Kulturbeutel durften, können neuerdings wieder mitgeführt werden. Mitbringsel wie Pfälzer Landleberwurst hingegen würde zwar der gesunde Menschenverstand nicht zu den (verbotenen) Flüssigkeiten zählen, für die Bundespolizei dagegen ist auch Aufstrich gegen alle chemische Evidenz flüssig. Für die Wäsche der reisenden Bürgerinnen dagegen fühlen sich nicht staatliche Ämter, sondern die Fluggesellschaften als Zensurbehörden zuständig. Die einen wiegen nach, die andern nicht, und wer in einem Handkoffer selbst der strengsten Kleinstmaße ein Pfund Lübecker Festtagsmarzipans mehr verstaut bekommt, muss notfalls vor aller Augen am Check-in anderen Ballast abwerfen. Das Personal tut, wenn man sich beschwert, „nur meine Pflicht“, und man erinnert sich auf einmal wehmütig an die kalten Augen des DDR-Grenzers im Orwell-Jahr 1984. Der reagierte zwar ähnlich überheblich auf die Bitte der Westdeutschen um Erläuterung, aber er hatte wenigstens weniger Mittel, sie zu triezen. Und auch noch keinen dieser Körperscanner, deren Benutzung natürlich ganz und gar freiwillig ist, aber wehe dem, der sie verweigert. Sie oder er handelt sich eine verschärfte Leibesvisitation ein.

Dass man so den kleinen Widerstand der Reisenden brechen wolle, gibt das Aufsichtspersonal so ungefragt wie ungeniert zu. Ungeschoren bleibt eh keiner: Kein Gepäckkontrollband, wo einen nicht der Anblick von Männern ohne Gürtel seltsam erinnert an Bilder von Angeklagten in Schauprozessen längst untergegangener Diktaturen. Kein Check-in-Schalter, wo selbst wenig Kundschaft nicht durch den Absperrungsslalom gescheucht würde. Man fühlt sich zwischen den Pfosten mal wie Vieh auf dem Schlachthof, mal wie ein unverdaulicher Rest am Ende des Verdauungstrakts. Um kurz danach in einer absurden Klassengesellschaft aufzuschlagen, in der Mitmenschen der „Bonus“-, „Gold“-, „Platin“- oder dreier weiterer Kategorien eine halbe Minute früher ins Flugzeug dürfen als der aufpreisverweigernde Rest. Gleich und vor allem frei sind am Flughafen – und seit Paris auch auf etlichen Bahnsteigen – bestenfalls noch die Gedanken. In den Schnäppchenpreisen ist nicht nur der Treibhauseffekt inklusive. Wie wir Facebooks Gratisangebote teuer mit unseren Daten zahlen, so ist der Aufpreis für die 99 Euro nach Dubai der Verlust bürgerlicher Freiheit und alltäglicher Würde. Klar doch, der Terror, unsere Sicherheit – nur sind die meisten der Sicherheitsmaßnahmen diesem erklärten Ziel so offensichtlich wenig dienlich, dass einen die Frage durchzuckt, welchem Ziel sie tatsächlich dienen.

Schon die Architektur der Flughäfen ist autoritär

Es gibt brave Bürger, die aus schierem Daffke seit Jahren die Pässe mit ihren Mitreisenden tauschen – und doch durch jede Kontrolle kommen. Und wurden die Zwillingstürme 2001 etwa mit Nagelhautscheren zum Einsturz gebracht? Weshalb also diese Dauergängelung? Ist nach dem preußisch-deutschen Exerzierplatz, wo aus Menschen Untertanen zugerichtet wurden, womöglich der Flughafen das neue Experimentierfeld, wo ausprobiert wird, was sich auch aus Leuten machen lässt, die ein paar Jahrzehnte demokratischer Praxis und Schulbildung hinter sich haben? Gehorchen und Mund halten: Es sei denn, er muss für ein Brötchen geöffnet werden, das man in der Gate-Gastronomie nach dem erzwungenen Marsch durch den Duty-Free-Shop – schon die Architektur der Flughäfen ist autoritär – teuer erworben hat.

Nein, keine Verschwörungstheorien. Manche Großexperimente geschehen und funktionieren schließlich völlig planlos. Dieses hier findet seit vielen Jahren statt und regt nicht annähernd so viele Menschen auf wie die Verspätungen der Deutschen Bahn, die ärgerlich und absurd sind, aber wenigstens deutlich ungefährlicher für die Menschenwürde. In diesem Sinne: Frohes Fest und ein glückliches Neues Jahr in den eigenen vier Wänden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false