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Politik: Richtig falsch

Von Stephan-Andreas Casdorff

Es ist, alles in allem, schon jetzt ein Trauerspiel. Dieses Fazit kann man getrost ziehen. Was Günther Oettinger der Republik bietet, ist dazu angetan, ganz große Diskussionen zu führen. Danach. Jetzt hat er sich auch noch distanziert. Wovon? Von sich selbst.

Die erste Diskussion ist der Umgang mit dem, was war. Der darf, um es knapp zu sagen, nie anders sein, nämlich, dass die Ablehnung all dessen, was in der NS-Zeit war, konstitutiv für das bundesrepublikanische politische Leben ist. Das ist Staatsräson. Gerade einer an der Spitze, der für das Gemeinwesen Verantwortung trägt, muss das verinnerlicht haben. Geschichtspolitische Sensibilität ist unverrückbarer Bestandteil auch einer der Zukunft verpflichteten deutschen Politik.

Insofern hatte Roman Herzog, der einst in Baden-Württemberg politisch groß wurde, als (konservativer) Bundespräsident immer Unrecht mit seinem Eintreten für einen „unverkrampften“ Umgang mit der Geschichte. Der kann sich nie auf die Sache beziehen, sondern höchstens auf die Ästhetik des Auftritts: bloß nicht immer dieser anklagende, besserwisserische Ton, bei dem alle weghören. Wie man es besser macht, hat – der gebürtige Stuttgarter – Richard von Weizsäcker vorgemacht, mehr noch, er hat es seinen Nachfolgern und der politischen Klasse zur Anschauung hinterlassen.

An Günther Oettinger scheint das vorbeigegangen zu sein, einschließlich des Falles Filbinger, bei dem er fast volljährig war. Er ist ein hochbegabter Administrator, ein Mann der Ökonomie, ein Wirtschaftsliberaler in des Wortes zweifacher Bedeutung. Nur mit Sinnstiftung ist er bisher in keiner Weise aufgefallen, dagegen mit mancher Flapsigkeit. Deshalb ist die zweite Diskussion, die geführt werden muss, eine darüber, ob Politiker ohne historisches Bewusstsein zum Regierungschef taugen.

Helmut Kohl, um ein Beispiel aus der Christdemokratie zu nehmen, war darum ein Glücksfall während der Vereinigung Deutschlands, weil er historisch beschlagen ist. Er wusste um Gefahren, die in der Geschichte lauern. Helmut Schmidt, sein sozialdemokratischer Vorgänger, nicht minder. Und Willy Brandt! Heute noch wirkt sein Kniefall im Warschauer Getto nach, im besten Sinn.

Oettinger hat bisher alles falsch gemacht. Und zwar in jeder Hinsicht. Die Trauerrede auf den furchtbaren Juristen, den NS-Marinerichter Hans Filbinger durfte er so nie halten, auch nicht, um der Familie etwas Gutes zu tun. Und wollte er jetzt, im wiedervereinigten Deutschland nach überwundenen Diktaturen, die Frage nach dem richtigen Umgang mit Schuld und Sühne und Opfern neu aufwerfen, war es der falsche Anlass: nicht im Angesicht dieses Toten. Aber auch aus CDU-Sicht, aus baden-württembergischer zumal, verhält er sich grundverkehrt. Wenn er der Meinung ist, Filbinger sei ein Gegner des Regimes gewesen, und wenn er meint, dass Äußerungen von Mann, Gillessen und Maier ihn darin stützen, warum steht er dann nicht dazu? Wofür entschuldigt er sich, wenn er im Recht ist? Das, wohlgemerkt, ist es, was seine Landsleute Oettinger vorwerfen werden, und nicht nur die konservativen, die ihn bisher bejubelten.

Er schwankt und ist unsicher. Er sucht nach einem Maßstab für sich. Es wirkt, als richte er seine Reden nach dem jeweiligen Publikum aus: in Berlin für Berlin, in Freiburg für … Günther Oettinger verliert immer mehr Vertrauen und nährt Vorbehalte gegen ihn in seinem hohen Amt. Traurig zu sehen.

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