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Will kein Amt mehr, aber weiter mitreden: Roland Koch verabschiedet sich aus dem Bundesrat.

© Thomas Lohnes/ddp

Roland Koch: "Ich kann mir gut vorstellen, dass ich Teil des politischen Diskurses bleibe"

Zum letzten Mal hat Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch an einer Bundesratssitzung teilgenommen. Im Interview spricht er über die Chancen der Bürgerlichen, den Antrieb der CDU und seine Ambitionen.

Sie haben mit einem Appell an die Unionsfraktion Christian Wulff zum Präsidentenamt verholfen. Mussten Sie die Koalition vor dem Aus retten?

Das ist mir zu dramatisch. Wir haben in der Führung der Union gemeinsam versucht, im dritten Wahlgang eine absolute Mehrheit zu erreichen. Es war für das Selbstbewusstsein der CDU, der CDU/CSU und der Koalition wichtig, dass es auch an diesem schwierigen Tag am Ende diese absolute Mehrheit gab.

Viele gehen davon aus, dass der Unmut Merkel galt. Was raten Sie der Kanzlerin?

Da wir die CDU letztlich gemeinsam führen, dürfen Sie davon ausgehen, dass ich ihr Rat gebe. Aber gehen Sie ganz fest davon aus, dass ich das nicht über die Zeitung tue.

Einverstanden. Doch was soll die CDU aus dem Beinahe-Debakel lernen?

Ich habe mir in meinem politischen Leben abgewöhnt, nach geheimen Wahlen Motivsuche zu betreiben. Wir alle in der Parteiführung sind uns einig, dass man ein solches Ergebnis ernst nehmen muss. Wahlleute machen es sich ja nicht leicht, gegen die Solidarität der politischen Freunde abzustimmen. Deshalb ist das Wichtigste für die Zukunft, dass man solche Signale aufnimmt.

Das bedeutet konkret was?

Wir müssen dafür sorgen, dass das Selbstbewusstsein unserer Freunde und Anhänger durch die Arbeit und das Auftreten der Regierung wächst. Die Leistung dieser Regierung ist sehr viel besser als ihr Ruf. Andersrum wär’s ja auch schlimm für das Land. Keine Inflation, hohe Beschäftigungsrate, internationale Erfolge der Wirtschaft – das alles ist auf gutem Weg und hat viel mit der Arbeit der Regierung zu tun. Es wird nur schwierig, wenn durch Debatten in der Regierung die Sicht auf diese Erfolge nahezu vollständig verstellt wird. Das führt zum exakten Gegenteil von Selbstbewusstsein.

„Debatten in der Regierung“ ist freundlich für ein Bündnis, das sich ständig zankt und in dem einer dem anderen nichts gönnt – wie soll daraus je etwas werden?

Dass die ersten Monate das Selbstbewusstsein nicht gestärkt haben, ist ja Allgemeingut. Ich habe allerdings auch vor der Unionsfraktion gesagt, dass ich alle Potenziale für einen Erfolg sehe. Die prinzipiellen Übereinstimmungen dieser drei Parteien sind nach wie vor größer als die aller anderen denkbaren Konstellationen. Man muss das nur in einer Koalition leben, den gemeinsamen Erfolg wollen und ihn sichtbar machen.

Wie könnte das zum Beispiel gehen?

In den vorigen bürgerlichen Koalitionen war es üblich, dass sich zunächst die Unionsparteien in Sachfragen einigten. CDU und CSU sind dann als eine politische Kraft ins Gespräch mit der FDP eingetreten. Das hatte nicht das Ziel, stärker zu wirken, sondern sollte im Gegenteil einen permanenten Dreierwettkampf verhindern. Ich finde, die Freien Demokraten haben einen Anspruch darauf, dass wir ihnen den ersparen.

Aber die Seehofer-CSU redet, wie’s grad passt, und die Merkel-CDU weiß nicht, was sie will – woher soll Einheit kommen?

Ich halte diese Wahrnehmung für übertrieben. CDU und CSU haben alle Möglichkeiten, sich in jeder Sachfrage zu verständigen. Das schließt Konflikte während der Meinungsbildung nicht aus. Die sind bei zwei Parteien mit unterschiedlicher Geschichte und Tonalität normal. Aber beide Parteien haben genug Herz und Verstand, um zu wissen, dass sie nur gemeinsam erfolgreich sein können.

Auch wenn Horst Seehofer sich bloß für die Rückgewinnung der absoluten Mehrheit in Bayern interessieren sollte?

Ich würde Horst Seehofer jederzeit unterstellen, dass er in Bayern die absolute Mehrheit gerne wiederhätte. Alles andere wäre ja auch merkwürdig. Aber er ist erfahren genug, um zu sehen, dass absolute Mehrheiten für die Union sich weniger im Streit mit ihrem bürgerlichen Partner als im Leistungsnachweis durch gemeinsame Arbeit erreichen lassen. Jedenfalls ist es meine Erfahrung in Hessen, dass CDU und FDP gleichermaßen von harmonischer Zusammenarbeit profitieren – für nicht harmonisches Regieren wird man vom Wähler bestraft.

Wenn es nur Strafe wäre! Ist diese Koalition nicht dabei, bürgerliches Regieren grundsätzlich in Misskredit zu bringen?

Grundsätzlich nicht, aber handwerklich: ja. Bei der Bundestagswahl im vorigen Herbst haben die Menschen eine schwierige und mutige Entscheidung getroffen. Sie sind nicht den 80-Prozent-Themen der politischen Linken nachgelaufen, von Afghanistan bis Mindestlohn. Sie haben sich mit ungewöhnlich klarer Mehrheit für einen Gestaltungsanspruch an Gesellschaft entschieden, den die drei bürgerlichen Parteien verkörpern, obwohl niemand davon nur angenehme Folgen erwarten konnte. Das war ein unglaublich starkes Signal. Diese Menschen wollten jenseits der 80-Prozent-Fragen uns die Führung des Landes anvertrauen. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht enttäuschen.

Muss die Chefin auf den Tisch hauen?

Ich bin überzeugt, dass Angela Merkel dabei ist, dieses Problem zu lösen. Aber in dieser Konstellation ist mit einem Machtwort nichts zu machen. Es braucht einen Erkenntnisprozess bei allen drei Partnern der Koalition.

Hat Frau Merkel ein Gefühl für die CDU?

Natürlich!

So wie Sie?

Wenn zwei das gleiche Gefühl hätten, das wär’ ja auch schon wieder merkwürdig. Wir haben unterschiedliche Biografien und Erfahrungen, sie hat ein anderes Gefühl als ich. Aber die Grundemotion zugunsten dessen, was ich beschreibe mit Freiheit, Wohlstand und sozialer Verantwortung, die ist bei ihr sehr, sehr fest. Dafür muss man nicht seit dem 14. Lebensjahr in der Jungen Union gewesen sein.

Sollte sie das ihrer Partei mehr zeigen?

Es bleibt dabei, dass ich keine öffentlichen Ratschläge gebe.

Weiß die CDU, was sie will?

Die CDU ist als große Volkspartei in den letzten Jahren deutlich erfolgreicher gewesen als die Sozialdemokraten. Aber sie steht vor den gleichen Herausforderungen. Menschen binden sich seltener lebenslang aus Grundüberzeugung an eine Partei, die alten Milieus lösen sich auf. Die SPD ist daran gescheitert, die auseinanderstrebenden Kräfte zu bündeln. Sie hat zwei Abspaltungen erlebt, die Grünen und die Linke. Wir sind als Union stets erfolgreich gewesen, alle Strömungen aus dem bürgerlich-konservativen Lager beieinanderzuhalten. Aber der Glaube an die eigene Stärke ist im Moment angekratzt. Die Frage lautet: Trauen wir uns selbst das Potenzial zu, diese Schwierigkeiten zu überwinden? Ich sage: Das können wir uns gut zutrauen. Das müssen wir auch. Denn die CDU muss das Ziel immer fest im Auge behalten, 40 Prozent der Menschen erreichen zu können. Wenn die Umfragen zu lange in Richtung 30 Prozent gehen, nagt das am Selbstbewusstsein der Volkspartei.

Wofür brennt die Partei?

Bürgerliche Parteien „brennen“ anders als linke Parteien. Das bedauern wir Konservativen ja immer. Aber das herzzerreißende Engagement kommt beim Bürgerlichen viel unterkühlter daher. Das heißt nicht, dass er weniger engagiert ist. Dazu muss überdies immer ein Stück Bedrängtheit kommen. Deshalb wird eine CDU sich nie nur aus sich selbst erklären können. Sie muss immer auch wissen, was die Alternative wäre, wenn sie scheitert. Daraus erwächst ein Teil der Motivation.

Niemand kann das so knapp und klar erklären wie Sie …

(schweigt)

Kein Kommentar?

Der Versuch, mich zu einer Reaktion zu provozieren, ist ja in Ordnung. Ich sehe aber keinen vernünftigen Grund, darauf zu antworten.

Viele bedauern Ihren Abschied aus der Politik. Sie bleiben dabei, zu gehen?

Na ja, ich habe mir das Privileg herausgenommen, zu einem Zeitpunkt zu gehen, wo manche das noch bedauern. Aus freien Stücken gehen zu können, ist in der Politik ziemlich selten. Und bei mir hätte es ja auch anders kommen können. Ich bin durch manches Risiko gegangen und hab’ zum angenehmen Ausstieg nicht den bequemsten Weg genommen.

Politik, haben Sie gesagt, sei nicht Ihr Leben – aber ein wichtiger Teil. Kann einer wie Sie diesen Teil komplett beenden?

Ich vermute mal, nein. Aber es gibt unterschiedliche Formen. Ich strebe keine aktive Rolle mehr in einer Partei oder Regierung an. Dass ich trotzdem Teil des politischen Diskurses dieses Landes bleibe, das kann ich mir gut vorstellen – immer in großer emotionaler Loyalität zur CDU.

Dies ist also nicht unser letztes Interview?

Jedenfalls ist das nicht so gewiss wie das Ende meiner politischen Tätigkeit.

Wer Roland Koch nur aus dem Fernsehen kennt, hält ihn leicht für einen groben Raufbold. Das liegt nicht nur an seiner Lust an der messerklingenscharfen Formulierung. Der Hesse ist auch überzeugter Vertreter der alten Schule, für die Streit, Konflikt und Gegnerschaft natürlicher Bestandteil von Politik sind, Kehrseite, aber auch Bedingung des Kompromisses. Wer Roland Koch persönlich kennenlernt, erlebt bei näherer Bekanntschaft eine Überraschung: einen angenehm geistreichen Gesprächspartner, selbstbewusst und selbstironisch zugleich. Dazu kommt jene hohe Verlässlichkeit, die den wahrhaft Konservativen auszeichnet. Koch kannte alle Tricks; ein Trickser war er nie. Weg war er fast schon mal nach der Landtagswahl 2008. Die Unbedarftheit der SPD- Frau Andrea Ypsilanti hatte ihm eine zweite Chance beschert. Auf eine dritte mochte er nicht hoffen.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Stephan Haselberger.

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